Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 87
Tag 70
Оглавление19. Dezember 2013
Manfred Götzl, Richter. Siegfried Mundlos, Vater von Uwe Mundlos. Er hat schon an Tag 69 ausgesagt. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe. Thomas Bliwier, Doris Dierbach, Alexander Hoffmann, Hardy Langer, Reinhard Schön, Anwälte der Nebenklage.
Götzl Ich möchte zum 5.11.2011 kommen, zum Anruf bei Ihnen zu Hause. Was können Sie uns dazu sagen?
Mundlos Es war Samstag, morgens. Den Anruf hat meine Frau entgegengenommen, ich war anderweitig unterwegs.
Götzl Was hat Ihnen Ihre Frau erzählt?
Mundlos Ich bin vom Reifenwechseln zurückgekommen, Beate hatte angerufen, dass mit den beiden Uwes was passiert ist. Es ging um die Geschehnisse in Eisenach (am Tag zuvor). Und dass die beiden Uwes tot sind. Wir sind sofort zur Polizei und haben eine Zeugenaussage gemacht. Dass Beate uns informiert hat und dass die beiden Toten in Eisenach die Uwes sind. Wir haben zu Protokoll gegeben, dass die beiden Uwes eine Vorgeschichte haben, dass sie zu dem sogenannten Bombentrio gehörten. Ich habe zusätzlich im LKA angerufen und angeboten, bei der Identifizierung der Leichen behilflich zu sein. Am Sonntag wurde mir dann mitgeteilt, dass das nicht nötig sei, da man meinen Sohn schon anhand von Fingerabdrücken identifiziert hat.
Götzl In der Zeit nach der Flucht 1998, hatten Sie da Kontakt zum Verfassungsschutz?
Mundlos Einmal haben uns zwei Herren vom Verfassungsschutz aufgesucht und gebeten, sie zu unterrichten, wenn wir etwas erfahren. Das sollten wir nicht vom heimischen Anschluss tun, meinten sie, weil unser Telefon von der Polizei abgehört werde. Ich hab mal den Hausfrauentest gemacht und habe mal ein bisschen am Telefon erzählt, als wenn ich was erfahren hätte von meinem Sohn. Punkt acht Uhr am nächsten Morgen rief ein Zielfahnder bei uns an. Das war der Beweis.
Götzl In den Akten heißt es, Ihr Sohn sei nach der Durchsuchung sehr aufgewühlt gewesen, weil sieben Jahre Haft drohten.
Mundlos Mein Sohn ist am 26.1.1998 am Nachmittag bei meiner Frau in der Kaufhalle eingetroffen. Meine Frau sagte, der Uwe war derart erschrocken, sein rationales Denken war außer Kraft gesetzt.
Götzl Im Dezember 2011 sollen Sie bei der Polizei gesagt haben: »Ohne direkte Einflussnahme des Thüringer Verfassungsschutzes über den selbst gegründeten und finanzierten Thüringer Heimatschutz wäre es nie zu den schrecklichen Straftaten durch das Trio gekommen.«
Mundlos Für mich ist immer noch unbewiesen, dass die drei die Taten vollbracht haben. Aber die Entwicklung des Thüringer Heimatschutzes wäre nie möglich gewesen ohne den Verfassungsschutz. Das ist doch über den Tino Brandt im Auftrag des Verfassungsschutzes organisiert worden. Die Fahrten zu den Rudolf-Heß-Aufmärschen wären doch ohne die Vermittlung von V-Männern gar nicht zustande gekommen. Auf den Adresslisten waren unter 30 Namen mindestens fünf V-Männer. Die ganze Organisation, die Finanzierung, die Schulungsabende – das alles wäre so nicht möglich gewesen ohne Unterstützung vom Verfassungsschutz.
Götzl Welche Informationen hatten Sie dazu im Dezvember 2011?
Mundlos Ich wusste, dass Tino Brandt sich als V-Mann geoutet hatte. Und ich wusste, welch zentrale Rolle der Tino Brandt gespielt hat. Aber ich hatte nie in der Krassheit vermutet, dass der Verfassungsschutz Steuergelder in die rechte Szene pumpt und damit naive Jugendliche auffängt, um die eigenen Erfolge aufzubessern.
Anwalt Langer Sind Ihnen körperliche Auseinandersetzungen Ihres Sohnes bekannt?
Mundlos Es gab mal einen Raubüberfall in einer Dorfdisco, das waren neun Leute, da hätte mein Sohn fast totgeschlagen werden können. Mein Sohn war nicht so aggressiv, dass er andere Leute angegriffen oder geschlagen hat. Aber bei Demos ist es schon dazu gekommen, dass es Handgreiflichkeiten zwischen den jungen Leuten und der Polizei gab. Mein Sohn und Kapke und noch ein paar wollten die Nummern der Zivilfahrzeuge der Polizei notieren. Da ist es zu einer gewissen Rangelei gekommen.
Anwältin Dierbach Ist Ihnen bekannt, dass Frau Zschäpe eine Demonstration angemeldet hat für den Thüringer Heimatschutz?
Mundlos Nein, ist mir nicht bekannt.
Anwältin Dierbach Ist Ihnen bekannt, dass Ihr Sohn Teilnehmer eines Skinhead-Aufmarsches in Triptis war?
Mundlos Ist mir nicht bekannt.
Anwältin Dierbach Ist Ihnen bekannt, dass Ihr Sohn 1995 an einem Anti-Antifa-Treffen teilnahm?
Mundlos Ist mir nicht bekannt.
Anwalt Bliwier Haben Sie mal ein Faustkampfmesser bei Ihrem Sohn gesehen, mit einer beidseitig geschliffener Klinge?
Mundlos Ja, ein Taschenmesser habe ich sicherlich mal bei ihm gesehen.
Anwalt Bliwier Haben Sie bei Ihrem Sohn andere Waffen gesehen? Handbeile, Wurfstern, Luftgewehr?
Mundlos In frühen Jahren hatte er mal eine Schreckschusspistole.
Anwalt Bliwier Wissen Sie etwas über einen Besuch Ihres Sohnes in SA-Uniform in der Gedenkstätte Buchenwald?
Mundlos Damals habe ich das nicht gewusst. Ich habe später den Eintrag gesehen, den mein Sohn vermutlich in das Gästebuch gemacht haben soll. Der Eintrag war nicht zu beanstanden, aber das Outfit mit den braunen Hemden, das sie trugen, war eine Provokation, eine Frechheit.
Anwalt Schön Haben Sie erfahren, ob bei der Garagendurchsuchung im Januar 1998 ein Rucksack Ihres Sohnes gefunden wurde?
Mundlos Ich habe das 2011 in der Presse gelesen.
Anwalt Schön Wissen Sie, dass da eine Diskette drin gewesen sein soll, mit der Aufschrift »Ali Drecksau, wir hassen dich«?
Mundlos Nein, davon weiß ich nichts.
(Mundlos wird als Zeuge entlassen, beim Hinausgehen wendet er sich noch einmal kurz an Richter Götzl und sagt: »Tut mir Leid, dass unser persönliches Verhältnis in der Presse als Hauptgegenstand dargestellt wurde.« Es folgen Erklärungen der Nebenklage-Anwälte.)
Anwalt Hoffmann Die Vernehmung des Zeugen war geprägt durch dessen Bemühen, jede Verantwortung für die Straftaten des NSU von seinem Sohn abzuwehren. Er hat sich in ein geschlossenes Bild hineingearbeitet, wonach der Sohn ein unschuldiges Opfer fehlgeleiteter Polizeiarbeit sei, verleitet von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Uwe Mundlos habe nur aus Freundschaft Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den Untergrund begleitet. Das eigene Versagen bei der Erziehung, das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Sohns – das hat er nicht erkannt. Er hat den Bezug zur Realität verloren. Er spricht von zwölf Opfern des NSU und bezieht seinen Sohn da mit ein. Das mag einem verzweifelten Vater zugestanden sein, muss sich aber auf die Bewertung der Zeugenaussage auswirken.
Anwalt Bliwier Ich finde es schwierig, dem Vater eine Verantwortung zuzuschreiben und dass er versagt habe. Ich finde es höchst problematisch. Ihm sind wesentliche Entwicklungsschritte des Sohnes verborgen geblieben. Die Bewaffnung, die Aktivitäten in der Neonaziszene – das alles ist ihm verborgen geblieben.
Verteidigerin Sturm Die Erklärung des Kollegen Hoffmann geht schlicht am Kern vorbei. Es ist für die Tat und die Schuldfrage irrelevant, ob der Zeuge Mundlos bei sich eine Verantwortung sieht. Der Zeuge hat einen Ausschnitt aus dem Leben seines Sohns mitbekommen, das hat er hier vorgetragen. An der Glaubwürdigkeit bestehen keine Zweifel. Er hat geschildert, dass er Beate Zschäpe als freundliche, sehr kinderliebe Person kennengelernt hat, die er in der Zeit von 1992 bis 94 eher dem linken Spektrum zugeordnet hat. Und er hat bei Beate Zschäpe keinen Fremdenhass wahrgenommen.
Anwalt Bliwier Frau Zschäpe mag ja kinderlieb gewesen sein. Aber ich erinnere an Beispiele aus der Geschichte: Es gab auch KZ-Kommandanten, die ihre Kinder liebten und trotzdem Lagerhäftlinge vom Balkon aus erschossen.