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Tag 57

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19. November 2013

Manfred Götzl, Richter. Brigitte Böhnhardt, 65, pensionierte Lehrerin, Mutter von Uwe Böhnhardt. Sie sagte auch an Tag 58 aus.

Götzl Es geht uns um Ihren Sohn Uwe Böhnhardt, das Verhältnis zu den Angeklagten, auch zu Uwe Mundlos. Ihre Kontakte nach dem Januar 1998, Ihre Kontakte zu den Angeklagten. Ich würde Sie bitten, erst mal von sich aus zu berichten.

Böhnhardt Gut. Uwe war unser dritter Sohn, ein Nachzügler, ein Wunschkind. Ein ganz normales, aufgewecktes Kerlchen. Geliebt von allen, von allen ein bisschen verwöhnt. In der Schule gab es von Anfang an leichte Probleme. Lernen fiel ihm nicht so leicht. Sprachen haben ihm nicht gelegen, dazu kamen Disziplinschwierigkeiten. Er hat eine Klasse wiederholt, hatte dann aber in Fleiß und Betragen eine 2, da waren wir richtig glücklich und stolz, dass er das so gepackt hat. Im Schuljahr 1991/92 kam der große Einbruch. Die Schulreform im Osten wurde durchgesetzt. Klassen auseinandergerissen: Die guten Schüler wollten alle ins Gymnasium, die weniger guten mussten in der Hauptschule bleiben. Es gab sehr frustrierte Eltern, sehr frustrierte Kinder und sehr frustrierte Lehrer. Uwe merkte das ganz besonders. Er hatte keine Freunde mehr und befand sich voll in der Pubertät. Er fing an zu bummeln, mal stundenweise, mal tageweise. Wir haben davon erst in den Herbstferien erfahren, sieben Wochen nach Schulbeginn. Es ist eigentlich die verdammte Pflicht der Lehrer, die Eltern zu informieren, wenn ihre Kinder schwänzen. Da muss man ganz doll aufpassen. Er schloss sich älteren Schülern an, weil er sich in seiner Klasse nicht wohlfühlte.

In der Zeit fingen die ersten kleinen Diebstähle an. Die älteren Schüler haben ihn gern als Schuldigen vorgeschoben, weil er noch nicht strafmündig war. Er ging kaum mehr in die Schule. Keiner hat sich darum gekümmert, wie es den Problemfällen ging. Ich war immer wieder beim Schulamt. Aber keine Schule war bereit, Uwe aufzunehmen. Kein Internat, keine geschlossene Schule.

Es hat ihm nicht gefallen, dass er uns so wehtut. Er hat immer Momente gehabt, wo er sich weiterentwickeln wollte. Er war bereit, in ein Kinderheim zu gehen, von wo aus die Kinder zur Schule gebracht werden. Aber er hat weiter gebummelt und kam wieder nach Hause. Keiner wollte ihn.

Dann kamen die Sommerferien, wir haben ihn in der Förderschule angemeldet. Dort trafen sich sehr schwierige Schüler wieder. Es war ein Sammelbecken von Problemfällen. Er bummelte wieder und flog auch von dieser Schule. Viele Möglichkeiten hatten wir damals nicht mehr. Das Schulamt reagierte mit Schulterzucken, das Jugendamt auch.

Im Februar 1993 wollten wir mit ihm in den Urlaub fahren, um zu zeigen: Wir haben dich trotzdem lieb. Doch dazu kam es nicht mehr, er wurde in U-Haft genommen. Wegen Diebstahls, wegen Fahrens ohne Führerschein. Das war die bisher schlimmste Zeit für uns, für ihn, für alle. Wir waren am Ende mit unseren Nerven. Wir wussten nicht mehr weiter. Wir haben ihn jede Woche besucht. Aus unserem großschnäuzigen Kerl wurde wieder der kleine Uwe, der schon vorher heulte, wenn wir kamen, und hinterher heulte, wenn wir uns verabschiedeten. Und wir dachten: Jetzt hat er es gepackt. Er muss was machen aus seinem Leben. Er hat es uns versprochen.

Ich bin dann im Schulamt gesessen und gebe zu, ich habe gedroht, ich bleibe hier sitzen, bis Sie mir eine Schule geben. Er wurde für die letzten sechs Wochen aufgenommen, in Winzerla, bis zum Ende der Schulpflicht.

Als 16-Jähriger kam er erneut in U-Haft. Wir haben weiterhin zu ihm gehalten. Du bist unser Kind, haben wir gesagt. Die Schule hat einen Platz frei gehalten, für ein berufsvorbereitendes Jahr im Baugewerbe. Er hatte ganz wenig Fehlstunden. Vielleicht hat er es auch uns zuliebe getan. Er hat mit einem guten Ergebnis abgeschlossen und nahm dann eine Lehrstelle in Burgau an, um Hochbaufacharbeiter und Maurer zu werden. Das ist ein anständiger Beruf, dachten wir. Schließlich muss jemand die Häuser der Schönen und Reichen auch bauen. Die Lehre hat er mit »gut« abgeschlossen und dann ein Auto gekauft und seinen Führerschein bezahlt. Er hatte kurz Arbeit, dann war er neun Monate arbeitslos. Fand wieder kurz Arbeit, wurde krank, war wieder arbeitslos.

Wir mochten seine Freunde, wir mochten den Uwe Mundlos, wir mochten den Ralf Wohlleben, wir mochten auch die Beate Zschäpe. Sie waren nette, höfliche junge Menschen, leider alle arbeitslos. Sie hatten also alle viel Zeit.

1997 stand dann die nächste Anklage ins Haus. Wir wussten nicht, an welchen Demonstrationen er da teilgenommen hatte, und ich frage mich immer, wer das bezahlt hat, dass sie da hinkommen. Denn er hatte ja ganz wenig Arbeitslosengeld. Später erfuhr ich, das hat der Tino Brandt bezahlt oder der Verfassungsschutz.

Ja, und dann kam diese unselige Garagendurchsuchung. Möchten Sie das auch hören?

Götzl Ja, bitte.

Böhnhardt Es war gegen sieben Uhr, als die Polizei klingelte und klopfte. Es war nicht die erste Durchsuchung, ich ahnte schon, wer es war. Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung und die Garage.

Sie haben unsere Garage durchsucht, und ich sagte zu Uwe laut: Pass auf, dass sie nichts finden, was vorher nicht drinnen lag. Ich hatte zu den Polizisten kein Vertrauen. Sie haben auch nichts gefunden und haben die Nebengarage öffnen lassen, vom Schlüsseldienst.

Das, was ich jetzt sage, habe ich erst später durch Uwe erfahren. Er habe gewartet und gewartet, nach zwei Stunden waren sie endlich fertig. Uwe hat die Garage zweimal abgeschlossen und ist in unsere Wohnung gegangen. Er hat seinen Autoschlüssel geholt und ist mitgegangen zu der anderen Garage. Auf dem Weg hat ihm ein Polizist dann zugeraunt: Jetzt bist du fällig, der Haftbefehl ist unterwegs. Da hat sich Uwe umgedreht und ist weggefahren.

Götzl Wussten Sie, wo er sich aufhielt, nachdem er untergetaucht war?

Böhnhardt Nein. Ich habe Frau Mundlos angerufen, ich habe Ralf Wohlleben gefragt, keiner wusste was. Dann kam endlich, endlich, endlich die erlösende Nachricht, ein Zettel im Briefkasten. Wir sollten an einer Telefonzelle warten, wo Uwe dann anrief. Anfangs heulten alle nur. Die Polizei hatte gedroht, dass er auf der Flucht erschossen werden könnte. Deshalb war ich froh, dass er lebt. Er sagte, wir sollten uns keine Sorgen machen, sie seien alle drei zusammen. Wir haben vom ersten Anruf an verlangt, dass sie sich stellen. Er sagte: Nein, Mutti, jetzt nicht.

Im Herbst 1998 hatten wir mehrere Treffen mit einem Rechtsanwalt, der sagte, der Verfassungsschutz sei an ihn herangetreten: Die drei sollten sich stellen. Wir haben uns mit dem Anwalt mehrmals getroffen, in Gaststätten, weil wir vermuteten, dass wir abgehört werden. Es ging um die Bemessung der Strafe. Der Staatsanwalt hatte die irrwitzige Zahl von zehn Jahren genannt, die Uwe drohen. Das kriegt nicht mal ein Kinderschänder, der schon fünf Kinder getötet hat. Dann war es wie beim Sommerschlussverkauf. Es hieß, er bekommt fünf Jahre, wenn sie sich stellen. Und ist dann nach zweieinhalb Jahren raus. Das zog sich bis zum Frühjahr ’99 hin, dann wurde das Angebot plötzlich wieder zurückgezogen. Aus dem LKA hieß es: Wenn wir die aufspüren und die zucken nur, glauben Sie mir, unsere Leute sind schneller mit der Pistole. Die haben uns richtig bedroht.

Götzl Haben Sie Ihrem Sohn von dem Angebot erzählt?

Böhnhardt Ja. Er hat versprochen, dass er mit den anderen spricht. Bereitschaft war aber nur von Beate da und von meinem Uwe. Uwe Mundlos wollte noch nicht.

Götzl Was haben Sie beim ersten Telefonat mit Ihrem Sohn besprochen? Können Sie mir Details erzählen?

Böhnhardt Er hat gefragt, ob wir bedroht werden durch die Behörden. Ich habe ihm nicht alles erzählt, was vorgefallen war, weil ich nicht wollte, dass er sich Sorgen macht. Es kam Persönliches zur Sprache. Mein Sohn hatte Angst vor dem Gefängnis. Er hatte da wohl schlechte Erfahrungen gemacht. Welche genau, hat er mir nie erzählt. Ich habe mir die schlimmsten Dinge vorgestellt. Er hatte gesagt, das ist nicht so. Aber ich hatte keine Ruhe.

Götzl Und deshalb sind die drei geflohen?

Böhnhardt Ja. Ich sagte dann: Aber den anderen wird doch gar nichts vorgeworfen! Er meinte: Nein, aber wir bleiben zusammen, wir sind Freunde.

Götzl Welche Gefängnisstrafen standen denn im Raum?

Böhnhardt Beim ersten Mal ging es um Einbruch und Fahren ohne Führerschein, beim zweiten Mal auch wieder um Fahren ohne Führerschein, vielleicht auch um die Verbreitung verbotener Symbole, aber das können Sie ja aus den Akten ersehen. Beim dritten Mal hat er CDs gehört mit rechter Musik, ich war wütend: Entweder bringst du die wieder weg oder ich mach sie kaputt! Er hat versucht, die zu verkaufen. Das hat man ihm dann angekreidet. Warum ist es erlaubt, die Bücher und CDs herzustellen, aber nicht weiterzuverbreiten, fragte er. Da gab er mir eine kleine Lektion in Warenkunde.

Bei der Verhandlung hatte ich den Eindruck, dass der Staatsanwalt nicht so glücklich war, dass ich dabei war. Ein Jugendrichter warf mir an den Kopf, warum ich den Kerl nicht endlich rausschmeiße. Ich sagte: Glauben Sie, eine Mutter lebt ruhiger, wenn ihr Sohn unter der Brücke schläft? Ich war so wütend.

Götzl Haben Sie gefragt, was bei der Durchsuchungen gefunden wurde?

Böhnhardt Angeblich eine Armbrust. Ich frage mich, wie soll er das verstecken vor mir, in einem Kinderzimmer von drei mal drei Metern? Dann noch drei Dolche. Ich hatte Angst vor scharfen Messern, das hätte mir mein Junge nicht angetan. Ich glaube das einfach nicht, dass sie das gefunden haben wollen. Ich habe kein Vertrauen mehr.

Götzl Haben Sie auch über die Garage von Frau Zschäpe gesprochen, die durchsucht worden war?

Böhnhardt Ich wusste gar nicht, dass Beate noch eine Garage hatte. Erst später hat die Polizei uns gesagt, was man dort gefunden hätte – Sprengstoff. Natürlich habe ich Uwe darauf angesprochen. Er meinte: Mutti, seid doch nicht so naiv. Du weißt doch, wie das ist: Das haben die erst hingelegt und dann gefunden.

Götzl Gehen wir zurück zu den Telefonaten, die Sie mit Ihrem Sohn geführt haben. Was hat er denn gesagt auf Ihre Frage: Was habt ihr vor?

Böhnhardt Er sagte: Wir sind nicht in Deutschland, wir sind im Ausland. Erst wenn es sicher ist, kommen wir zurück. Im Nachhinein ist das für mich natürlich der Super-GAU, dass die nur eineinhalb Autostunden von uns entfernt gewohnt haben.

Götzl Was hat er zu seiner Situation berichtet?

Böhnhardt Ich habe immer gefragt: Junge, von was lebt ihr denn? Wir haben Freunde, die uns unterstützen, sagte er. In der Zeitung habe ich gelesen, dass Sammlungen stattfinden. Ich habe auch gefragt, wie können wir euch denn helfen? Was können wir denn noch machen? Er sagte, ihr könnt nichts machen.

Götzl Dann gab es ja ein zweites Telefonat mit Ihrem Sohn. Worum ging es da?

Böhnhardt Ich habe ihn gefragt, ob Uwe und Beate bereit wären, sich zu stellen. Er sagte mir nur, ich sollte in dieser Angelegenheit auf keinen Fall Kontakt herstellen zu den anderen Eltern. Ich sagte: Aber die leiden doch genauso wie wir. Aber er blieb dabei. Ich habe die Familie Mundlos später mal an einer Tankstelle getroffen. Herr Mundlos war der Meinung, an allem ist unser Sohn schuld. Er habe seinen Sohn reingezogen. Jeder leidet anders, er ist auch ein Vater, der leidet. Aber auch Beate und Uwe Mundlos hätten Nein sagen können. Sie waren alle drei erwachsen. Wenn sie gemeinsam in den Untergrund gegangen sind, dann sind sie auch alle drei verantwortlich.

Götzl Woran hat Herr Mundlos das festgemacht, dass Ihr Sohn schuld war?

Böhnhardt Sein Sohn hatte keinen Grund abzutauchen, aber unser Sohn war vorbestraft. Ich war immer der Meinung: Es sind drei Erwachsene gewesen. Und jeder hatte etwas zu sagen. Wissen Sie, habe ich zu Herrn Mundlos gesagt, unter diesen Bedingungen rede ich nicht mehr mit Ihnen. Dann habe ich mich umgedreht und bin gegangen.

Götzl Erzählen Sie uns von dem ersten Treffen mit Ihrem Sohn im Frühjahr 1999.

Böhnhardt Es war in einem kleinen Park, an der ersten Autobahnabfahrt nach Chemnitz. Die drei waren schon da. Ich war da gerade stinksauer und wütend, dass die Staatsanwaltschaft ihr Angebot zurückgezogen hatte. Uwe sagte, das Angebot sei eh nicht ehrlich gemeint gewesen. Heute sage ich: Wenn der Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft zu ihrem Wort gestanden hätten, was hätte man da verhindern können!

Götzl Wie haben Sie sich das denn vorgestellt? Dass die Strafen einfach erlassen werden?

Böhnhardt Nein, wir wollten nur, dass die Fahndung ausgesetzt wird. Ich hatte immer die Drohung der Polizei im Kopf: Wenn wir sie finden, dann schießen wir.

Götzl Was haben Sie bei dem Treffen noch gesprochen?

Böhnhardt Das waren private Gespräche.

Götzl Auch die interessieren uns natürlich. Haben sie erzählt, wie sie leben?

Böhnhardt Das hätte uns schon interessiert, aber sie wollten uns keine Einzelheiten mitteilen. Dann kommt ihr nicht in Schwierigkeiten, sagten sie. Sie haben sich erkundigt, was in Jena gebaut wurde, und ob wir noch Arbeit haben. Mein Gott, er hängt immer noch an der Familie, dachte ich. Das hat mich gefreut. Wir haben Bilder von daheim mitgebracht. Sie waren erstaunt, wie sich die Straßenzüge verändert hatten.

Götzl Wie sahen die drei aus?

Böhnhardt Sie hatten sich überhaupt nicht verändert, waren nur etwas älter geworden. Beate war weiterhin eine hübsche junge Frau.

Götzl Wie lange hat das Treffen gedauert?

Böhnhardt Maximal zwei Stunden. Wir waren sehr ängstlich und hatten uns ein Auto ausgeliehen, weil wir nicht wussten, ob wir verfolgt werden.

Götzl Zwei Stunden ist doch eine lange Zeit.

Böhnhardt Nein, das ist nicht lang, wenn man seinen Sohn fast ein Jahr nicht gesehen hat.

Götzl Also noch mal, man kann viele Informationen in dieser Zeit austauschen. Woran erinnern Sie sich noch?

Böhnhardt Ich habe gefragt, ob sie zusammenleben. Weil ich dachte, dass es zu dritt schwierig ist zu leben, ohne aufzufallen. Ich dachte, dass sie einzeln leben oder Beate mit dem einen der beiden Uwes zusammen. Darauf habe ich keine Antwort bekommen. Ich fragte: Müsst ihr denn nicht zum Arzt? Waren wir, sagten sie. Ohne Karte, fragte ich. Doch, wir werden unterstützt von Freunden, sagten sie. Habt ihr genug zu essen? Und eine ordentliche Wohnung, wollte ich wissen. Ja, da gibt es auch eine Unterstützung. Wir wollten ja nicht, dass er wieder stehlen geht.

Götzl Haben Sie Ihrem Sohn auch selbst Unterstützung angeboten?

Böhnhardt Diese Frage habe ich erwartet. Wenn ich Ja sage, kann gegen mich ermittelt werden.

Götzl Das ist aber eine Frage des Zeitpunktes, das wäre inzwischen verjährt.

Böhnhardt Sie wissen ja, dass wir sie unterstützt haben. Da machen wir uns jetzt mal nichts vor, das haben ja auch die V-Leute berichtet. Wir haben ihm Geld gegeben, damit er was zu essen hat und nicht wieder klaut.

Götzl Welche Größenordnung?

Böhnhardt 500 Mark, und später noch mal 500 Mark.

Götzl Wie lief die Geldübergabe ab?

Böhnhardt Da haben Leute geklingelt, eine Parole gesagt und das Geld mitgenommen.

Götzl Welche Parole?

Böhnhardt Weiß ich jetzt nicht mehr.

Götzl Kannten Sie die Leute?

Böhnhardt Einen kannte ich: André Kapke. Den anderen kannte ich nicht, das war ein junger hübscher Mann, der eigentlich nicht wie ein Rechter aussah.

Götzl Von wem hatten Sie die Parole?

Böhnhardt Von Uwe. Das war etwas Besonderes, was nur Uwe und ich wissen konnten.

Götzl Dann liegt es ja nah, dass Sie sich erinnern können.

Böhnhardt Gut, dann sage ich es: »Rippchen«. Uwe hatte sich als Kind zwei Rippen gebrochen, er war ein sehr lebhaftes Kind.

Götzl Wo fand das nächste Treffen statt, im Jahr 2000?

Böhnhardt Am gleichen Ort. Ich habe mir auch den Uwe Mundlos zur Brust genommen, den Ältesten und Klügsten, dass sie sich endlich stellen sollten. Zu Beate habe ich gesagt: Auch du hast eine Mutter. Egal wie du zu ihr stehst. Wir haben die Emotionen angesprochen, aber sie waren nicht umzustimmen.

Götzl Wie haben sie im Untergrund gelebt?

Böhnhardt Ja, wir haben das auch gefragt. Es hieß nur: Wir sind zusammen, es geht uns gut. Wie kommt ihr zu eurem Lebensunterhalt, fragten wir. Sie meinten: Das sagen wir euch nicht, das würde euch vielleicht auch nicht gefallen. Ich habe an Internetgeschäfte gedacht, das war ja damals groß in Mode.

Götzl Gab es noch ein weiteres Treffen? Bitte berichten Sie.

Böhnhardt Es gab noch ein letztes Treffen im Jahr 2002. Das könnte schon Mai oder Juni gewesen sein, es war warm, wir hatten nicht mehr so dicke Sachen an. Diesmal war es ein Wochenende. Wir hatten viele Gesprächsthemen. Wir haben wieder gefragt, warum sie nicht zurückkommen: Warum nicht? Warum nicht? Warum nicht? Und sie sagten: Wir wollen nicht, wir wollen nicht, wir wollen nicht. Wir haben unseren Sohn in den Arm genommen und gedrückt. Wir haben auch über banale Dinge geredet, über Kochrezepte. Uns war in keiner Weise bewusst, dass es das letzte Treffen sein könnte. Der Tag verlief harmonisch, wir sind spazieren gegangen. Alle drei waren eigentlich wie immer. Am Schluss haben wir uns alle fünf umarmt. Da war’s dann bei mir aus mit meiner Beherrschung. Die einzige Hoffnung, die mir blieb: Vielleicht gründen sie noch mal eine Familie. Beate habe ich dann noch gefragt, ob sie sich das gut überlegt hat oder nicht doch aussteigen will. Nein, Frau Böhnhardt, sagte sie, ich geh mit den Jungs mit. Zu Uwe Mundlos habe ich gesagt: Pass auf den Uwe auf. Das war unser letztes Treffen, wir haben nie wieder von ihnen gehört. Wir waren überzeugt, ja, sie sind weggegangen. Wir waren todtraurig, dass wir an ihrem Leben nicht teilnehmen können. Manchmal dachten wir, vielleicht haben wir Enkelkinder und wissen gar nichts davon. Wir dachten, sie seien ganz, ganz weit weg.

Götzl Gab es noch Kontaktaufnahmen?

Böhnhardt Sie haben uns nie wieder eine Nachricht hinterlassen. Es wusste niemand etwas.

Götzl Haben sich die drei bei den Treffen in irgendeiner Weise politisch geäußert?

Böhnhardt Nein, sie wussten, dass wir ihre Ideen nicht richtig fanden. Ich hoffte, dass sie dieser rechten Ideologie nicht mehr anhängen, weil sie auch nicht mehr darüber gesprochen haben. Diese sinnfreien Transparente und dussligen Parolen – das durfte er daheim nie machen. Von wegen die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg und diesen Müll. Ist doch schön, jetzt haben wir Italiener, Türken und Griechen und wir können überall essen gehen, habe ich Uwe gesagt. Und ihn gefragt: Möchtest du in der Pizzeria arbeiten oder den ganzen Tag im Dönerstand stehen? Nein? Dann sei doch froh, dass andere dort arbeiten.

Götzl Und wie hat Ihr Sohn reagiert?

Böhnhardt Er meinte, ich soll das mal nicht im Detail sehen, sondern allgemein.

Götzl Ich hab noch nicht verstanden, wie sich das entwickelt hat. Ich möchte Sie bitten, darüber nachzudenken, wann Ihnen das rechte Gedankengut aufgefallen ist.

Böhnhardt Die ersten Anzeichen waren, als er sich vom Lehrlingsgeld die Bomberjacke gekauft hat. Und dann die Springerstiefel. Bei der Bomberjacke haben wir noch nicht gezuckt. Als er dann mit den Schuhen ankam, das war uns zu viel. Die durfte er nicht in der Wohnung tragen. Das nächste Mal war, als wir ihn bei der Polizei abholen mussten, er war noch nicht achtzehn. Es hieß, dass er im Visier der Polizei ist wegen des Umgangs mit rechten Jugendlichen. Da haben wir uns gesagt, da müssen wir gut aufpassen. Ich sagte: Und wage es nicht, hier etwas zu deponieren, was in diese Richtung deutet. Ich zerreiße alles, und er wusste, ich tue es. Er war auch erschrocken, als ich ihn überrascht habe, als er eine rechte CD gehört hat. Übrigens: Auch Linke trugen schwarze Hosen, und selbst bei der Polizei trugen alle schwarze Hosen und Springerstiefel, da wusste man gar nicht, wer zu wem gehört. Er hat es immer vermieden, darüber zu reden. Da hätten wir ein bisschen hellhöriger sein müssen. Und hellsichtiger. Wobei ich nicht weiß, ob es was genützt hätte, wenn wir ihm gesagt hätten, du ziehst jetzt eine Cordhose an und ein Blouson.

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