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Elijah ging Richtung Innenstadt, genau wie Amelies Mutter ihm gesagt hatte. Vorbei an der Porta Nigra mit ihren Touristen, vorbei an Menschen in dicken Jacken und Mänteln, die auf Busse warteten, Einkaufstüten in den Händen, vorbei an Kaufhäusern und an Geschäften, die nahezu ausnahmslos zu irgendwelchen Ketten gehörten und genau so in jeder anderen deutschen Stadt zu finden waren; zum Hauptmarkt, vorbei an einem Café, an weiteren Geschäften, an weiteren Cafés, dann musste er fragen.

Das Layout der Innenstadt hatte sich seit seiner Jugend nicht verändert, nicht ein bisschen, und er erinnerte sich an manches. Aber seine Erinnerung war verblasst, vieles kam ihm unbekannt vor.

Er folgte der Richtung, die ihm angegeben wurde. Ein weiteres Kaufhaus, eine Shopping Passage, ein weiterer Platz, dieser mit einem Brunnen ohne Wasser, eine weitere Straße mit Geschäften rechts und links.

Elijah fragte sich, wer in all diesen Geschäften einkaufen sollte. Die Schulkinder, die er sah? Oder die anderen mit ihren grimmigen Gesichtern und ihrem Stechschritt, als ob sie alles und jeden niederwalzen wollten? Das fiel ihm am stärksten auf, niemand hier lächelte.

War es früher auch so gewesen? Er wusste es nicht mehr. Und er ertappte sich dabei, bei den Männern gelegentlich genauer hinzusehen, ob vielleicht sein Erzeuger darunter wäre. War er aber nicht. Vielleicht war er wieder im Knast. Oder immer noch.

Schließlich, neben einem kleinen Supermarkt, das Geburtshaus von Karl Marx und heute ein Museum. Elijah las es auf der Gedenktafel neben der Tür, vor dem er warten musste, während eine Gruppe junger Chinesen mit Colaflaschen in ihren Händen den Bürgersteig und die halbe Straße blockierte und Fotos schoss, als würden sie dafür bezahlt. Dann eine enge Straße entlang, Wohnhäuser, ein Autohaus, ausgelagerte Ämter der Stadt, die wohl im Rathaus keinen Platz mehr gefunden haben oder einen Leiter hatten, der beim Oberbürgermeister nicht beliebt war. Ein Waschsalon, dann Bars und Sexshops, dann ging er scharf nach links und fast zwei Kilometer geradeaus und sah schließlich eine Glasfassade mit lebensgroßen Fotos eingeölter Frauen und Männer in Bikinis und Badehosen.

Elijah ging auf der gegenüberliegenden Seite, als die Tür neben der Glasfassade von innen aufgedrückt wurde und eine Frau in Fitnesskleidung herauskam. Anfang zwanzig, halblange grüne Haare, blaue Sportschuhe, enge grüne Leggins, enge, schwarze Jacke. Sportliche Figur mit bunten Tattoos an Hals und an den Knöcheln und vermutlich an weiteren Körperteilen dazwischen. Sie rieb sich die Arme und verschränkte sie dann. Fast erwartete Elijah, dass sie eine Zigarette hervorziehen und anzünden würde, aber sie tat es nicht.

Einen Moment später wurde die Tür erneut aufgedrückt und ein Kerl kam heraus. Elijah erkannte ihn sofort, obwohl er jetzt sein Gesicht hinter einem kurzrasierten Vollbart versteckte. Was, fand Elijah, keine schlechte Idee war. Der Vollbart im selben Schwarz wie seine ebenfalls kurzrasierten Haare und wie die Jacke der Frau neben ihm.

Ronny, der lieber seine Muskeln aufpumpte als zur Beerdigung seiner früheren Freundin zu gehen. Die, wie es aussah, seinetwegen versucht hatte, sich zu töten.

Sportschuhe, kurze, weiße Hose, weißes, enges T-Shirt. Immer noch einsachtzig, aber noch massiger als vor zwei Jahren. Kaum weniger als einhundert Kilo, schätzte Elijah, und mit den grotesken Wölbungen eines Bodybuilders im Anabolikarausch. In der Hand hielt Ronny ein Mobiltelefon.

Elijah stellte sich in einen Hauseingang und wartete. Er hatte Fragen an Ronny, aber nicht hier draußen auf der Straße und nicht mit einer Zeugin.

Frau Bennett hatte Recht. Ronny hielt das Telefon jetzt an sein rechtes Ohr und hatte damit beträchtliche Mühe, denn sein Bizeps so groß wie eine Grapefruit war dabei dem Unterarm im Weg. Er musste den Ellbogen weit vom Körper weg strecken, um den Arm überhaupt beugen zu können, was ihm aber Probleme mit der Schulter zu bereiten schien, denn bereits nach Sekunden nahm er das Telefon in die linke Hand und schüttelte Arm und Schulter aus. Beide Arme mit bunten Tattoos, der Hals mit Tattoos, die Beine mit Tattoos.

Ronny sprach schnell und laut und Elijah hörte Wortfetzen.

„... weiß ich doch nit ... mich doch am Arsch lecken ... ja, ja, ich komm.“

Dann schüttelte Ronny den linken Arm aus und sagte etwas zu der Fitnessfrau, während er seinen Bizeps massierte. Dann gingen sie wieder hinein.

Elijah blieb im Hauseingang stehen und wartete. Ronny würde gleich wieder herauskommen.

Ja, ja, ich komm.

Und so war es auch, Minuten später. Ronny in Jeans und Collegejacke und ohne Zweifel nicht geduscht, dafür hatte die Zeit nicht gereicht. Mit schwerfälligen Schritten ging er die andere Straßenseite hoch, ohne Elijah zu bemerken in die Richtung, aus der Elijah gerade gekommen war. Ronny war allein, die Fitnessfrau war nicht bei ihm. Über seiner Schulter eine Sporttasche, auf dem Kopf eine Bandana. Auf der Jacke stand University of Wisconsin.

Elijah gab Ronny fünfzig Meter Vorsprung, dann folgte er ihm. Bedenken, ihn aus den Augen zu verlieren, hatte Elijah nicht. Der Kerl war breiter als jeder, den Elijah auf dem Herweg gesehen hatte und seine Jacke genau wie die Bandana blau mit rot.

Es ging die Straße zurück am Karl-Marx-Haus vorbei, die Chinesen waren weg, vorbei am Marktplatz mit dem leeren Brunnen. Elijah hoffte, Ronny würde in ein Haus gehen oder in eine Seitenstraße, weg von all den Menschen, aber Ronny ging strikt durch die Fußgängerzone ohne abzubiegen, ohne auch nur einmal stehen zu bleiben. Über den Hauptmarkt, vorbei an der Porta Nigra.

Exakt den Weg, den Elijah gerade gegangen war.

Hm.

Und dann, tatsächlich, in die Straße, in der Giggis Kneipe lag.

Drei Minuten später konnte Elijah die Butzenscheiben sehen.

Ronny ging direkt darauf zu, ging auf die Tür zu, riss die Tür auf und ging hinein. Die Tür fiel ins Schloss.

Der Anrufer. Das war Jankowsky gewesen.

Jankowsky hat Ronny angerufen und ihm etwas gesagt wie, Der Leblanc war gerade hier, was will der, was kann der wissen? Und Ronnys Antwort, ‹... weiß ich doch nit ... › Der Leblanc wird zu dir kommen und dir Fragen stellen, hat Jankowsky dann vielleicht gesagt, und Ronny, Der soll ... mich doch am Arsch lecken ... Wir müssen reden. Ja, ja ich komm.

Elijah guckte auf die Tür. Ja, das würde passen, so könnte es gewesen sein.

Was aber hatten Ronny und Jankowsky miteinander zu tun? Der ballert sich mit Anabolika den Kopp dumm, wat soll der schon wissen? Mit dem ersten hatte Jankowsky ohne Zweifel Recht, aber mit dem zweiten?

Was wusste Ronny? Und was wusste Jankowsky?

Elijah zog die Tür auf und zog sie hinter sich leise ins Schloss. Er schob den Vorhang zur Seite, nur einen Spalt, und blieb stehen.

Jankowsky saß auf demselben Hocker wie zuvor, im Mundwinkel klebte eine Zigarette. Wie zuvor stand ein Pils vor ihm, die Schaumkrone unberührt und bereits flockig. Neben seinem Glas musste ein Block oder ein Blatt Papier liegen, Elijah konnte es von der Tür aus nicht erkennen, aber er sah, dass Jankowsky mit der einen Hand schrieb, während die andere festhielt, worauf er schrieb. Zugleich redete Jankowsky in einem fort, die Zigarette in seinem Mund wippte auf und ab.

Ronny, eine kleine Flasche in der Hand, saß neben ihm auf Giggis Platz und nickte in kurzen Abständen zu dem, was Jankowsky sagte.

Giggi sah er nicht.

Jankowskys Zigarette verlor Asche. Weiterhin schreibend und sprechend zugleich, wischte er sie weg.

Elijah hatte genug gesehen. Was immer die beiden da besprachen, es ging weit über das Verhältnis von ermittelndem Polizisten und Zeugen hinaus, das war mal klar. Es hatte mit Amelies Verschwinden zu tun, mit Informationen, die sie geheim halten wollten, das war ebenfalls klar.

Und klar war auch, dass er das nicht zulassen würde.

Schwesterherz

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