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Einmal mehr öffnete Elijah jetzt die Tür zu dem Büro von George, dem Endzwanziger mit schief aufsitzender Baseballkappe an der Arbeitsplatte groß wie eine Rittertafel mitten im sonst leeren Raum. Eine Sonderanfertigung, der Schreibtisch, George hatte bei seiner Einstellung darauf bestanden. Als er das erste Mal hier war, hatte Elijah, gerade fünf Jahre USA hinter sich, Georges Namen englisch ausgesprochen, gedacht, der junge Kerl hinter den vier Bildschirmen wäre von drüben und George wäre sein Vorname – Boston Red Socks auf der Kappe, Yale University auf dem weiten Shirt, da konnte man schon darauf kommen.

Ge-Or-Ge, hatte der ihn verbessert, genau wie der deutsche Schauspieler, wie der Horst Schimanski von der Kripo Duisburg.

Elijah kannte weder den Schauspieler noch diesen Schimanski, woher sollte er auch einen Duisburger Kripobeamten kennen, und war bei seiner englischen Aussprache geblieben.

George hatte nichts dagegen. Im Gegenteil.

Elijah sah George wie immer bananenkrumm vor den Schirmen sitzend mit, wie immer, dieser Musik aus dem Lautsprecher. Gangsta Rap. Hilfe von George hatte eben seinen Preis.

George guckte nicht hoch als er sagte, „Komm rein Elijah und mach die Tür zu. Es zieht.“

Sein Begrüßungswitz. In Georges Büro konnte es nicht ziehen; es lag im Keller und war ohne Fenster und hatte nur diese eine Tür. Auch darauf hatte er bestanden.

Aber anders als sonst war George nicht allein. Drei Bundeskriminale in dunklen Anzügen standen herum, als hätte jemand sie abgestellt und dann vergessen. Den mit den grauen Schläfen kannte er, Franz Gielert, früher Zielfahnder und jetzt ranghoch in der Abteilung IK, Internationale Koordinierung. Kümmerte sich um die Verbindungsbeamten in Asien. Die beiden Jüngeren gehörten wohl zu ihm.

Elijah zog die Tür zu und sagte, „Was macht ihr denn hier?“

„Uns wurde gesagt, wir sollten dazu kommen“, sagte Gielert, und Elijah sah ihn mit seinen massiven Schultern zucken.

Gielert schien tatsächlich keine Ahnung zu haben, warum er hier war.

Elijah dachte einen Moment darüber nach, kam zu keinem Ergebnis und ging zu George. „Du hast geschrieben, ihr habt schon etwas gefunden?“

„Haben wir. Setz dich. Und ... hier.“

Auf dem Bildschirm drehte sich eine Drei-D-Animation langsam um die eigene Achse.

Elijah sagte, „Ist das von meinem Foto?“

George nickte. „Das ist der Hintergrund. Hinter dem Mädchen.“

„Amelie“, sagte Elijah.

„Das Mädchen heißt Amelie?“

„Hieß, George, hieß.“

„Oh.“

Elijah sagte, „Aber hinter Amelie“, und zog einen Stuhl heran und setzte sich, „da gab es keinen Hintergrund. Zumindest habe ich nichts von irgendeinem Hintergrund gesehen. Nichtmal mit Lupe.“

„Ich hab auch nichts gesehen, aber meine Trisha hat. Und ganz im Ernst? Dass sie das hier aus deinem Foto herausholt, und so schnell, das grenzt an ein Wunder. Du darfst mich daher ab sofort Genie nennen.“ Ein Lächeln erschien und verschwand. „Nenn mich nicht Gott, dabei würde ich mich nicht so gut fühlen, meine Oma kocht einmal die Woche für den Pastor. Aber Genie, das wäre in Ordnung.“

Hinter sich hörten sie Lachen, und Elijah sah George zusammenzucken.

Trotz Baseballkappe und Gangsta Rap und müden Witzen war George Elijahs erster Ansprechpartner, wenn es um Fotos ging. Und das hatte einen einfachen Grund: George lieferte von allen Bildspezialisten des BKA die besten Ergebnisse und, Bonus, er war in seinen jungen Jahren von seinem Beamtenstatus noch nicht verdorben und arbeitete schnell. Und in Elijahs Geschäft kam es auf Schnelligkeit an. George allerdings hatte nie eine Waffe getragen und nie draußen auf der Straße ermittelt, was sich im Laufe der Zeit zu einem Problem für ihn entwickelte. Er hatte begonnen, sich nicht als vollwertigen Bundeskriminalen zu sehen. Und andere, meist jüngere Kollegen, taten das auch, nannten ihn den Computerhansel und den Geek im Keller. Und darunter litt George wie ein Hund. Der Gangsta Rap mochte darin seinen Ursprung haben.

„Nicht jedem bei uns scheint klar zu sein, was du hier leistet, George“, sagte Elijah laut genug für alle. „Aber ich weiß, dass du ein Genie bist.“

„Danke“, sagte George leise.

George drückte dann auf die Maus und die Animation fror ein. „Also, was haben meine Trisha und ich mit deinem Foto angestellt – zunächst haben wir das Mädchen ... Amelie herausgefiltert. Logisch, wir wollten ja zunächst den Hintergrund. Das Gesicht von Amelie vermesse ich, sobald wir hier fertig sind, aber ich brauche natürlich Vergleichsmaterial. Danach haben wir-“

„George, bitte“, sagte Elijah, „Kurzform, ja?“

„Okay, okay, kurz dann. Schade, aber okay. Also, wir haben die Andeutungen neben Amelies Kopf berechnet und zusammengefügt und schließlich ergänzt. Voilà.“ George sagte, „Kurz genug?“

„Danke“, sagte Elijah. „Das alles befand sich also hinter Amelie? Ich meine, zum Zeitpunkt der Aufnahme?“

„Richtig.“

„Das hier ... ist das eine Straße?“ Elijah zeigte auf den Schirm. „In Frankfurt vielleicht? Bahnhofsviertel?“

„Bahnhofsviertel? Das ist keine Straße“, sagte George, „das ist – siehst du das nicht?“

Elijah beugte sich zum Bildschirm und drehte den Kopf. „Eine ... ein ...“

„Ein Fluss“, sagte George.

„Ein Fluss? Dieser krumme Streifen ist ein Fluss? Was, der Main?“

„Nicht der Main. Und nicht irgendein Fluss. Wenn ich mit allem anderen Recht habe, dann ist das der Huangpu.“

„Der was?“

„Der Huangpu. Wenn ich Recht habe, das heißt, wenn Trisha Recht hat ... na ja, meine Pension würde ich dieses Mal nicht darauf verwetten. Es waren eben sehr wenige lesbare Informationen auf dem Foto. Vielleicht wollte der Fotograf nicht, dass vom Hintergrund etwas zu sehen ist. Aber er hats dann doch vermasselt.“ George sagte, „Hinter dem Fluss, siehst du das? Die Skyline?“

„Diese Striche sind eine Skyline?“

„Wahrscheinlich. Und wenn es eine Skyline ist, und der Fluss ist der Huangpu, dann ist auch klar, welche Stadt das ist. Denn diese Skyline ist mittlerweile weltbekannt. Na ja, vielleicht nicht in deiner Welt.“ George sagte, „T’schuldigung, Elijah, aber ich bin etwas aufgedreht, zu viel Tee und dann das hier ... Guck nochmal genau hin.“

Elijah tat genau das, erkannte aber nicht mehr als zuvor.

Gielert kam heran und legte seinen Arm auf Elijahs Schulter und guckte ebenfalls.

George drückte auf die Maus, die Musik wurde leiser, und er sagte, „Du weißt also wirklich nicht, wo das ist?“

„Okay, George, du hast einen Wissensvorsprung. Du weißt etwas, was ich nicht weiß, herzlichen Glückwunsch dazu. Wo ist das?“

„Mensch, Elijah, du bist wirklich ne Nummer“, sagte Gielert. „Die Skyline kennt doch mittlerweile jeder. Hier“, sein Fingernagel klackte gegen den Bildschirm, „der neue Turm, wie gedreht, gedrechselt. Das ist der Shanghai Tower. Herr George, oder? Mehrere Hundert Meter hoch das Ding.“

„Sechshundertzweiunddreißig“, sagte George. „Ich hab vorhin nachgeguckt. Meter, meine ich. Wow, oder? Innenausbau ist noch nicht ganz fertig, aber dann wirds die für lange Zeit teuerste Adresse in Shanghai. Hab ich auch gelesen.“

Elijah sagte, „Shanghai? Nicht Frankfurt? Bist du sicher?“

Und einer der Jüngeren hinter ihm sagte auch, „Shanghai?“, und dann, „’Ey, Franz, ist nicht diese Emma nach Shanghai gegangen? Emma, die früher bei uns beim IK war, aber vor meiner Zeit? Diese Heiße ... Rote Lockenmähne? Die sogar mal ein Angebot vom Playboy bekommen hat, aber die hat abgesagt?“

Gielert nickte.

George sagte, „Sicher bin ich sicher.“

Elijah sagte nichts.

„’Ey, die hatte doch mit einem Typen von der OFA was am Laufen, aber dann hat sie sich lieber einen unserer Personenschützer geschnappt und ist zu dem nach Shanghai. An die Botschaft. Kramer, oder? Ja, die ist jetzt mit dem Kramer zusammen. Playboy-Emma ... du musst dich doch an die erinnern, Franz.“

Gielert drehte sich um und sagte, „Wir wissen, wen du meinst, Hek. Lass jetzt gut sein, okay?“

„Also, ich kannte die ja nicht wirklich, aber wie die aussah, ’ey, ich hab jedes Mal ne Beule ... wenn die im Flur an mir vorbei ist in ihren Schuhen und ihrer Bluse und mit ihrer Mähne, da konnte meine Hose gar nicht weit genug sein. Ob die naturrot war?“ Hek grinste. „Bestimmt. Muss schon ein Idiot sein, dieser OFA-Typ, die Emma ziehen zu lassen. Wüsste ja mal gerne, wie es der jetzt so geht.“ Hek nickte. „Ja, Playboy-Emma. Baby baby baby.“

Und es war still im Raum.

Schwesterherz

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