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Später im Besprechungsraum mit dem Whiteboard und dem Projektor an der Decke skizzierten Elijah und Jo für die anderen drei Teams noch einmal den Fall und die entscheidenden Stationen der vergangenen mehr als acht Monate. Elijah berichtete dann über die Festnahme vom Morgen, klappte sein Notizbuch zu und sagte, Das wars.

Neben ihm guckte Jo zufrieden und zugleich frustriert und sagte, dass sie das nächste Mal mitkommen würde, Verdammt nochmal. Er sagte, Das werden sie dir nicht erlauben, Jo. Ich weiß, aber dir erlauben sie es ja auch, und, Wir sind Monate hinter einem her, dann finden wir ihn, und irgendwelche Schwarzvermummten, die mit nichts etwas zu tun haben, nehmen ihn fest, und Verdammt frustrierend ist das.

Ich weiß, sagte Elijah.

Die anderen stimmten zu, weil es ihnen ja genauso ging.

Jetzt saß Elijah wieder in seinem Büro, Kaffeebecher links in der Hand, Computermaus rechts, Beine hoch und Boots neben dem Bildschirm und klickte sich durch die neuen Fotos auf ihrer Fahndungsliste. Füllte damit das Vakuum, das er jedes Mal spürte, wenn sie einen Fall abgeschlossen hatten, sein Gehirn, sein Kopf dann immer müde und leer.

Obwohl, heute würde er das so nicht formulieren.

Die Liste: Drei Überfälle, davon zwei auf Tankstellen, eine auf einen Supermarkt; dazu gab es unscharfe Schwarzweiß-Aufnahmen. Dann das Phantombild eines jungen Mannes, ein Kind fast noch, gesucht im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt im Drogenmilieu. Und zuletzt eine Sekretärin, fünfundfünfzig, die mit zweihunderttausend Euro ihres Chefs derzeit durch Europa reiste; ihr Fahndungsfoto, fand Elijah, sah aus, als würde sie sich damit bereits um einen neuen Job bewerben. Schwierig, in dem Alter. Aber er würde sie einstellen, sie hatte vermutlich ein paar Geschichten zu erzählen.

Würde er einem von ihnen draußen begegnen, wie sollte er ihn anhand solcher Bilder und Fotos erkennen? Die Sekretärin, sicher, aber die anderen? Kaum möglich. Elijah wusste das, zwanzig Jahre Erfahrung darin.

Er klickte die Seite weg, und sein Bericht über den Schweden erschien.

Zugleich ertönte der Jingle.

Bling.

Neue Mail.

Vor einer Woche hatte das angefangen, und er wusste immer noch nicht, warum der Jingle plötzlich da war. Vor allem nicht, wie er ihn abstellen konnte. Fragen ging nicht, sie würden ihn für einen Dinosaurier halten. Problem war, ignorieren ging auch nicht. Früher überprüfte er seine Mails einmal am Tag, manchmal auch nur einmal pro Woche, denn Dringendes besprach er immer persönlich oder am Telefon. Und nicht wirklich Dringendes hatte bei Elijah eine ziemlich gute Chance, gar nicht besprochen zu werden. Aber jetzt mit diesem Bling? Einmal gehört, musste er nachsehen. Was wohl auch die Absicht dahinter war.

Elijah setzte sich aufrecht und drückte Alt-Tab und wechselte in die Mailmaske. Erwartete eine Nachricht aus einer der anderen Abteilungen, Glückwünsche zum Gehirn.

Aber das war es nicht.

Absender: Eine Yahoo-Adresse mit dem Namen FuckYouLeblanc. An: Elijah Leblanc BKA. Betreff: Guck mal.

Er scrollte nach unten. Kein Text, nur ein Anhang. Eine Datei im jpg-Format. Ein Foto.

FuckYouLeblanc, na ja. Nicht sehr einfallsreich.

Elijah doppelklickte auf das Symbol und trank einen Schluck, während der Computer die Datei auf Schadsoftware scannte, und einen weiteren Schluck und dann noch einen, während sich die Datei öffnete. Sein Kaffee war schwarz und stark und heiß. Auf dem Becher stand FBI.

Er bekam häufig anonyme Mails und anonyme Anrufe mit oft genug unhöflicheren Ansprachen. Früher auch Faxe, heute aber zunehmend seltener, kein Wunder. Wer damit prahlen will, dass er seinem Opfer die Augäpfel herausgeschnitten und auf Holzstäbchen aufgespießt hat, der will nicht erst einen Brief schreiben, dann den Brief ausdrucken, in ein Faxgerät legen und den Knopf drücken und warten, bis irgendwann eine Verbindung aufgebaut wird, nur um festzustellen, dass der Brief mit der falschen Seite auf dem blöden Fax liegt und ihn dann noch einmal senden zu müssen. Oder? Nein, heute wurde gemailt und gesimst und getwittert und geyoutubed, auch von seinen Klienten aus der Berufsgruppe der Serienmörder und Serienvergewaltiger.

Waren das Wörter – gesimst, getwittert, geyoutubed? Er dachte nach, kam aber zu keinem Ergebnis und machte sich eine Notiz.

Elijah wollte gerade einen weiteren Schluck trinken, aber das Foto erschien jetzt auf dem Bildschirm und seine Hand mit dem Becher blieb auf halbem Weg zum Mund stehen.

Die Nahaufnahme einer jungen Frau, von der Hüfte an aufwärts. Gelber Pullover mit Stehkragen, Reißverschluss bis oben geschlossen, Arme vor der Brust verschränkt. Lange blonde Haare.

Und ein bekanntes Gesicht.

Amelie Bennett.

Elijah stellte den Becher ab.

Was zum ...?

Er spielte mit dem Zoom, vergrößerte das Foto und verkleinerte es wieder bis zur optimalen Größe und Schärfe und hatte keinen Zweifel.

Amelie Bennett.

Jeesus.

Auf dem Foto sah sie aus, als wäre sie Anfang zwanzig. Dabei war sie gerade mal vierzehn, als sie vor zwei Jahren verschwand.

Und seitdem galt sie als tot.

Amelie war bei Tageslicht fotografiert worden und im Freien, nicht in einem Raum. Das zeigten die Haarsträhnen, die auf eine Art in ihrem Gesicht lagen, wie es nur ein heftiger Wind fertig bringt. Wo draußen, konnte er jedoch nicht einmal ansatzweise vermuten.

Er rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und nahm dann seine Lupe griffbereit neben dem Bildschirm und guckte noch einmal. Rechts und links neben Amelies Oberkörper war gar nichts zu sehen, rechts und links neben ihrem Kopf nur die Andeutungen von Andeutungen von irgendwas. Das Foto konnte in einer Stadt aufgenommen worden sein oder einem Wald oder auf dem Mond.

Er legte die Lupe zurück und atmete aus.

Okay, Elijah, nochmal von vorne.

Die Augen. Amelie blickte direkt in die Kamera. Das Foto war also nicht heimlich aufgenommen worden; es war nicht einmal einer dieser Schnappschüsse, bei denen jemand eilig und ohne nachzudenken auf den Auslöser drückte. Nein, Amelies Fotograf hatte sich Zeit genommen, und Amelie hatte ihm die Zeit gegeben. War stehen geblieben, hatte die Arme verschränkt, gewartet auf das Klicken der Kamera. Aber ohne zu lächeln.

Ihr Gesichtsausdruck war ... hm, neutral, am ehesten. Kein Lächeln, kein Weinen, keine Wut. Keine Trauer, Freude, Verzweiflung. Höchstens eine Augenbraue schien nach oben gezogen, aber das konnte täuschen. Was das alles zu bedeuten hatte, wusste er nicht.

Elijah lehnte sich wieder an, seine Stuhllehne quietschte. Er neigte den Kopf nach rechts und links und spürte das vertraute Knacken in seinem Hals und spürte kurz darauf den Druck nachlassen.

Der nächste Schritt war klar.

Er kopierte das Foto, sendete es an sein eigenes Mobiltelefon und leitete die Mail samt Anhang an George weiter. George hatte Möglichkeiten.

Elijah schloss die Augen. Sein Puls schlug hart gegen die Lider.

Amelie Bennett.

Wie konnte das sein?

Und wer hat ihm das Foto geschickt? Und wer hat das Foto gemacht?

„Kaffee?“

Elijah öffnete die Augen in derselben Sekunde, in der sein Daumen und Mittelfinger Alt-Tab drückten. Die Mail verschwand vom Bildschirm, der Bericht erschien.

Er drehte sich um. „Aus deiner Maschine? Nein, danke.“

Jo kam näher. Lässig, geschmeidig, wie sie das konnte mit ihrem yogatrainierten Körper, in ihrer Designerjeans mit Rissen über den Knien, die weiße Bluse drei Knöpfe offen und locker über den Bund hängend. Er mochte Jo. Sie war tüchtig und schlau, er arbeitete gerne mit ihr zusammen. Aber den Kaffee aus ihrer Maschine mochte er nicht.

Er war zufrieden über seine schnelle Reaktion an der Tastatur, aber verwirrt über seine Motive. Warum hatte er die Mail weggedrückt? Er sollte sie Jo zeigen, das ging sie schließlich genauso an.

„Ich dachte, wir hätten das hinter uns“, sagte Jo, eine blonde Strähne aus ihrem Gesicht wischend. „Mein Kaffee ist nicht schlechter als deiner, schon vergessen?“ Sie bekam keine Antwort und sagte, „Aber ich sehe, du hast schon.“

Jo spielte auf diesen Test vor ein paar Wochen an, Blindverkostung mit den Kollegen, ihr Kaffee gegen seinen, fast professionell mit frisch gespülten Bechern. Drei Kollegen hatten sich für seinen Kaffee entschieden, die Bohnen frisch gemahlen und mit heißem, aber nicht mehr kochenden Wasser aufgegossen und langsam durch seine French Press gedrückt. Aroma, Aussehen, Geschmack, alles besser. Aber aus unerfindlichen Gründen hatten die anderen drei Jos Kaffee für besser befunden, teures Pulver per Knopfdruck aus kleinen goldenen Kapseln gepresst. Er hatte Betrug gewittert.

Elijah nickte. „Uh-huh.“

Jo beugte sich über seine Schulter. Das Gebräu in ihrer Hand roch nicht übel und ihm wurde bewusst, dass er seit einer halben Stunde vor der Mail saß und sein Becher ebenso lange leer war.

„Geyoutubed?“ Sie nahm seinen Notizblock. „Ist das ein Wort? Gesimst, getwittert, hab ich beides schon gehört. Aber geyoutubed?“

„Wenn getwittert ein Wort ist, dann auch geyoutubed“, sagte Elijah. „Oder?“

Jo legte den Block zurück und sagte, „Und an was arbeitest du sonst noch?“

„Mein Bericht von heute Morgen.“ Er sagte, „Ich schick ihn dir dann rüber.“

Nach nebenan in ihr Büro, meinte er damit.

Aber vielleicht verstand Jo seinen Wink nicht oder sie ignorierte ihn, jedenfalls blieb sie stehen und sagte, „Hör mal, ist alles in Ordnung? Du bist so ...“

Elijah nahm seinen Becher und stand mit einem Ruck auf, die Rollen kratzten über den Boden. „Du bist so ... Was?“

Jo machte einen Schritt zur Seite. „Munter plötzlich. Und vorher ... ein bisserl patzig.“

„Ich bin nicht patzig“, sagte er, „ich hab nur viel zu erledigen. Der Bericht und noch ein paar andere Sachen.“

„Was? Plätzchen backen?“

„Hat nichts mit dir zu tun, Jo. Wolltest du etwas Bestimmtes oder nur Kaffee?“

Jo umklammerte ihren Becher jetzt mit allen zehn starken Fingern.

„Ja, da ist etwas“, sagte sie. „Ich habe eine Mail bekommen. Die solltest du dir ansehen.“

Schwesterherz

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