Читать книгу Schwesterherz - Stephan Lake - Страница 10

8

Оглавление

Als Elijah in sein Büro kam, saß Jo auf seinem Schreibtisch, Mantel in den Händen. Ihre übereinandergeschlagenen Beine baumelten vor und zurück. „Es ist noch früh, aber was denkst du, sollen wir-“

„Ja.“ Elijah nahm Jacke und Hut, Jo rutschte vom Tisch, und sie gingen.

Jetzt saßen sie im Café de Paris auf gepolsterten Stühlen an der Wand, leere Tische zwischen sich und den Stühlen am Fenster und den anderen Gästen dort.

„Was hältst du von Eschenbach?“, sagte Jo.

„Brüllt und glaubt, er wäre ein Löwe“, sagte Elijah und sah Jo zu, wie sie ihre Hände unter ihre Beine klemmte und den Kopf schüttelte.

„Unterschätze den nicht. Der kann uns Ärger machen.“

„Jo, seine Uhr ist rosa und hat die Form eines Schweins, und wenn er sie anstellt ertönt ein Grunzen.“

„Von seiner Tochter“, sagte Jo. „Ich fand das ganz süß. Man munkelt, Eschenbach wäre in den vergangenen Tagen mehrmals in Berlin gewesen.“

„Und?“

„Im Ministerium.“

Und?“

„Das riecht nach Beziehungen, Elijah. Vielleicht will er wechseln.“

„Du meinst, um später als Ministerialdirektor in Pension zu gehen, und weil er keine Ahnung von seiner Arbeit hier hat? Wär doch gut.“

„Aber wo bis dahin seine Loyalitäten liegen, muss ich dir nicht sagen.“

Die Bedienung kam, und sie bestellten Kaffee und Sandwiches. Auf seine Frage nach Apfelkuchen erhielt Elijah ein kopfschüttelndes Lächeln.

Jo sagte, „Was meint Eschenbach zur Dienstaufsicht?“

Polizisten, die unter mir arbeiten, die haben keine Probleme mit der Dienstaufsicht. Niemals.

„Sage ich doch, unsere Arschkarte.“

„Er hat auch etwas ganz Seltsames gesagt“, sagte Elijah. „Er hat mich gefragt, warum ich heute Morgen den Schweden nicht erschossen habe.“

Jo sagte, „Warum hast du nicht?“

„Eschenbach hat dann noch gesagt, Wahrscheinlich wären Sie ja auch damit davongekommen.“

„Hm“, machte Jo, ernst jetzt. „Vielleicht hatte er schon einmal mit Polizisten zu tun, die über die Stränge geschlagen haben. Und wollte sehen, wie du reagierst. Oder dir signalisieren, Ich habe ein Auge auf dich.“

„Kann sein.“ Elijah sagte, „Und du bist dir sicher, dass er nach Berlin will?“

„Was heißt sicher. Aber für solche Typen ist Berlin doch immer der Himmel auf Erden.“

„Dann hoffen wir, dass er bald in den Himmel kommt.“

„Ob die Beihilfe ihm die Zähne bezahlt? Die waren alle neu.“

„Passen zum Gesicht“, sagte Elijah. „So aufgedunsen, bleich. Würde mich nicht wundern, wenn in Rolfs Schubladen statt Lakritzstangen jetzt kleine, bunte Fläschchen liegen.“

„Rolf hat Lakritze gegessen?“

Elijah nickte. „Wann hast du zuletzt von ihm gehört?“

„Von Rolf? Ein paar Wochen her.“

„Ein paar Wochen, huh? Er wollte sich melden, hat er gesagt.“

„Vermutlich will er sich erst an den Ruhestand gewöhnen.“

„Ja, vermutlich.“ Elijah sagte, „Eschenbach wusste von Amelie.“

„Tatsächlich? Woher?“ Und als Elijah mit den Schultern zuckte, „Vielleicht hat er auch Amelies Todesanzeige bekommen. Von Jankowsky.“

„Ja, vielleicht. Eschenbach hat mir gesagt, dass wir uns nicht mehr mit Amelie beschäftigen sollen.“

„Wie meinst du, gesagt? Wie eine Anweisung?“

„Er hat das Wort Anweisung nicht benutzt, aber er hat es wohl gemeint, denke ich.“

„War zu erwarten“, sagte Jo.

„Ja“, sagte Elijah. „Sag mal, wenn du an das Verschwinden der beiden anderen Mädchen denkst und dann an Amelie, worin unterscheiden sie sich?“

„Wir haben gerade so etwas wie eine Anweisung bekommen, und das ist deine nächste Frage?“

„Wir haben Mittagspause. Wir können reden, was wir wollen.“

„Meinethalben. Also, mehrere Punkte. Zum einen natürlich, Amelie ist tot. Die beiden anderen Mädchen leben und waren sogar einigermaßen wohlauf, als man sie gefunden hat. Dann unterschiedliche Orte: Mainz, Hamburg, Frankfurt. Dann natürlich, dass die beiden anderen Mädchen sehr schnell gefunden wurden. Eines in Mainz, nach gerade drei Wochen. Das andere bei seiner Tante eine Woche später. Amelie jetzt, nach zwei Jahren.“ Sie sagte, „Weißt du, dass ich mich nicht mehr an die Namen der beiden Mädchen erinnern kann?“

„Ich mich auch nicht. Aber es wundert mich nicht. Zwei Mädchen, die weggelaufen waren“, sagte Elijah. „Wir hatten seitdem viel zu tun. Es stimmt, beide Mädchen haben sie relativ schnell gefunden. Aber bei Amelie hat es gedauert. Zwei Jahre.“ Er sagte, „Junge Mädchen, die auf der Straße arbeiten, die fallen auf. Zumindest hier in Deutschland.“

„Du meinst, Amelie war genauso jung, die Polizei fährt in allen Städten regelmäßig Streife in ihren Problemvierteln, macht Razzien im Milieu, all das. Wie konnte Amelie da zwei Jahre unentdeckt bleiben? Meinst du das?“

„Vielleicht konnte Amelie unentdeckt bleiben, weil sie in den zwei Jahren gar nicht in Frankfurt war, sondern die ganze Zeit in Shanghai.“ Dann erzählte er ausführlich von seinem Gespräch mit George.

„Am Fluss mit Blick auf die Skyline von Shanghai“, sagte Jo nachdenklich. „Wieso Shanghai?“

„Amelie wurde mit einem Mobiltelefon aufgenommen, einem Nokia“, sagte Elijah dann. „Und zwar genau am vergangenen dreiundzwanzigsten Dezember um fünfzehn Uhr irgendwas.“

„Vor einem Monat“, sagte Jo, „und nur etwa drei Wochen vor ihrem Tod. Aber wieso Shanghai? Was hatte Amelie mit China zu tun?“

„Wir werden ihre Eltern fragen“, sagte Elijah. „Drei Wochen vor ihrem Tod war Amelie also definitiv in Shanghai. Frage ist, warum und wie lange sie dort war. Und warum sie tot in Frankfurt gefunden wurde.“

Die Bedienung kam mit ihren Sandwiches und sie begannen zu essen.

„Was willst du damit sagen, Wir werden ihre Eltern fragen?“, sagte Jo. „Gib mir mal eine Serviette.“ Sie wischte sich den Mund und sagte, „Wir können uns jetzt darüber unterhalten, wir haben Mittagspause, hast du vorhin festgestellt. Aber wir haben auch eine Anweisung von Eschenbach.“

„Amelie war verschwunden und ist tot“, sagte Elijah, „und zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen ihrem Verschwinden und ihrem Tod war sie in Shanghai.“

„Das reicht aber nicht aus, den Fall an uns zu ziehen“, sagte Jo. „Das ist nicht unser Fall, ist es nie gewesen.“

„Jeesus, jetzt fängst du auch schon an.“

„Wir haben keine Serie, Elijah. In Frankfurt und unten in Trier gehen sie auf die Barrikaden. Als erstes rufen die Eschenbach an.“

„Ich will den Fall ja nicht zu uns ziehen, ich will nur wissen, was die Kollegen in Frankfurt herausfinden, und was die Trierer dazu sagen. Und natürlich, von wem die Mail stammt.“

„Jankowsky natürlich. Er hat das Foto bei Amelie gefunden, auf ihrem Mobiltelefon.“

„Ja, vielleicht. Und ich möchte mir mit dir zusammen ein paar Gedanken zu all dem machen, sonst nichts. Ich will verstehen, was passiert ist, das ist alles. Keiner unserer Fälle wird darunter leiden. Eschenbach wird davon gar nichts mitbekommen“, sagte Elijah und sah einen Mann mit einer Frau hereinkommen und sich nach einem freien Tisch umgucken. Ein älteres Paar am Fenster hatte gerade bezahlt und stand jetzt auf und zog Schal und Mantel an. Der Mann und die Frau warteten, bis das Paar gegangen war, zogen dann ihre Jacken aus und der Mann auch seine Mütze und setzten sich. Die Bedienung nahm das gebrauchte Geschirr und hörte ihre Bestellung und ging.

Der Mann war groß und breit und hatte eine Glatze. Er kam Elijah bekannt vor.

„Gielert war übrigens auch bei dem Gespräch mit George“, sagte Elijah, „er und zwei seiner Leute. Hast du auch Mayonnaise auf deinem Sandwich?“

„Nein“, sagte Jo. „Willst du meins? Die andere Hälfte hab ich noch nicht angefasst.“

Sie tauschten und Jo sagte, „Gielert ... da klingelts nicht bei mir.“

„Franz Gielert von der IK“, sagte Elijah. „Seine Chefin hat ihm gesagt, er soll zu meinem Treffen mit George gehen. Er hat gefragt, sie hat ihm aber nicht gesagt, warum.“

„Noch jemand, der von Amelie weiß“, sagte Jo. „Glaubst du Gielert das? Dass seine Chefin ihm nicht gesagt hat warum?“

„Du weißt, ich glaube nie etwas, halte aber alles für möglich. Bei Gielert“, sagte Elijah, „den kenne ich seit einer ganzen Weile ... ja, ich glaube ihm das.“ Er trank einen Schluck. „Wir treffen uns heute Abend, bis dahin will er herausfinden, wer dahinter steckt. Vielleicht Eschenbach. Wir werden sehen.“ Er sagte, „Du isst gar nicht weiter.“

„Ja, ich versuche, etwas weniger zu essen.“

„Warum?“

Der Mann mit der Glatze und die Frau hatten mittlerweile eine Flasche in einem Eiskühler vor sich stehen und zwei hohe Gläser und kleine Törtchen auf Tellern.

„Nervöser Magen“, sagte Jo. „Sag mal, was ist, kennst du die?“

„Den Kerl“, sagte Elijah, „vielleicht.“

„Ich hab die Dunkelhaarige in ihrem engen Pullover gemeint.“

„Nein, die kenne ich nicht. Aber der Kerl kommt mir bekannt vor.“ Er sagte, „Und jetzt weiß ich auch woher. Sein Gesicht ist auf unserer Liste.“

„Unserer Liste?“

„Unserer Fahndungsliste.“

„Ich weiß, welche Liste du meinst, Elijah ... Was ich meinte war, Du guckst dir die Fotos auf unserer Fahndungsliste an? Warum?“

„Immer schon“, sagte er.

„Ja, aber, warum?“

„Ich könnte mal einem über den Weg laufen, oder?“

„Oh, und wie oft ist dir das bereits passiert?“

„Noch nie“, sagte er. „Vielleicht aber jetzt.“

Jo guckte noch einmal hinüber und sagte, „Und den hast du heute Morgen auf der Liste gesehen?“

„Nicht heute Morgen, nein. Seine Sache ist ein paar Wochen alt, der ist mittlerweile drei Seiten nach unten gerutscht.“

„Ein paar Wochen“, sagte Jo. „Wie sicher bist du dir?“

„Sicher bin ich mir nicht“, sagte er und legte sein Sandwich auf den Teller. „Wie bei dem Mexikaner. Damals, beim FBI. Der ist bei einem Transport von einem zum anderen Gefängnis getürmt. Als die Fahndung rausging, hab ich mir sein Gesicht angeguckt, wir hatten damals noch eine Pinnwand mit all den Fotos, neben dem Kaffeeautomaten, und da hab ich damit angefangen. Ich denke, das war auch die Absicht von unserem Chef, die Pinnwand neben dem Automaten, wo jeder am Tag ein Dutzend Mal hingeht. Ging. Jedenfalls, dünner Schnurrbart, Augen eng zusammen, das Gesicht eingefallen, als wäre er krank. Auf jeden Fall ernst. Das Gesicht, meine ich. Border Patrol hat ihn vier Monate später aufgeschnappt, aber als sie ihn reingebracht haben, und ich habe gehört, wer das ist, ich habe ihn trotzdem nicht erkannt. Warum nicht? Das Fahndungsfoto war ein Polizeifoto, mit Namensschild und in orangem Overall und allem, gemacht nach seiner ersten Festnahme. Und der Mexikaner hat auf dem Foto geguckt, wie er sich gefühlt hat. Angepisst. Feindselig. Ernst. Und als sie ihn dann reingebracht haben? Da hatte er was geraucht, war gut drauf von den vier Monaten in Freiheit mit seiner Freundin und hat herumgealbert. Keine Ähnlichkeit zwischen der Gut-drauf-Version und der Angepisst-Version vom Foto, nicht die geringste.“ Elijah sagte, „Anders private Fotos.“

„Private Fotos.“

„Wenn jemand etwas angestellt hat und wir suchen ihn mit einem privaten Foto, das wir in seiner Wohnung finden? Oder auf Facebook? Auf den privaten Fotos gucken die Leute normal. Sie gucken freundlich, vielleicht lachen sie oder sind nachdenklich, auf jeden Fall gucken sie normal. So wie er hier“, Elijah nickte hinüber. „So jemanden kannst du dann auch erkennen, wenn du ihm auf der Straße über den Weg läufst. Oder in einem Café. Besonders, wenn auch die Beschreibung stimmt.“

„Du guckst dir also nicht nur die Fotos an sondern liest auch noch die Personenbeschreibungen?“

„Über einsneunzig, neunzig Kilo, kahlgeschoren. Ende dreißig.“

„Und weißt die auch auswendig? Nach Wochen? Willst du mich depressiv machen?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Seit dem Mexikaner merke ich mir nur noch die Gesichter von privaten Fotos“, sagte Elijah, „und natürlich alle anderen, wenn es um potentielle Klienten geht. Bei denen auch die Phantombilder. Aber so viele sind das nicht. Kein einziges heute Morgen zum Beispiel.“

„Ich kenne dich jetzt seit drei Jahren, aber das?“ Jo sah ihn weiter an, als wollte sie noch etwas sagen, guckte dann aber wieder zu den beiden. „Problem ist, viele sind groß und schwer, und gerade die Großen und Schweren haben doch heute alle Glatze, oder?“ Sie sagte, „Was hat er denn angestellt, der Typ vom Foto?“

„Seiner Exfrau eine Ohrfeige verpasst.“

„Ohrfeige? Mit einer Ohrfeige schafft es niemand auf unsere Liste.“

„Die Frau ist daran gestorben. Blutgerinnsel im Kopf.“

„Oh.“

„Ist dann abgehauen und hat eine Wohnung voll mit Fotos zurückgelassen.“

Jo sagte, „Aber guck ihn dir an in seinem grauen Anzug, der sieht mir nicht danach aus.“

„Weil er einen Anzug trägt? Oder ihr vorhin aus der Jacke geholfen und ihr beim Hinsetzen den Stuhl gehalten hat?“ Elijah lächelte. „Du glaubst also, jemand kann nicht höflich sein und gut angezogen und trotzdem seine Frau erschlagen?“

„Was ich meinte, er sieht mir nicht danach aus, als würde er sich seit Wochen verstecken.“

Elijah sagte, „Das stimmt“, und stand auf und nahm sein Telefon aus der Tasche. „Ich mache ein Foto und schick es rüber, dann können die mal gucken. Aber ich muss näher ran, ich habe kein Zoom.“

„Elijah, spinnst du? Warte. Warte, verdammt.“

Schwesterherz

Подняться наверх