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Eine Tür weiter in ihrem Büro, Jo drückte auf die Tastatur und ihr Bildschirm sprang an.

Absender: Polizei Rheinland-Pfalz. An: Johanna König BKA. Betreff: Todesanzeige A.B.

Text: Sehr geehrte Frau König, unseren Akten nach haben Sie seiner Zeit auch an diesem Fall gearbeitet. Sollten Sie dazu Fragen haben – und ich bin sicher, Sie werden Fragen haben – dann wenden Sie sich bitte direkt an mich. Mit kollegialen Grüßen.

Unterschrieben mit Jankowsky.

Unseren Akten nach“, sagte Jo. „So ein Arsch.“

Elijah nickte. Richard Jankowsky, der damalige Leiter der Soko Amelie Bennett. Jankowsky würde sich genauso gut an Jo und Elijah erinnern, wie sie sich an ihn erinnerten. Nach zwei Jahren? Und an den Spitznamen, den Elijah ihm gegeben hatte, würde sich Jankowsky auch erinnern.

„Was will der Blindgänger von dir?“, sagte Elijah, aber irgendwie hörte es sich nicht mehr so lustig an wie damals. Und natürlich kannte Elijah die Antwort bereits.

Todesanzeige A.B.

Jo sagte, „Jankowsky war damals vielleicht ein Blindgänger, heute aber vermutlich nicht mehr. Kann doch nicht sein, oder? Ein Arsch ist er aber immer noch, manche Dinge ändern sich offenbar nicht.“ Sie sagte, „Ich zeig dir, was er von mir will.“

Sie öffnete den Anhang.

„Anzeige aus der örtlichen Zeitung“, sagte Jo. „Sie haben Amelie gefunden. Im ersten Augenblick war ich erleichtert. Ich meine, die armen Eltern, vor allem die Frau Bennett, die war immer so nett. Und stark war sie, für ihren Mann mit. Jetzt haben sie endlich Gewissheit und können einen Schlussstrich ziehen und ihre Tochter beerdigen. Ungewissheit ist schlimmer als alles andere, oder? Aber dann habe ich die Daten gesehen. Geburtsdatum ist klar, aber hier, das Todesdatum?“ Ihr Zeigefinger deutete auf die Stelle. „Der vergangene dritte Februar. Das ist neun Tage her. Das heißt, Amelie war doch nicht tot, wie wir damals gedacht haben, sondern sie hat noch gelebt. Zwei Jahre.“

„A.B.“, sagte Elijah. „Jankowsky kann aus Scham nicht einmal mehr ihren Namen schreiben.“

Amelie verschwand damals, ohne Spuren zu hinterlassen. Entführt, waren die Eltern überzeugt; aus Trier weggelaufen, weil es mit ihrem Freund auseinander gegangen war und ihre Eltern kein Verständnis für ihren Kummer hatten, glaubten Elijah und Jo. Teenagerprobleme eben, nichts Besonderes. Und, nein, es hat definitiv nichts mit den beiden anderen verschwunden Mädchen zu tun, also beruhigen Sie sich, Amelie wird wieder auftauchen.

Amelie war nicht wieder aufgetaucht, dafür aber ihr Shirt auf einer Wiese in einem Park, am Rande der Stadt, ein paar Wochen später. In dem Shirt und im Boden darunter so viel Blut, dass es unmöglich war, den Blutverlust zu überleben, hatte die Kriminaltechnikerin gesagt. Unmöglich? Na ja, wie viel Blut das genau ist, kann ich natürlich nicht sagen, Herr Leblanc, das liegt hier schon eine Weile, zunächst muss ich den Boden abtragen, danach werden wirs genauer wissen, aber es sieht nach sehr viel aus. Also doch nicht unmöglich? Sehr unwahrscheinlich, sag ich mal, Genaueres eben erst später, wenn ich jetzt bitte meine Arbeit machen dürfte?

Dann hatte sie eine Plastikfolie ausgebreitet und angefangen zu graben, und Elijah hatte den Mund gehalten. Schließlich konnte sie ja auch nichts dafür.

Amelies Leiche wurde nie gefunden. Trotzdem war die vierköpfige Soko um Jankowsky überzeugt, dass Amelie nicht mehr lebte. Da es gute Hinweise für aber keine Beweise gegen diese These gab und weil Elijah nicht zur Mordkommission gehörte und der Fall gar nicht seiner war und er ohnehin so schnell wie möglich wieder aus Trier verschwinden wollte, hatte er nicht widersprochen. Amelie Bennett galt damit als tot. Natürlich nicht offiziell, aber die Soko ließ fortan die Arbeit ruhen.

Wir sollen uns also beruhigen, Herr Leblanc, hatte ihre Mutter gesagt.

Jo sah ihn immer noch an.

Elijah erwähnte nicht, dass nur die Soko an Amelies Tod geglaubt hatte, nicht er und sagte, „Wieso jetzt?“

„Weil dort der dritte Februar steht? Außerdem habe ich bereits mit Jankowsky telefoniert und er hat mir das bestätigt. Die Gerichtsmedizin ist zu diesem Todeszeitpunkt gekommen. Amelie ist erst vor gut einer Woche gestorben.“ Sie sagte, „Jankowsky hat das genossen. Wusste ich doch, dass Sie anrufen, Frau König, hat er gesagt. Natürlich in seiner Sprache, Wusst ich doch, dat Se anrufen, Frau Könich. Und: Wat macht denn unser Kauboy so?“ Sie sagte, „Ich denke, er meinte dich.“

„Das war nicht schlecht“, sagte Elijah. „Aber, ich zweifle das Todesdatum nicht an. Was ich meinte, warum wurde Amelie gerade jetzt getötet?“ Er sah ihren Blick und sagte, „Das meinst du doch, wenn du sagst, Amelie ist gestorben – dass sie getötet wurde?“

Jo schüttelte den Kopf. „Uh-unh, das meine ich nicht“, sagte sie. „Und vor allem meinte Jankowsky das nicht. Als Todesursache hat die Gerichtsmedizin Frankfurt eine Überdosis bestimmt. Heroin.“

„Überdosis?“, und als Jo nickte, „Wieso Frankfurt?“

„Weil Amelie in Frankfurt gefunden wurde.“ Jo atmete ein und aus. „Auf dem Straßenstrich.“

Beide waren still.

Elijah setzte sich, langsam und schwer. „Unser Frankfurt oder das andere?“

„Unseres. Amelie haben sie im Bahnhofsviertel gefunden. Sagt Jankowsky.“

Sein Blick wanderte. Als er aus den USA zurückkam, machten sie Elijah zum Stellvertreter von Rolf und gaben ihm sein eigenes Büro, weshalb Jo seitdem ebenfalls in ihrem eigenen Büro saß, allein. Worüber sie sich, glaubte er, nicht sonderlich freute. Jo war der eher soziale Typ.

Aber sie hatte etwas aus ihrem Zimmer gemacht. Hier war es viel freundlicher als bei ihm. Bilder mit Farbe an den Wänden, Blumentöpfe auf der Fensterbank und auf dem Boden davor, eine Sitzecke mit Tisch in der Ecke, die Polster in dunklem Blau und die Kissen in Gelb. Auf einem Regal weitere Blumentöpfe und ein halbes Dutzend Tassen und Untertassen, falls jemand einen Kaffee wollte. Wer zu Elijah kam, musste seine Tasse und seinen Kaffee selbst mitbringen. So machte Elijah jedem deutlich, welchen Wert er auf Gesellschaft legte.

An dem grauen Linoleumboden hatte aber auch Jo nichts ändern können. Genauso wenig an Amelies Schicksal.

Straßenstrich.

Er sagte, „Hat Jankowsky bereits eine Ahnung, wo Amelie in den vergangenen zwei Jahren war? In Frankfurt die ganze Zeit?“

„Davon geht er aus.“

„Davon geht er aus?“

„Er hätte die Ermittlungen wieder aufgenommen, und im Moment ginge er davon aus, dass sich Amelie ausschließlich in Frankfurt aufgehalten hat.“ Jo sagte, „Seiner Meinung nach ist Amelie weggelaufen, genau wie die beiden anderen Mädchen damals. Nur, dass die anderen nach Mainz und Hamburg sind und schnell aufgegriffen wurden, während Amelie in Frankfurt landete.“

Elijah schwieg dazu.

„Ich weiß, das hast du damals schon gedacht.“ Jo sagte, „Die Beerdigung ist morgen. Einer von uns sollte hinfahren.“

„Da steht, Familie und Freunde. Da steht nichts davon, wenn die Versager vom BKA dazukommen möchten, sind sie ebenfalls herzlich eingeladen.“

„Wir haben nicht versagt, Elijah. Es gab keine Leiche. Es gab keinen Tatort. Wir haben ja noch nicht einmal ermittelt. Jankowsky hätte uns gar nicht anfordern dürfen, hat es aber trotzdem getan. Unser Fehler war, wir haben uns von ihm bequatschen lassen und sind runter nach Trier gefahren. Weil er Angst hatte.“

Angst vor einem Serientäter, hatte Jankowsky am Telefon gesagt, Können Sie sich das nicht doch einmal ansehen, Herr Leblanc? Und dann, als sie in Trier waren: „Ich han Angst, dat uns so ein Serientyp alle Mädcha wegklaut.“ Elijah hätte ihm dafür beinahe eine reingehauen.

Jo sagte, „Und du hast früh erkannt, dass kein Serientäter am Werk war, dass die beiden anderen Mädchen nicht entführt wurden sondern weggelaufen sind. Und bei Amelie schien das auch so gewesen zu sein.“ Sie sagte, „Hör zu, ich kann verstehen, wenn du nicht zur Beerdigung-“

„Ich fahre“, sagte Elijah.

„Du hasst Trier.“

„Ich fahre hin.“

„Und dann lebt auch noch dein Vater dort.“

„Erzeuger.“

„Ehrlich, Elijah, es ist kein Problem, ich kann-“

„Jo, ich fahre!“

„Gut, dann.“ Sie sagte, „Das war kein Fall für uns, Elijah. Nie gewesen. Das hätte Jankowsky selbst lösen müssen. Es gibt hier keine Serie. Gab es nie.“

„Wir waren vor Ort“, sagte Elijah.

„Ja, das waren wir. Aber Amelies Tod ist nicht unsere Schuld. Jankowsky hat ermittelt, nicht wir.“

Elijah sagte, „Ich muss dir etwas zeigen, Jo.“

Sie gingen zurück in sein Büro. Elijah öffnete die Datei.

Jo setzte sich auf seinen Stuhl. Sie guckte auf das Foto, guckte ihn an, guckte wieder auf das Foto.

„Seit wann hast du das?“

„Halbe Stunde. Ich habs weggedrückt, als du reingekommen bist.“

„Amelie“, sagte Jo, „lebend. Von wann ist das Foto?“

Er zuckte mit der Schulter.

„Amelie sieht alt aus, findest du nicht?“, sagte Jo. „Viel älter als auf den letzten Fotos von ihr. Vor ihrem Verschwinden.“

„Das Foto wurde danach gemacht“, sagte Elijah.

„Ja, definitiv.“ Jo sagte, „Sie sieht nicht nur älter aus als damals, sondern ... Amelie ist jetzt tot. Sie ist nur sechzehn Jahre alt geworden. Auf dem Foto sieht sie aus wie ... mindestens Anfang zwanzig. Wie eine Zwanzigjährige, die nicht viel Schönes erlebt hat.“ Jo sagte, „Das passt zum Strich und zur Überdosis, nicht? Wer hat dir das geschickt?“

„Weiß nicht. Yahoo-Adresse. Fuck You Leblanc.“

Jo guckte zu ihm hoch und sagte, „Anonym?“, und als er nickte, „Fuck You Leblanc, warum hast du mir das Foto vorhin nicht schon gezeigt?“ Aber mit einem Lächeln.

„Weil ich mich erst ...“ Elijah lehnte sich neben sie gegen den Schreibtisch und widerstand dem Drang, von Jo weg und aus dem Fenster zu gucken. „Ich wollte mich erst einmal alleine damit auseinandersetzen, vielleicht doch einen Fehler gemacht zu haben, was glaubst du?“

„Okay“, sagte Jo, „Ist Okay.“ Dann drückte sie kurz seinen Arm.

Sein Mobiltelefon vibrierte und er öffnete die Nachricht. „Von George. Ich habe ihm vorhin das Foto gemailt. Wie es aussieht, hat er bereits was für uns.“

„Du hast das Foto George geschickt? Warum?“

„Was meinst du, warum?“

„Amelie ist tot. Überdosis. Das Foto von irgendwann vor ihrem Tod, ohne Bedeutung, die anonyme Mail wahrscheinlich von Jankowsky.“ Sie sagte, „Lass es gehen, Elijah. Wir können nichts mehr für sie tun.“

„Als ich George das Foto geschickt habe, wusste ich noch nicht, dass Amelie tot ist. Erstens. Und zweitens, ich kann nicht einfach so tun, als hätte ich das Foto nicht bekommen. Oder?“ Er sagte, „Ich leite die Mail auch weiter an die IT, die sollen mal gucken, ob sie den Absender herausfinden.“

Jo atmete durch. „Gut, dann geh zu George und hör dir an, was er zu sagen hat. Aber danach akzeptieren wir, was mit Amelie geschehen ist und ziehen einen Schlussstrich. Okay?“

„Kommst du nicht mit?“

„Zu George? Nein, ich habe einen Termin.“

„George ist wichtiger.“

„Du gehst zu George“, sagte Jo und stand auf, „und ich zu meinem Termin. Und danach, Elijah, Schlussstrich. Okay?“

Schwesterherz

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