Читать книгу Schwesterherz - Stephan Lake - Страница 14
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Оглавление„Wenn wir eine unbekannte Tote haben“, sagte Mattheis dann und rutschte tiefer in seinen Stuhl, „bevor wir in Inpol suchen, sehen wir natürlich als erstes nach, ob wir die Tote bereits einmal hier hatten ... also, hier bei uns im Haus, als sie noch lebte. Denn dann wäre sie auch bei uns im Computer. Haben wir bei Amelie natürlich auch gemacht. Aber sie war nicht im Computer. Gut, zunächst haben wir gedacht, ist sie eben bei unseren Kontrolltagen durchs Netz gefallen, kommt vor, sowas. Wir gucken hier hauptsächlich nach nicht angemeldeter Prostitution in Wohnungen, in Bordellen, nach Ausländerinnen ohne Aufenthaltsgenehmigungen aus Osteuropa, Afrika, Thailand, Lateinamerika. Natürlich immer auch nach Jugendlichen. Aber unsere Tote war blond, sah deutsch aus – uh, vor Gericht darf ich das nicht sagen, die nehmen mich auseinander. Also, nur unter uns: sie sah deutsch aus. Und älter als zwanzig Jahre ...“. Er zuckte mit der Schulter. „Wir haben hier alleine in den Bordellen mehr als Eintausend Frauen. Konnte also gut sein, dass sie uns durchgerutscht ist. Aber dann habe ich ihr Foto den Straßenkollegen gezeigt, also denen von uns, die tatsächlich jeden Tag auf der Straße unterwegs sind. Aber auch von denen kam nur Kopfschütteln. Und die kennen jedes Gesicht.“ Er legte den Rest seines Brötchens hin, wischte wieder seine Finger am Papier. „Wie gesagt, wir haben sie dann in Inpol gefunden, aber das andere hat uns stutzig gemacht. Deshalb sind wir zurück. Und nachdem auch keiner der anderen Hausbewohner die junge Frau je gesehen hat, haben wir ausgeweitet und im Viertel rumgefragt. Und wissen Sie was?“
„Ohne Ergebnis?“
„Genau. Amelie wurde seit zwei Jahren vermisst. Und niemand hier kannte sie?“
„Sie kann in anderen Städten gewesen sein“, sagte Elijah.
„Kann, stimmt. Ist aber ganz selten so. Erfahrungswerte. Jugendliche, die von zuhause weglaufen und in irgendeiner Stadt hängen bleiben und dort in der Prostitution landen, bleiben in dem meisten Fällen auch in dieser Stadt. Besonders in einer Stadt wie Frankfurt, die viel zu bieten hat. Es gibt keine Wanderbewegungen zwischen den Städten. Bei Callgirls, die mehrere Hundert Euro pro Stunde verdienen, ja. Frauen im höheren Bordellsegment, klar. Aber nicht Jugendliche und definitiv nicht die Frauen vom Straßenstrich. Die bleiben zuhause, sozusagen. Ich hab gar nicht gefragt, ob Sie Milch und Zucker für Ihren Kaffee wollen.“
Elijah schüttelte den Kopf.
„Oder vielleicht ne Salbe für Ihren Ellbogen, den Sie sich da dauernd reiben? Ich hab was hier, hat mir mein Arzt verschrieben für meine Knie. Mit Cortison.“
„Schon gut, das hab ich öfter“, sagte Elijah. „Zwei Tage, dann ist das weg.“
„Hab ich früher auch immer gesagt, heute nicht mehr. Aber wie Sie wollen, ist ja Ihr Ellbogen. Falls Sie es sich anders überlegen, die Tube liegt nur einen Handgriff entfernt in der Schublade hier.“ Mattheis nahm wieder vom Kartoffelsalat und kaute. „Herr Leblanc, ich muss Ihnen sagen, so gut habe ich nicht mehr gefrühstückt, seit meine Frau zu meinem Kumpel gezogen ist.“
„Ihre Frau zu ...? Oh Mann“, sagte Elijah, „das ist hart.“
„Dass meine Frau zu meinem Kumpel gezogen ist? Scheiße, nein. Vorher ist er immer zu uns nach Hause gekommen, während ich im Dienst war, das war hart.“ Mattheis trank und sagte, „Aber ich bin darüber hinweg. Wir hatten uns eh auseinandergelebt.“
„Na“, sagte Elijah, „das macht die Scheidung etwas erträglicher, könnte ich mir vorstellen.“
„Die Schei-? Nein, ich meinte, mein Kumpel und ich, wir hatten uns auseinandergelebt.“ Mattheis sagte, „Egal. Jemand im Viertel hätte Amelie kennen müssen, irgendjemand. Aber niemand kannte sie. Und wissen Sie was? Wir haben dann sogar in der Toleranzzone gefragt, Straßenstrich, Theodor-Heuss-Allee.“ Er nickte hinter sich auf die Karte. „Aber auch da: Nichts. Null. Aber einige der Zuhälter sind glatt ausgeflippt, als sie gehört haben, wie alt die Amelie war. Offensichtlich gibt es unter denen gerade eine Abmachung, nicht jünger als achtzehn. Damit sie mit uns mal wenigstens eine Weile lang keine Probleme bekommen.“
„Also war Amelie neu in Frankfurt.“
„Neu und nicht vernetzt, davon können wir ausgehen. Sie kann nicht länger als ein paar Tage hier gewesen sein. Und sie war auf sich alleine gestellt.“ Mattheis sagte, „Aber das ist immer noch nicht alles.“
Elijah lehnte sich zurück. Er hatte zu essen aufgehört.
„Wir haben dann den Analysebericht bekommen, von dem kleinen Rest aus ihrer Spritze. Acht“, sagte Mattheis, „aber nicht irgendwelches. Triple A. Allerbeste Qualität.“
„Heroin?“
Mattheis nickte. „Sie kennen sich aus.“
„Der achte Buchstabe im Alphabet“, sagte Elijah. „Genau wie bei den Rechten. Acht für Hitler.“
„Beides ein scheiß Gift“, sagte Mattheis. „Auf der Straße sind sie erfinderisch, wenns um Namen geht. Antifreeze, Aries; Atom Bomb ist Heroin mit Marihuana. Bad Bundie, wenn sie das Zeugs mit Milchzucker strecken oder wenns nass geworden ist, weil sich einer von denen vor Angst in die Hosen gemacht hat. Ballot, Big H ... Black H ist Heroin mit Coffein, das wär vielleicht was für Sie und mich. Dann noch Bohnen, Boy, Brown Sugar. Und das sind nur die Straßennamen für Heroin, die mit A und B anfangen. Und nur die Namen für Heroin ... Bei uns bekommen Sie noch Amphetamine, Marihuana, Crack, Kokain, dann das ganze Kräuterzeugs, Ecstasy, DDs, also die Designerdrogen ... Und für jedes gibts ein halbes Dutzend weitere Bezeichnungen. Die neuen Kollegen bekommen von uns an ihrem ersten Tag eine Liste mit allen Namen für alle Drogen, die müssen die dann auswendig lernen. Die setzen sich hin wie früher in der Schule beim Vokabellernen, die fragen sich sogar gegenseitig ab.“
Als Elijah lächelte, sagte Mattheis, „Ehrlich, kein Witz. Einer von uns lässt dann einen Vokabeltest schreiben, so nennen wir das wirklich, und wer von denen einen Namen falsch hat, der muss eine Woche lang den Kaffee besorgen. Damit kommen wir meist übers Jahr.“
Elijah lachte.
„Das Problem bei Amelies Ware“, sagte Mattheis dann, „wir haben bislang noch niemanden gefunden, von dem sie den Stoff gekauft haben kann.“
„Wundert nicht, oder?“, sagte Elijah. „Wer würde schon den blöden Bullen gegenüber zugeben, einer Jugendlichen Heroin verkauft zu haben? Besonders, wenn sie daran gestorben ist?“
Mattheis schüttelte den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich meine die Qualität. In dieser Qualität, wie es in Amelies Spritze war, gibt es momentan kein Heroin. Nicht mal ein Szeneviertel. Nicht in Frankfurt. Vermutlich sogar nirgendwo in Deutschland.“
„Szeneviertel?“
„Ah, Sie wissen doch nicht alles“, sagte Mattheis. „Szeneviertel, hundert Milligramm.“
Elijah dachte darüber nach und sagte, „Vielleicht aber in Shanghai.“
Als Mattheis guckte, nahm Elijah sein Telefon aus der Jacke und zeigte ihm das Foto.
„Amelie“, sagte Mattheis. „Lebend. Ist das dieselbe Kleidung, in der wir sie gefunden haben?“
„Sieht so aus.“
„Von wem haben Sie das?“
„Gestern per Mail bekommen“, sagte Elijah, „anonym. Unsere IT arbeitet dran. Aber ich weiß bereits, wann und wo das Foto gemacht wurde. Shanghai, am vergangenen dreiundzwanzigsten Dezember.“
„Drei Wochen vor ihrem Tod“, sagte Mattheis. „Stand das in der Mail?“
„Nein. Bei uns arbeitet ein Genie, der kann einiges aus einem solchen Foto herausholen.“
„Haben Sie seine Telefonnummer? So ein Genie könnte ich ab und zu mal gebrauchen.“ Mattheis lachte, wissend, dass er nur in absoluten Ausnahmefällen und mit einem ganzen Sack voll bürokratischer Umwege jemals den Bildspezialisten des BKA würde nutzen können. Und guckte erstaunt, als Elijah auf seinem Telefon tippte und ihm dann die Durchwahl von George vorlas.
„Für den Notfall“, sagte Elijah. „wenns mal wirklich sehr schnell gehen muss. Sagen Sie ihm, Sie hätten die Nummer von Elijah Leblanc.“
Mattheis hatte mitgeschrieben und nickte. „Erst Frühstück, jetzt das“, sagte er. „Wenn Sie hier rausgehen, schulde ich Ihnen mehr als meiner Bank. Elijah Leblanc“, sagte er dann, „Elijah, ja, jetzt weiß ich auch, woher ich Ihren Namen kenne. Bei Ihrem Nachnamen hats noch nicht gefunkt, aber Elijah ... Gestern Nacht hab ich noch die Geschichte über Sie gehört, die Kollegen mit den schwarzen Masken haben das erzählt, die hattens frisch aus Wiesbaden. Sie sind der, der diesen Typen geschnappt hat. Den irgendein Bekloppter von der Presse Das Gehirn getauft hat. Neun Frauen den Kopf aufgeschlagen und das Gehirn gegessen, unglaublich ... Ja, Elijah Leblanc.“
Elijah nickte und trank seine Tasse leer.
Mattheis sagte, „Hey, ich muss Sie fragen, Leblanc: Sind Sie wirklich zu dem ins Zimmer und hatten Ihre Waffe nicht gezogen?“
Elijah sagte, „Er hat geschlafen.“
„Ja, aber was, wenn nicht? Wenn er auf Sie gewartet hätte mit seiner, was hatte der? Eine Zweiundzwanziger, oder? Was dann? Die Löcher sind kleiner als die von einer Neun Mill, aber es sind verdammte Löcher.“
„Dann hätte ich wenigstens nicht mehr mit Jankowsky reden müssen.“ Elijah stand auf.
„Sie denken auch nur an sich, Leblanc“, sagte Mattheis grinsend. „Aber ich, ich hätte heute kein Frühstück bekommen. Und nicht die Telefonnummer eines Genies.“
Elijah streckte seine Hand aus. „Danke für Ihre Zeit, Mattheis. Sie haben mir geholfen.“
Mattheis schüttelte den Kopf und stand auf und wischte die Hand an seiner Hose und drückte Elijahs Hand. „Nein, ich danke, Frühstück und alles. Halten Sie mich auf dem Laufenden mit Amelie.“
Elijah nickte. „Werde ich. Und wenn Sie noch etwas finden, vielleicht doch den Verkäufer ...“
„Rufe ich an.“ Mattheis sagte, „Vielleicht erwische ich Sie ja in Shanghai, huh?“