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Die Zapfanlage stank wirklich. Nicht einen Kilometer weit, aber immerhin durch die Spalten in den Fensterrahmen und der Holztür mit den grünen Butzenscheiben in der Mitte bis auf den Bürgersteig.

Elijah hatte kein Bedürfnis, mit Jankowsky zu sprechen, aber was sollte er machen? Er atmete noch einmal durch und zog die Tür auf, schob den schmierigen Samtvorhang zur Seite und machte einen schnellen Schritt hinein, bevor der Vorhang zurück gegen seine Jacke fallen konnte.

Drinnen war es dunkel und kaum wärmer als draußen, und zu dem Geruch der Zapfanlage kam der Geruch von Tabakrauch und altem Fett. Aber da saß er, an der Theke, im Dunst seiner Zigarette. Jankowsky, die Haare schütter und grau, Stängel zwischen den Fingern, vor ihm Schachtel und Feuerzeug, ein gut gefüllter Aschenbecher und ein halbes Pils ohne Krone. Die andere Hand mit einem gefüllten Schnapsglas schwebte über dem Tresen.

Jankowsky sprach mit einer nicht sehr schlanken und nicht sehr jungen Frau auf dem Hocker neben ihm, die Bluse eng und zu viele Knöpfe offen. Sie fingerte gerade eine Zigarette aus der Schachtel, als sie Elijah hereinkommen sah und ein Lächeln anwarf, als hätte jemand einen Schalter gedrückt.

„Ich meinet ernst, Giggi, kannste mir glauben, du bis verdammt hübsch. Echt.“

Zigarette zwischen den Lippen, nahm Giggi das Feuerzeug, ihr Blick immer noch auf Elijah, „Du willst also dein Gesicht in meinen Ausschnitt stecken?“, zündete die Zigarette an und inhalierte tief.

„Un in deinen Arsch auch. Und du bis verdammt hübsch. Echt.“

Elijah ging durch den Raum. Die Wände in dunklem Holz wie die Sitzecken, wie die Theke, wie die Holztische mit den lackierten Platten. Siebziger Jahre, aber original und nie renoviert. Die Fenster waren grüne Butzenscheiben wie die Tür und ließen nicht einen Schimmer herein von dem bisschen Winterlicht draußen. Und Giggi war sparsam. Nur über der Theke waren zwei kleine Lichter eingeschaltet. In der Ecke blinkte ein Spielautomat. Win win win.

Elijah knipste Giggi ein Auge, schob die Packung mit dem Kamel und den Aschenbecher zur Seite und setzte sich neben Jankowsky.

„Aber hallo Cowboy“, sagte Giggi mit der Stimme einer Raucherin. „Dich hab ich ja noch nie hier gesehen. Ich bin die Giggi.“

„Oh scheiße der Leblanc“, sagte Jankowsky, setzte das Glas an und schüttete mit einem Ruck den klaren Inhalt in seinen Hals.

„Was kann ich dir bringen, Schatz?“

„Kaffee wäre nett, Giggi“, sagte Elijah und bekam dafür von Jankowsky einen Blick aus wässrigen Augen.

Giggi stand auf. „Mit was drin?“, eine Augenbraue oben.

„Koffein wenns geht“, sagte Elijah.

Giggi grinste, zog noch einmal und legte den Stängel im Aschenbecher ab, am Filter dasselbe brüchige Rosa wie an ihren Lippen und Fingernägeln. „Kommt sofort.“

„Na, Jankowsky.“ Elijah zog seinen Hut aus und stülpte ihn aufs Knie. „Haben Sie es sich in den vergangenen beiden Jahren in Ihrem Provinzkaff gemütlich gemacht?“

„Mir sinne Großstadt“, sagte Jankowsky, die Augen jetzt auf Giggis Hintern. „Über Hunnertdausend.“

„Über einhunderttausend ... was? Etwa Einwohner?“ Elijah sagte, „Dafür müssen die Stadtväter aber schon alle Dörfer zwischen hier und Koblenz eingemeindet haben. Haben sie?“

„Wat wollen Se, Leblanc? Hat et nit gereicht, dat Se vorhin der Amelie ihr arm Mudder uffn Nerv gegangen sin?“ Jankowsky trank auch sein Bier leer und winkte mit dem Glas Giggi hinter der Theke zu, die ihn verstand.

„Schon in Arbeit, Ricci.“

„Aber umgezogen sind Sie, wie ich sehe“, sagte Elijah und deutete mit dem Daumen hinter sich. „Unter welchem der Tische wohnen Sie, Ricci? Sagen Sie, nennen alle Sie Ricci oder nur Ihre besten Freunde?“ Und als keine Reaktion kam, „Ich habe ein paar Fragen, und dann bin ich auch schon wieder weg.“

„Ich hann kein Antwochten“, sagte Jankowsky, die Mundwinkel feucht von Bier und Speichel.

„Sie kennen ja meine Fragen noch gar nicht“, sagte Elijah. „Und keine Angst, ich will nicht wissen, was Sie in den vergangenen zwei Jahren bezüglich Amelie unternommen haben, denn das weiß ich bereits. Nichts. Ich will wissen, was Sie jetzt tun werden.“ Er gab Jankowsky Zeit, etwas zu sagen. Der aber saugte nur an seiner Zigarette und ließ langsam den Rauch aus Nase und Mund entweichen, sein Blick starr gegen die Wand.

Giggi kam mit Kaffee und Pils, machte dann einen weiteren Strich auf Jankowskys Deckel – Elijah zählte sechs – nahm ihre Zigarette und zog tief, blies Rauch an Elijah vorbei und lächelte und zeigte Zähne wie die von Eschenbach. „Du bist einer von denen, der trinkt schwarz. Stimmt et?“

„Und du bist eine Menschenkennerin, Giggi“, sagte Elijah und hielt, ebenfalls lächelnd, ihren Blick. Dann nickte er kurz auf Jankowsky. „Aber das habe ich sofort gesehen.“

„Ah, ihr beiden wollt alleine sein“, sagte sie, nahm ihre Zigarette, „Polizistengeheimnisse, nehm ich an. Schon verstanden, Schatz, kein Problem, will ich garnix von wissen“, und ging.

„Kaffee“, sagte Jankowsky und schüttelte den Kopf. „Kommt nach Trier inne Kneipe und trinkt Kaffee.“

„Amelie hat noch zwei Jahre gelebt“, sagte Elijah.

„Un jetz isse tot.“

„Und Sie wollen nicht wissen, wo und wie Amelie die zwei Jahre verbracht hat?“

„In Frankfurt natürlich. Auf der Straße.“

„Das halten Ihre Frankfurter Kollegen für ziemlich ausgeschlossen.“

„Dann eben nicht auf der Straß, sondern im Puff. Wat weiß ich.“

„Und genauer wollen Sie es nicht wissen?“

„Un was hätten wir davon? Die Polizei? Ihre Eltern? Huh? Sagen Sie mir das, Leblanc.“

Elijah sagte, „Sie können ja doch fast Hochdeutsch sprechen, wenn Sie das wollen, Jankowsky.“

Jankowsky drehte sich zu Elijah, langsam, als hätte er einen Hexenschuss. „Sonst nochwas, Leblanc?“

Das Gesicht faltig, fahl, müde. Ein harter Trinker, der viel älter aussah, als er sein konnte. Die grauen Stoppeln trugen dazu bei, auch die aus der Nase wachsenden Haare. Und dazu aus dem Mund dieses Gemisch aus Alkohol und Zigaretten und ungeputzten Zähnen.

„Die Zeit hat es nicht gut mit Ihnen gemeint, Jankowsky. La Dolce Vita bekommt Ihnen nicht besonders.“

„Leck mich, Leblanc.“

„Sie sehen aus wie ein alter, versoffener Penner.“

„Am Arsch, Leblanc.“

„Ja, auf den Körperteil scheinen Sie ja fixiert zu sein.“

„Ihr werdet euch doch nicht streiten, ihr Beiden?“, sagte Giggi ohne hochzugucken von ihrem Hocker am Fenster. Sie hatte eine Zeitschrift auf dem Schoß, hielt eine Zigarette in der einen und ein Bierglas mit heller Limonade in der anderen Hand.

„Keine Sorge, Giggi“, sagte Elijah, und zu Jankowsky, „Wann haben Sie zuletzt mit Ronny gesprochen?“

Jankowsky guckte wieder geradeaus.

Giggi las und sagte, „Ich kann dir’n paar Pommes machen, Schatz, vielleicht ne Frikadelle dazu?“

Ne Frikadelle.

Praline, hatte Gulli einmal zu ihm gesagt, eine Frikadelle nennen wir Praline, weil es die so selten gibt bei uns. Gemeint hatte er damit: bei uns im Knast. Stolz hatte er dabei geklungen, sein Erzeuger.

„Danke, Giggi, ein anderes Mal vielleicht.“ Und wieder zu Jankowsky, „Nachdem Amelie gefunden wurde vor zwei Wochen, haben Sie seitdem mit Ronny gesprochen?“

„Warum sollt ich?“, sagte Jankowsky. „Der ballert sich mit Anabolika den Kopp dumm, wat soll der schon wissen?“ Trank und hustete schwer in seinen Ärmel, schaute auf das Resultat, wischte mit dem anderen Ärmel darüber und zog wieder am Stängel. „Nix weiß der.“

„Und weil Sie wissen, dass Ronny nichts weiß, brauchen Sie ihn ja auch nicht fragen. Richtig, Ricci?“ Elijah nippte am Kaffee, der genauso dünn schmeckte wie er aussah. Er stellte die Tasse zurück auf die Theke.

„Ich erklär dir mal was, Leblanc“, sagte Jankowsky. „Bei uns in Trier läuft alles etwas anders als bei euch draußen in der richtigen Welt. Wir Bullen machen unsere Arbeit ... ja, ich sach mal: leiser. Unauffälliger. Weniger aufdringlich. Wir belästigen niemanden damit.“ Er sagte, „Weil, niemand hier will von irgendwelchen verschwundenen Mädcha wat wissen oder von Messerstechereien uffm Hauptmarkt oder von Überfällen uff Tankstellen am Verteilerkreis. Die Trierer gehn den ganzen Tach schaffen und wollen et am Abend-“

„Schaffen, huh?“ Elijah erinnerte sich an früher, als alle Erwachsenen immer nur vom Schaffen gesprochen haben. Seitdem hatte er das Wort nicht mehr gehört.

Aber Jankowsky glaubte, Elijah wüsste nicht, was mit Schaffen gemeint war und sagte, „Schaffen. Arbeiten, so nennt ma dat bei Ihnen. Am Abend nach der Schafferei also wollen et die Trierer ruhich hann, vor sich en Viez oder en Moselriesling oder en Bitburjer-“

„Therapeutisches Saufen.“ Elijah nickte. „Ja, kenn ich von irgendwoher.“

„-oder ein Bitburjer, je nachdem, wie se groß geworden sinn. So wie ich. Hier, en Bitburjer.“ Jankowsky hob sein Glas. „Der Tratsch uffm Trottoir, der soll sich umd Wetter drehen oder um den Nachbarn, der mittags um zwölf d’n Rasen mäht obwohl et verboten is. Oder meinethalben noch um die scheiß Luxemburjer, die mit ihrem scheiß Geld unsere Immobilienpreise versauen.“ Er schüttelte den Kopf, „Scheiß Luxemburjer“, stellte das Glas hin und zog an der Zigarette, zwei Mal hintereinander und drückte sie aus. „Aber über wirkliche Verbrechen will keiner reden. Augen zu, dann git et dat och nit. So sinn die Trierer.“ Er sagte, immer noch Rauch ausstoßend und erstaunlich nüchtern, „Deshalb, Herr Bundeskriminalamtsrat, wenn ein Fall abgeschlossen is, oder wenn et überhaupt nichts bringt darin herumzuwühlen, dann lassen wir das auch ruhen.“ Nahm die Schachtel und schüttelte die nächste Zigarette heraus und zündete sie an.

Elijah stand auf. „Warum habe ich das Gefühl, dass Sie immer nur in bestimmten Situationen so etwas Ähnliches wie Hochdeutsch sprechen, Jankowsky?“ Er suchte einen Fünfeuroschein aus der Hosentasche und legte ihn neben seine Tasse. „Nämlich immer dann, wenn Sie in Ihrem Schrumpfhirn nach einer glaubwürdigen Antwort suchen. Und jetzt hör gut zu, Jankowsky.“ Elijah legte ihm die Hand schwer in den Nacken und sagte so leise, dass Giggi ihn nicht hören konnte, „Die Sache mit Amelie stinkt. Mehr noch als Giggis Zapfanlage, sogar noch mehr als der Atem aus Ihrem Lügenmaul. Aber ich werde der Sache auf den Grund gehen und wenn ich herausfinde“, und drückte zu, „wenn ich herausfinde, dass Amelie noch leben könnte und Sie Blindgänger sind schuld, dass sie nicht mehr lebt? Jankowsky, dann sehen wir uns wieder.“

Jankowsky hatte sich nicht bewegt. Er hatte geradeaus auf Giggi gestarrt ohne auch nur zu versuchen, Elijahs Hand wegzustoßen.

„Is mir sowat von scheißegal, Leblanc“, sagte er. „Hey, Giggi, noch eint. Un’noch’n Rachenputzer. Un räum den Kaffee ab, dem hohen Herrn hier hat et nicht gemundet.“

Schwesterherz

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