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„Was hältst du von Amelies Gesicht?“

Sie waren zurück in seinem Büro und saßen nebeneinander an seinem Schreibtisch. Ein gelber Zettel hatte auf dem Bildschirm geklebt, genau in der Mitte, unterschrieben von Barbara, Unbedingt sofort bei Eschenbach melden!

Elijah hatte den Zettel abgemacht und weggeworfen.

„Sehr hübsch, aber das war sie immer schon“, sagte Jo und wischte mit ihrem Ärmel über den Schirm. „Aber ihr Gesichtsausdruck, irgendwie ... ich weiß nicht ... ohne Emotionen. Sie freut sich nicht, sie scheint aber auch nicht wirklich traurig zu sein. Genauso wenig verärgert, gekränkt oder aufgebracht. Ich sehe da nichts.“ Sie wischte immer noch und sagte, „Außer einem Fleck. Bei mir macht Barbara das auch immer. Zettel mitten auf den Schirm. Jemand sollte ihr mal sagen, sie soll das sein lassen.“

„Neutral, habe ich vorhin auch gedacht“, sagte Elijah. „Leer. Und jetzt – hör mal mit der Wischerei auf – guck mal genau hin.“ Elijah wechselte auf den Desktop und klickte auf einen Ordner, darin auf einen zweiten und darin auf einen dritten Ordner und dann auf eine Datei. Ein Foto öffnete sich. „Von damals“, sagte er. „Das Foto, das wir von Amelies Eltern bekommen haben. Was fällt dir auf?“

„Dass du Amelies Unterlagen immer noch klickbereit auf deinem Desktop liegen hast“, sagte Jo, ihr Blick auf die Aufnahme. Amelie war von ihrer Mutter fotografiert worden. Sie saß vor einem Café in der Sonne, vor sich einen Eisbecher, die Sommerferien hatten gerade begonnen. Amelie war glücklich gewesen, hatte ihre Mutter gesagt. „Ansonsten ... ich weiß nicht“, sagte Jo.

Elijah machte auch das neue Foto wieder auf und schob beide nebeneinander. Jos Blick sprang jetzt zwischen den Gesichtern hin und her.

„Auf beiden Fotos sieht Amelie ... Ich weiß nicht, ich sehe keinen Unterschied“, sagte sie. „Auf dem einen ist sie viel jünger, klar. Aber ihr Gesichtsausdruck ... meinst du das?“ Elijah nickte und sie sagte, „Der Ausdruck in ihrem Gesicht ist beide Male derselbe. Nicht froh, nicht traurig, nicht gespannt, nicht ... nichts. Neutral, irgendwie.“

„Richtig. Aber“, sagte Elijah. „Amelie freute sich auf die Ferien. Sie wollte mit ihren Freunden ins Freizeitcamp, hat uns ihre Mutter erzählt. Kurz vor der Aufnahme hat sie noch mit einer Freundin telefoniert und über die Ferien gesprochen.“

„Ich weiß. Worauf willst du hinaus?“

„Für uns sieht ihr Gesichtsausdruck neutral aus“, sagte Elijah, „aber: Amelie war glücklich, Jo. So“, er deutete auf das ältere Foto, „guckte Amelie, wenn sie glücklich war. Und dabei fotografiert wird.“

„Hm.“

„Und genau so guckt sie auf dem Foto aus Shanghai. Kein Unterschied.“ Elijah sagte, „In beiden Aufnahmen zieht sie ein klein wenig die Augenbraue hoch, oder? Links?“

„Vielleicht“, sagte Jo. „Mit etwas Phantasie. Du meinst also, sie war auch auf diesem Shanghai-Foto glücklich?“

Elijah sagte, „Könnte sein, oder?“

„Kann das Foto gefaked sein?“

„Uh-unh.“ Elijah schüttelte den Kopf. Er hatte George dasselbe gefragt. „George hat gemeint, das wäre ausgeschlossen. Was wir auf dem Foto sehen, ist auch das, was geschehen ist.“

„Und die Mail? Hat die IT sich schon gemeldet?“

„Haben sie nicht. Die brauchen wohl noch. Ich hab über die Mail nachgedacht“, sagte Elijah. „Aber außer Jankowsky? Rolf hat manchmal Fuck you zu mir gesagt, aber mehr im Scherz, denke ich. Und Rolf ist nicht mehr hier. Und er hatte es ohnehin nie so mit dem Mailen und mit all dem Computerkram. Aber ansonsten? Gefaked“, sagte er dann, „ist das ein Wort?“

„Passt zu den anderen, kannst du also in einem nachschlagen.“ Jo sagte, „Du hast Amelies Unterlagen noch auf deinem Desktop, weil du sie nie vergessen hast.“

„Aus demselben Grund hast du Amelies Unterlagen aus dem Archiv angefordert.“

„Wir durften Amelie nicht suchen“, sagte sie. „Aber wenn du einmal das Foto eines verschwundenen Mädchens gesehen hast? Wie willst du das je aus dem Kopf bekommen?“

„Wie das Bling von deiner Mail“, sagte Elijah.

„Ja, so ähnlich“, sagte Jo. „Also, vorsichtig formuliert: möglicherweise war Amelie nicht unglücklich in Shanghai. Frage ist, was fangen wir jetzt mit dieser Erkenntnis an?“

„Weiß ich noch nicht“, sagte Elijah. „Aber was ich weiß, dass wir mit dem Shanghai-Foto eine neue Situation haben. Jemand hat Amelie nach Shanghai gebracht und dort etwas mit ihr angestellt. Und ich will verdammt sein, wenn ich nicht herausfinde, wer das war und was mit Amelie passiert ist.“ Er sagte, „Wir müssen telefonieren. Du nochmal mit Jankowsky. Ich rufe Frankfurt an.“

Jo nicke. Sie sagte nichts mehr von Schlussstrich.

Elijah fragte sich bei der Kripo Frankfurt durch, bis er schließlich einen schnell atmenden Kommissar Mattheis am Hörer hatte. Elijah hörte im Hintergrund Stimmengewirr wie auf einer Party und sagte seinen Namen und BKA und, „Hört sich an, als wenn bei euch viel los wäre, Kommissar.“

„Razzia. In fünf Minuten gehts los. Eine halbe hab ich für Sie. Um was gehts?“

„Amelie Bennett“, sagte Elijah und hörte von Mattheis ein leises „Oh-oh“, und, „Amelie Bennett, das Mädchen aus Trier ... Wie kommt das BKA ... nein, warten Sie. Wenn wir über Amelie sprechen wollen, dann nur in Ruhe. Können Sie morgen früh nochmal anrufen? Das hier dauert die ganze Nacht.“

„Oder ich komme vorbei“, sagte Elijah.

„Noch besser. Bei Amelie kann ich nämlich professionellen Input gut gebrauchen, da passt einiges nicht zusammen. Ich hab auch einen Kaffee für Sie“, sagte Mattheis und gab Elijah dann die genaue Adresse.

Jo legte einige Minuten später auf. Jankowsky, sagte sie, war erwartungsgemäß ein Arschloch, hätte schließlich aber doch über den Obduktionsbericht geredet. „Wieder in seiner Sprache, ich glaube, der kann nicht anders, ich übersetze mal. Der Bericht lässt Raum zur Interpretation, sagt er. Versehentliche Überdosis ist wahrscheinlich, weil das Heroin sehr rein war. Absichtliche Überdosis in suizidaler Absicht schließt der Bericht aber nicht aus.“

„Todeszeitpunkt?“

„Dritter Februar, zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens, ungefähr.“

„Vor neun Tagen“, sagte Elijah. „Fremdeinwirkung?“

„Könnema ’nit ausschließn.“ Jo zuckte mit der Schulter.

„Das war wieder nicht schlecht“, sagte Elijah. „Damit könntest du nächstes Jahr in die Bütt.“

„Ich hasse Karneval“, sagte Jo.

„Oder du kannst dich nach Trier bewerben.“

„Willst du mich loswerden. Oder wat?“ Jo sagte, „Amelie hatte mehrere relativ frische Blutergüsse an beiden Armen, beiden Beinen, aber Jankowsky sagt, das wäre ja nicht unüblich im Milieu.“

„Was Jankowsky so meint“, sagte Elijah. „Was sagt der Bericht zu Amelies Drogenkonsum in den Monaten vor ihrem Tod?“

„Nur, dass sie regelmäßig konsumiert haben muss. Wie es aussieht nicht exzessiv, aber regelmäßig. Und über einen längeren Zeitraum.“

Elijah guckte und Jo sagte, „Das überrascht dich?“

„Ich habs für möglich gehalten, dass sie nicht ... Sexuelle Kontakte?“

„Definitiv“, sagte Jo. „Alle bekannten Körperöffnungen. Erzwungen oder nicht, lässt der Bericht offen. Aber keine frischen Spuren, nichts, was direkt auf eine Vergewaltigung hindeuten würde.“

„Alle bekannten Körper-“ Elijah überlegte. „Vaginal und anal ist klar, aber um im Nachhinein Oralpraktiken festzustellen, da muss Amelie schon einen Infekt gehabt haben. Ist das so?“

Jo nickte. „Entzündliche Reaktion im Rachen. Das Labor hat ein Bakterium nachweisen können.“ Sie las vor. „Treponema pallidum.“

Elijah sagte, „Syphilis.“

„Sie muss sich drei oder vier Wochen vor ihrem Tod damit angesteckt haben. Und ich sag dir jetzt nicht, was Jankowsky dazu gesagt hat.“

„Besser nicht“, sagte Elijah. „Fremd-DNA?“

„Ein Dutzend an Kleidung und Haut, wie nicht anders zu erwarten.“

„Alte Verletzungen?“

„Uh, der Blutverlust von damals. Richtig. Jankowsky hat nichts erwähnt, und ich habe vergessen zu fragen. Ich rufe ihn nochmal an.“

Elijah schüttelte den Kopf. „Lass sein, ich frage Mattheis.“

„Wer ist Mattheis?“

„Kripo Frankfurt. Mattheis bearbeitet Amelies Fall. Er sagt, bei Amelie passt einiges nicht zusammen.“

„Das hat er gesagt?“

„Wörtlich.“ Elijah sagte, „Morgen früh fahre ich zu ihm. Dann nach Trier. Die Beerdigung ist um zwei, also kein Problem. Ich melde mich von unterwegs.“

Jo sagte, „Du wirst morgen deinen Spaß mit Jankowsky haben. Er hat sich kein bisschen geändert.“

Elijah nickte. „Es ist spät, und bevor wir weitermachen, sollten wir ohnehin abwarten, was Mattheis zu sagen hat. Lass uns für heute Schluss machen, was meinst du? War ein langer Tag.“

„Passt mir gut. Lukas ist diese Woche bei mir, für heute Abend planen wir Nudeln mit Tomate und einen Actionfilm.“

Elijah schaltete den Rechner aus. „Aber nicht Vin Diesel, huh?“

„Liam Neeson, Taken Eins Zwei Drei. Gestern hatten wir Eins, war gar nicht so schlecht, heute Zwei. Er will unbedingt Selbstverteidigung lernen und guckt sich jetzt all diese Filme an.“ Sie sagte, „Lukas ist jetzt vierzehn, so alt wie Amelie, als sie verschwand. Ich will, dass er lernt sich zu verteidigen.“

Elijah sagte, „Wie geht er mit der Situation um?“

Jo hatte ihm von ihrer Trennung erzählt. Sie und Thomas hatten sich danach, vor einem halben Jahr, Wohnungen nur einen Block voneinander entfernt genommen. Wegen Lukas, sie wechselten sich jede Woche mit ihm ab.

„Ich glaube, Lukas hat sich ganz gut abgefunden“, sagte Jo. „Thomas übrigens auch. Er hat bereits eine Neue.“

„Tatsächlich.“

„Lukas hat mir von ihr erzählt. Eine Frau, die ab und zu bei ihnen wäre. Mich stört das nicht, aber was ich nicht will, dass sich eine andere Frau einmischt. Bei Lukas, meine ich.“ Jo sagte, „Du triffst dich noch mit diesem Gielert?“

„Zum Training. Mal sehen, vielleicht weiß er ja, wer seiner Chefin im Nacken sitzt.“

„Unser Neuer, wer sonst“, sagte Jo. „Eschenbach will uns auf die Finger gucken.“

„Würde zu ihm passen, oder? Solange er uns dann trotzdem machen lässt, ist es mir egal.“

Jo sagte, „Training mit Gielert?“

„Gielert ist Ringer und kein schlechter.“ Elijah sagte, „Lukas wird von Filmen nicht viel lernen.“

„Na ja“, sagte Jo, „er könnte ja mal mit dir mitgehen.“ Und guckte.

Elijah zögerte. „Er wäre der einzige Jugendliche.“

„Vielleicht stört ihn das nicht.“

„Mmh.“

„Das wäre super“, sagte Jo.

„Ich hab noch nicht Ja gesagt.“

„Wirst du aber.“ Jo lächelte.

Elijah lächelte auch. „Nur, wenn du ihm zu den Nudeln noch eine Soße machst. Am besten Rinderhack, frisch vom Metzger. Wenn er trainieren will, braucht er mehr als leere Kohlenhydrate.“

Jo nahm ihren Mantel. „Ich werde deinen Einwand berücksichtigen, Herr Doktor.“

Elijah sagte, „Ich habe Eschenbach übrigens gesagt, dass ich glaube, Amelie wurde entführt.“

Jo lehnte sich gegen die Wand. „Du hast was?“

„Und dass ich glaube, der Entführer hat bereits ein weiteres Mädchen in seiner Gewalt.“

„Bitte?“

„Das hört sich jetzt vielleicht etwas vorschnell an-“

„Vielleicht etwas vorschnell?“

„Aber das ist es nicht“, sagte Elijah und nahm seine Jacke. „Ich habe so ein Bauchgefühl. Und du weißt, wie das mit meinem Bauch ist.“

„Moment, Moment“, sagte Jo, „du gehst mir nicht aus der Tür ohne mir etwas zu erklären.“ Sie sagte, „Du denkst also nun doch, Amelie wurde aus Trier entführt? Wir waren uns damals einig, dass sie weggelaufen war.“

„Ich sage nicht, dass Amelie aus Trier entführt wurde“, sagte Elijah. „Es könnte sein, es könnte nicht sein. Wir müssen das abklären, deshalb fahre ich morgen nach Frankfurt und spreche mit Mattheis. Deshalb werde ich auch mit Jankowsky reden und mit Niehring. Aber was auch immer das Ergebnis sein wird“, sagte er und zog die Jacke an, „ob direkt in Trier oder später, Jo: Amelie ist jemandem in die Hände gefallen.“

Schwesterherz

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