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Tag 49

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23. Oktober 2013

Manfred Götzl, Richter. Andreas M., 52, Kriminaloberkommissar aus Rostock, Ermittler im Mordfall Mehmet Turgut. Bernd S., 57, Kriminalhauptkommissar aus Rostock. Andreas S., 48, Kriminalhauptkommissar aus Rostock. Ronald P., 49, Kriminalhauptkommissar aus Rostock. Haydar A. 45, Besitzer des Dönerstands in Rostock, in dem Mehmet Turgut im Februar 2004 ermordet wurde. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe. Olaf Klemke, Nicole Schneiders, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Bernd Behnke, Hardy Langer, Anwälte der Nebenklage.

Andreas M. Als wir am 25. Februar 2004 am Stand von Mehmet Turgut eintrafen, war der Dauerdienst schon vor Ort. Es machte den Eindruck, als sei der Laden gerade erst geöffnet worden. Später stellten wir fest, dass auch die Kaffeemaschine frisch angesetzt worden ist. Zwei Projektile steckten im Boden. Ein Projektil hat noch im Kopf des Geschädigten Mehmet Turgut gesteckt.

(Bilder vom Tatort werden gezeigt, der Zeuge setzt seine Brille auf.)

Zum Tatort kommt man nur durch eine Sackgasse. Als Einheimischer war ich noch nie an diesem Ort, eigentlich fahren nur Anwohner da lang. Was sucht jemand hier in diesem Bereich? Da hatten wir keine Erklärung für. In der Nähe gibt es eine Hauptstraße, die zur Autobahn A 19 führt.

Der Dönerimbiss bestand aus einem Container, beschmiert mit Graffiti. Wir fanden noch frisch geschnittenes Gemüse im Container. Der Tote hatte Geld in der Hosentasche; auch im Container konnten wir Bargeld sicherstellen. Die Menschen, die hier reingekommen sind, wollten nicht rauben oder zerstören, die wollten nur töten. Die Spuren, die wir am Tatort gefunden haben, lassen den Schluss zu, dass die Täter in den Imbisswagen hineingegangen sind und das Opfer fixiert und getötet haben.

Verteidigerin Sturm Auf welcher Spurenlage beruht Ihre Einschätzung?

Andreas M. Bei Mordtaten sind meistens andere Spuren zu erwarten. Die Täter hätten durch die Scheibe schießen können. Üblich wäre auch gewesen, dass sich irgendwelche Spuren eines Kampfes finden. Das Opfer muss auf dem Boden fixiert worden sein, und dann sind die Schüsse gesetzt worden. Es fanden sich keine Spuren von Blut an den Gerätschaften des Imbisswagens oberhalb des Fußbodenniveaus. Das müssen fast aufgesetzte Schüsse gewesen sein.

Verteidiger Klemke Das Opfer kann sich ja auch freiwillig hingelegt haben.

Andreas M. Ob das ein Mensch freiwillig macht, lasse ich mal so im Raume stehen. Ich gehe davon aus, dass keiner einfach stillhält und sich erschießen lässt. Das ist meine Sicht der Dinge.

Verteidiger Klemke Das ist Ihre Sicht der Dinge. Können Sie denn ausschließen, dass sich das Opfer bewegt hat?

Andreas M. Ausschließen kann ich nichts.

(Kriminalhauptkommissar Bernd S. wird als nächster Zeuge in den Gerichtssaal gerufen.)

Bernd S. Wir haben circa 300 Euro Bargeld aufgefunden, unter anderem in der Hose des Toten, und sind demnach nicht von Raub ausgegangen. Ein Zeuge hat ausgesagt, er sei noch um zehn Uhr am Imbiss gewesen und habe das Opfer dort noch angetroffen. Um 10.10 Uhr sei er wieder weggefahren. Damit konnte die Tatzeit auf 10.10 bis 10.20 Uhr eingegrenzt werden. Wir fanden keinerlei DNA oder Fingerabdrücke.

Während der Ermittlungen ergaben sich Hinweise, dass sich das Tötungsdelikt möglicherweise aus dem Bereich der organisierten Kriminalität herleiten lassen könnte. Es gab verschiedene Hinweise auf Geldwäsche und mögliche Rauschgiftdelikte. Deshalb haben wir auch Ermittlungen in Richtung der Familie Turgut unternommen und auch der Familie des Imbissbesitzers Haydar A.

Götzl Welche Maßnahmen wurden da getroffen? TKÜ beispielsweise?

(Götzl spricht von Telekommunikationsüberwachung also dem Abhören von Telefonaten und E-Mail-Verkehr.)

Bernd S. Ja, TKÜ, ja.

Götzl Haben Sie selbst mit den Angehörigen Kontakt gehabt?

Bernd S. Nee.

Anwalt Langer (liest von einem Schreiben ab) Sie haben am 4.3.2005 einen Vorschlag für eine Presseerklärung gemacht. Darin heißt es: Ein ausländerfeindlicher Hintergrund kann derzeit ausgeschlossen werden. Wie kamen Sie zu dieser Einschätzung?

Bernd S. Es gab keinerlei Hinweise in diese Richtung.

Anwalt Langer Aber wie kann man eine Richtung schon nach einer Woche Ermittlungen ausschließen?

Bernd S. So wie wir ausgeschlossen haben, dass es sich um einen Raub handelte, haben wir auch dies ausgeschlossen.

Anwalt Langer Was lag denn vom Landesamt für Verfassungsschutz und dem Staatsschutz vor?

Bernd S. Die Behörden waren an unseren Ermittlungen beteiligt und haben auch an Beratungen teilgenommen. Wenn die uns sagen, sie haben nichts, dann müssen wir das so hinnehmen.

(Der nächste Zeuge ist Kriminalhauptkommissar S.)

Andreas S. Die Verwandtschaft des Opfers aus Schwerin meldete sich bei uns, dass das Opfer eigentlich Mehmet und nicht Yunus heiße, wie wir ursprünglich ermittelt hatten. Es hieß, die Brüder hätten die Personalien in der Türkei getauscht, angeblich um den Wehrdienst in der Türkei zu vermeiden. Demnach handelte es sich bei dem Toten um Mehmet Turgut, geboren im Jahr 1977.

Verteidigerin Schneiders Wie war denn die Kooperationsbereitschaft des Bruders?

Andreas S. Er hatte damals Einreiseverbot und war wohl nicht bereit, mit der deutschen Polizei zusammenzuarbeiten. Er meinte, er würde lieber Detektive beauftragen.

Verteidigerin Schneiders Wissen Sie noch, von welchem Geld er sie bezahlen wollte?

Andreas S. Er sprach davon, dass er in Deutschland Drogen verkaufen wollte.

(Es folgt der Zeuge P., ebenfalls Kriminalhauptkommissar aus Rostock.)

Ronald P. Aus der Ausländerakte des Opfers ging hervor, dass er 1994 erstmalig aufgefallen war: Damals wurde er als Schüler eingeschleust. Im Februar 1995 stellte er einen Asylantrag, der aber negativ beschieden wurde. Er hielt sich daraufhin unerlaubt in Deutschland auf. Als seine Duldung auslief, ist er für die Behörden verschwunden. 1996 wurde er festgenommen und abgeschoben. Ende 1998 gab es einen ähnlichen Verlauf: Er erschien in Hamburg und stellte dort einen Asylantrag. Er erklärte, dass er in seinem Dorf in der Türkei Repressalien ausgesetzt sei. Wieder gab es eine Ablehnung und wieder verschwand Mehmet Turgut. Im Mai 2000 wurde er aufgegriffen und wieder abgeschoben. Im August 2003 tauchte er wieder auf, es kam zur Festnahme durch das Zollamt Stralsund. Er wurde in die JVA Bützow nahe Rostock verbracht. Er stellte einen Asylfolgeantrag, der wiederum abgelehnt wurde. Im November 2003 verliert sich die Spur.

Anwalt Behnke Wir verwahren uns dagegen, dass irgendwelche Ermittlungsverfahren gegen das Opfer Eingang in das Verfahren nehmen.

Götzl Worauf zielt das?

Anwalt Behnke Es heißt, dass immer wieder nach dem Aufenthaltsstatus gefragt worden sei. Vom vorigen Zeugen hieß es, dass Drogen verkauft werden sollten.

Götzl Mir geht es darum, ein Bild von der Persönlichkeit des Opfers zu gewinnen.

(Der nächste Zeuge ist Haydar A., der Besitzer des Dönerstands.)

Haydar A. Am Vortag hatte Bayern München gegen Real Madrid gespielt. Ich hatte mir das Spiel mit meinem Neffen angeschaut und dann bei ihm übernachtet. Am Morgen bin ich dann zum Großhändler. Ich hatte mich verspätet. Eigentlich wollte ich den Imbiss um zehn Uhr öffnen, aber ich kam erst gegen 10.15 Uhr dort an. Ich rief, er solle kommen, um zu helfen, die Sachen aus dem Wagen zu laden. Dann habe ich die Tür geöffnet und sah Blut am Boden. Ich habe gefragt, was ist los? Als keine Antwort kam, habe ich um Hilfe gerufen.

Götzl Wie lag das Opfer?

Haydar A. Der Kopf war seitlich, die Füße lagen in Richtung Tür. Ich glaube, er lag mit dem linken Ohr auf dem Boden, aber das weiß ich nicht mehr so genau. Er lebte noch, deshalb versuchte ich, ihn in meinen Wagen zu bringen, aber er war schwer.

Götzl War er bei Ihnen beschäftigt gewesen?

Haydar A. Er war nur mein Gast. Er war ein guter Mensch, ein armer Junge. Er kam aus dem gleichen Dorf wie ich und sprach nicht viel.

Götzl Seit wann war er bei Ihnen Gast, wie Sie sagen?

Haydar A. Seit circa drei Wochen.

Götzl Hat er Ihnen in der Zeit geholfen bei Ihrem Kebap-Grill?

Haydar A. Ja. Wir hatten noch einen anderen Imbiss in der Nähe, er fuhr dorthin und wieder zurück.

Götzl Hatten Sie vereinbart, dass er an dem Tag da ist?

Haydar A. Ja, er hatte den Schlüssel.

(Am Ende des Verhandlungstags verkündet Richter Götzl einen Beschluss des Gerichts. Es geht um den Mord 2006 in Kassel und die Rolle des Verfassungsschutz-Beamten Andreas Temme, der sich am Tatort aufgehalten hatte und deshalb unter Tatverdacht geraten war. Die Richter lehnen einen Antrag ab, sämtliche 35 Akten der damaligen Ermittlungen zu Temme zum NSU-Verfahren beizuziehen. Es würden konkrete Anhaltspunkte fehlen, dass in den Akten Informationen enthalten seien, die für das NSU-Verfahren relevant wären.)

Der NSU Prozess

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