Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 77
Tag 60
Оглавление26. November 2013
Manfred Götzl, Richter. Christian M., 54, Bauingenieur aus Niedersachsen. Karin M., 54, seine Frau, Drogistin. Ursula S., 52, Informatikerin aus Niedersachsen. Wolfgang S., 56, ihr Ehemann, ebenfalls Informatiker. Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe. Seda Başay, Anwältin der Nebenklage. Henning Saß, psychiatrischer Gutachter.
(Zu Beginn der Verhandlung beantragen Zschäpes Verteidiger, Richter Götzl möge den psychiatrischen Gutachter Henning Saß, der Beate Zschäpe begutachten soll, so im Saal platzieren, dass dieser keine Gespräche der Verteidiger mit ihrer Mandantin mithören könne.)
Götzl Ich habe auch noch nie was mitgehört, um es mal deutlich zu sagen. Und ich sitze auch nicht weiter weg als Herr Professor Saß.
Saß Ich höre keine Inhalte von den Gesprächen. Ansonsten bin ich flexibel, was den Sitz angeht. (Er rutscht einen Platz nach rechts und damit ein Stück weiter weg von Zschäpe und ihren Anwälten. Götzl beginnt mit der Zeugenbefragung. Als zweiter Zeuge betritt Christian M. den Saal.)
Götzl Es geht uns um Urlaubsbekanntschaften von Ihnen und Ihrer Frau. Erzählen Sie bitte, was Sie noch in Erinnerung haben.
Christian M. Ich mache mit meiner Familie schon seit Jahrzehnten auf Fehmarn Urlaub auf dem Campingplatz Wulfener Hals. Im Jahr 2007 haben wir Max, Liese und Gerry kennengelernt, sie waren in dem Mietwohnwagen neben uns. Wir kamen bald ins Gespräch, das geht auf dem Campingplatz recht schnell, in dieser ungezwungenen Atmosphäre. Wir waren gemeinsam beim Surfen, haben gemeinsam gegrillt.
Im Jahr drauf war es wieder so, dass wir uns da getroffen haben. Der Kontakt ergab sich immer nur in den Sommerferien, von 2007 bis 2011. Die drei waren sehr nett, freundlich und hilfsbereit. Der Max, also der Herr Mundlos, und Frau Zschäpe, also die Liese, waren sehr redselig. Herr Böhnhardt, Gerry, war etwas stiller. Über persönliche Sachen haben sie eher selten gesprochen. Interessant war immer, wenn sie von ihrem Leben in der DDR erzählt haben. Auch von Katzen war mal die Rede. Und dass Herr Mundlos ein Computerfreak war, gerne Mountainbike fuhr und Computerspiele spielte. Wir hatten jeden Tag Kontakt. Eigentlich waren wir hinterher sehr überrascht, wie wenig wir tatsächlich wussten. Über Persönliches und Berufliches haben wir eigentlich gar nicht gesprochen, über Politik auch nicht. Wir haben vermutet, dass Herr Mundlos in einem EDV-Laden arbeitet und Herr Böhnhardt irgendwas mit Autoüberführung macht. Bei Frau Zschäpe wusste ich es eigentlich gar nicht. Wir haben uns mal gewundert, wie man so lange Urlaub machen kann. Aber es war eine Urlaubsbekanntschaft, da hat es mich dann auch nicht so interessiert. Herr Böhnhardt hatte ein kleines Schlauchboot mit Motor, da haben wir auch mal zusammen dran rumgebastelt. Den meisten Kontakt hatte ich mit Herrn Mundlos. Er hat damals surfen gelernt, und da ich schon lange surfe, habe ich ihm einiges beigebracht.
Götzl Wie war das Verhältnis der drei Personen untereinander?
Christian M. Sie wirkten wie drei Freunde, die zusammen in den Urlaub gefahren sind. Wir waren auch der Meinung, dass sie unterschiedliche Wohnungen hätten. Das Verhältnis war eher freundschaftlich. Sie hatten erzählt, dass sie sich seit ihrer Jugend kennen.
Götzl War erkennbar, ob ein näheres Verhältnis zwischen zweien bestand?
Christian M. Es war überhaupt nicht erkennbar. Die waren zu dritt so ein Team halt.
Götzl Wie ist Frau Zschäpe mit den Männern umgegangen?
Christian M. Freundlich. Ich hab da keinen Streit erlebt, aber auch keine Berührungen wahrgenommen.
Einen Partner hatten sie unseres Wissens nach nicht. Von Mundlos wussten wir, dass der Vater Professor und sein Bruder behindert war. Frau Zschäpe wurde uns als Liese Eminger vorgestellt. Den Nachnamen von Max weiß ich gar nicht mehr. Und Gerry sollte von seinem Nachnamen kommen, Gerlach oder Gerland, eigentlich soll er Holger geheißen haben. So wurde uns das gesagt. Wir waren wirklich geschockt, wie wenig wir wirklich wussten über die drei. Das war wirklich kaum zu begreifen.
Götzl War das Thema »Ausländer« denn mal ein Thema gewesen?
Christian M. Nein, nie, überhaupt nicht.
Götzl Was haben Sie noch in Erinnerung?
Christian M. Na ja, Frau Zschäpe sah damals ähnlich aus wie heute. Uwe Böhnhardt hatte schon was Gruseliges als Tattoo: einen Stahlhelm und einen Totenkopf. Er sagte, das seien Jugendsünden. Aber der Umgang mit ihnen war freundlich. Wir haben sogar mal zu Hause ein Paket von ihnen bekommen mit Thüringer Würstchen. Weil wir mal gemeinsam gegrillt hatten. Die waren lecker.
Das Paket kam aber ohne Absender; wir hatten die Adresse des Trios auch nicht. Wir haben uns oft mit Liese über die DDR-Zeit unterhalten. Sie sagte, sie sei gemeinsam mit Max in der Schule gewesen.
Götzl Wurde Alkohol getrunken?
Christian M. Max und Gerry haben keinen oder kaum Alkohol getrunken, Liese schon mal einen Wein.
Götzl In der polizeilichen Vernehmung haben Sie gesagt, Liese habe das Geld verwaltet.
Christian M. Das weiß ich jetzt gar nicht mehr so genau. Ich kann mich nur erinnern, dass sie immer bar bezahlt haben. Und ich weiß noch, dass Max mal ein Surfbrett und ein Segel in bar bezahlt hat. 600 und 300 Euro. Das hat mich gewundert. So viel Bargeld hätte ich nie dabei, das hätte ich immer mit Karte bezahlt.
Anwältin Başay Wer von den dreien ist denn das Auto gefahren?
Christian M. Der Gerry, immer.
Anwältin Başay Sind Sie da mal mitgefahren? Und ist Ihnen dabei was aufgefallen?
Christian M. Er ist immer sehr vorsichtig gefahren. Auf gar keinen Fall zu schnell. Er hat gesagt, als Berufskraftfahrer will er nicht, dass sie seinen Führerschein kassieren.
(Nächste Zeugin ist seine Ehefrau, Karin M.)
Karin M. Es war eine lockere Bekanntschaft. Sie haben uns angesprochen. Wir haben mit ihnen gegrillt, Badminton am Strand gespielt oder sind gemeinsam einkaufen im Aldi gegangen. Frau Zschäpe war immer die Hauswirtschaftlerin. Sie hat Salat geschnippelt, Schaschlik gesteckt. Max war der sportliche Typ, Gerry der handwerkliche; er hat auch das Grillen übernommen. Sie hat die Jungs bemuttert. Und das Geld hat sie auch verwaltet, das war ganz klar. Ganz zu Anfang haben sie uns erzählt, dass alle in eine Urlaubskasse einzahlen und Frau Zschäpe das Geld verwaltet. Die Geldbörse war eigentlich immer reichlich gefüllt.
(Es folgt Ursula S., die mit ihrer Familie im Urlaub ebenfalls neben Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos kampiert hatte.)
Ursula S. Wir haben die drei 2007 im Urlaub auf Fehmarn kennengelernt. Sie haben gefragt, ob wir mit ihnen Doppelkopf spielen, was wir dann auch gemacht haben. (Bis 2011 hat Familie S. dann jedes Jahr zusammen mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Urlaub gemacht.) Sie haben uns auch drei, vier Mal zu Hause besucht. Im August 2009 waren sie beim 17. Geburtstag unserer älteren Tochter mit dabei. Da haben sie auch bei uns übernachtet. Liese bei unserer jüngeren Tochter im Zimmer, die beiden Männer im Keller. Die drei waren sehr freundlich, sehr sympathisch. Den meisten Kontakt hatte ich zu Liese. Wir haben im Urlaub auch mal was alleine gemacht. Max hat sehr, sehr, sehr viel Sport gemacht und sich mit Computerzeitschriften und seinem Laptop beschäftigt. Gerry war eher ruhig, introvertiert, eher handwerklich aktiv. Er fuhr gerne mit seinem Paddelboot allein aufs Meer raus, teilweise über Stunden. Da war die Sorge von Liese, dass er heil zurückkommt, immer sehr groß. Sie haben viel mit unseren Kindern unternommen. Gerade Liese hat sich sehr viel mit unseren Töchtern unterhalten. Über Schule und übers Erwachsenwerden. Die drei machten untereinander einen sehr harmonischen Eindruck. Ich hatte eher den Eindruck, dass Liese und Gerry ein innigeres Verhältnis hatten. Aufgrund ihres Austauschs von Berührungen. Liese hatte ein Portemonnaie mit vielen Scheinen. Ich habe keinmal gesehen, dass die Männer bezahlt haben. Wenn wir zusammen waren, hat sie immer für die drei bezahlt. Über Politik haben wir fast gar nicht gesprochen. Einmal hat Max erzählt, dass er früher in der DDR viel Blödsinn gemacht hat und deshalb nicht studieren konnte.
(Der nächste Zeuge ist Wolfgang S., ihr Ehemann.)
Wolfgang S. Wir haben ihnen vertraut. Ich konnte das gar nicht fassen, als wir das im November 2011 mitbekommen haben. Ich war wirklich erschüttert. (Er berichtet von den Besuchen der drei bei ihnen in Niedersachsen.) Im Februar 2011 sind sie völlig überraschend vorbeigekommen. Sie sagten, sie würden eher an die Ostsee fahren und noch einen Freund in Hannover abholen. Wir haben ihnen so sehr vertraut, dass wir die Kinder mit Gerry im Motorboot fahren ließen. Die drei hatten einen sehr engen Kontakt zu unseren Töchtern. Sie haben immer »Siedler von Catan« gespielt. Unsere ältere Tochter war wegen der ganzen Sache einige Male zur psychologischen Beratung. Sie macht sich Vorwürfe, ob man irgendwas hätte merken können. Unsere jüngere Tochter mag da gar nicht drüber reden. Wir wurden da schwer enttäuscht und getäuscht auch. Rückblickend muss man sagen, das war ein tolles Schauspiel. Die drei haben das gut inszeniert.
(Wolfgang S. verlässt den Saal. Zschäpes Verteidiger Stahl gibt eine Erklärung ab.)
Verteidiger Stahl Der Generalbundesanwalt gründet den Vorwurf, dass Frau Zschäpe die Aufgabe zugekommen sein soll, die Tatbeute zu verwalten und die finanziellen Verpflichtungen nach außen zu regeln, im erheblichen Maße auf die Angaben der Urlaubsbekanntschaften. Die Befragungen heute haben ergeben, dass es um den Einkauf von Lebensmitteln und um das Bezahlen gemeinsamer Essen aus der Urlaubskasse ging. Zschäpe hat also wohl die Urlaubskasse verwaltet. Aber tragfähige Schlüsse auf eine Verwaltung der Tatbeute lassen sich daraus nicht ziehen. Nach Aussagen der Zeugen trugen auch die anderen beiden große Mengen Bargeld bei sich, das zeigt das Einzahlen in die gemeinsame Kasse und der Kauf eines Surfbretts, eines Segels und eines Schlauchbootes.