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Tag 58

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20. November 2013

Manfred Götzl, Richter. Brigitte Böhnhardt, Mutter von Uwe Böhnhardt. Sie sagte auch an Tag 57 aus. Mehmet Daimagüler, Walter Martinek, Eberhard Reinecke, Anwälte der Nebenklage.

Böhnhardt Unsere beiden älteren Söhne wurden 1969 und 1971 geboren. Damit war die Familienplanung erst mal erledigt. Wir waren sparsam und fleißig, wir hatten Freunde, gute Kollegen. 1974 bekamen wir eine neue Wohnung, eine Vierraumwohnung mit Zentralheizung. Das war super. Die beiden Jungs passten gut zusammen, konnten gut miteinander aufwachsen. Dann kam der Wunsch auf, vielleicht noch ein Kind zu haben, ich wünschte mir ein Mädchen. Es wurde wieder ein Junge. Für die Größeren war der kleine Bruder das liebste Spielzeug, was sie hatten. Es war für sie ganz toll. Ich konnte mich hundertprozentig auf die Größeren verlassen, dass sie ihn von der Krippe abholten.

Peter und Uwe hatten ein ganz besonders inniges Verhältnis. Der Größere hatte frühzeitig eine Freundin. Wir waren eine normale Familie. Wir lehnten Gewalt in der Erziehung ab, das hat man uns später vorgeworfen, als es hieß, wir hätten Uwe mal verdreschen sollen. Wir versuchten, alles mit Ruhe zu klären. Es gab nie persönliche Kränkungen. Die Jungs haben Uwe das Lesen beigebracht. Und haben ihn in der Schule geschützt. Uwe kümmerte sich um die Mäuse von Peter, und umgekehrt kümmerte sich Peter um die Zierhasen von Uwe. Wir waren eine ganz normale Familie. Mein Mann war bei der Betriebsfeuerwehr. Es ging uns gut, zweimal pro Jahr fuhren wir in den Urlaub, in den Winterferien und im Sommer. Wir haben zum Beispiel Abenteuerurlaub in der ČSSR gemacht.

Die Großen haben sich vielleicht gedacht, der Kleine wird vorgezogen. Vielleicht haben wir bei Uwe mehr durchgehen lassen als bei den Großen. Und dann kam das für uns alle traumatische Ereignis, dass der Peter verunglückte. Wir haben versucht, Uwe zu schützen. Aber seine Leistungen in der Schule ließen nach. (Der damals 17-jährige Peter Böhnhardt lag an einem Morgen im September 1988 tot vor der Tür seines Elternhauses. Als Todesursache wurde Unterkühlung angegeben. Allerdings gab es auch Hinweise, dass er betrunken mit anderen Jugendlichen eine Ruine bei Jena bestiegen hatte und abgestürzt war. Was genau geschah, konnte nicht geklärt werden.) Er hat seinen Kummer durch Disziplinverstöße zum Ausdruck gebracht. Er durfte ein Bild von Peter aufstellen, er durfte weinen, er durfte trauern. Wir mussten halt immer die Starken sein. Der Verlust hat meinen Mann und mich sehr zusammengebracht. Wir haben gemerkt, dass wir einander brauchen. Uns ging es oft nicht gut. Bei Uwe kamen so viele Dinge zusammen: die politischen Umwälzungen und die Pubertät, das hat ihn aus der Bahn geworfen. Zum Teil standen wir der Situation auch hilflos gegenüber. Er sollte immer einen Rückhalt haben. Wir haben ihn nicht vor die Tür gesetzt. Der Unfall von Peter wurde nie geklärt. Man hatte keine Zeit und keine Lust, das aufzuklären, sagte uns die Polizei. Wir haben noch anderes zu tun, als die Eltern eines toten Jungen zu benachrichtigen. Vielleicht rührt daher mein gestörtes Verhältnis zur Polizei.

Götzl Können Sie uns die Persönlichkeit Ihres Sohnes beschreiben?

Böhnhardt Er war aufgeweckt, sportlich, kontaktfreudig. Für Verwandte war er immer der liebe Uwe, ein bisschen wild, wollte immer rumtoben. Er war viel draußen, nur die Schule hat er nicht so sehr geliebt.

Götzl Gab es auch problematische Eigenschaften?

Böhnhardt Außer dass er schulfaul war, fallen mir keine schlechten Eigenschaften ein. Er war nicht gewalttätig, hat sich nicht beschwert. Er hat mal dazwischengeredet im Unterricht, war an kleinen Prügeleien in der Pause beteiligt oder hat Hefte rumgeworfen. Aber er hat sich gehütet, über Lehrer zu schimpfen, weil er wusste: Damit komm ich bei meiner Mutter gar nicht durch.

Götzl Wann sind denn seine neuen Freunde zu Ihnen gekommen?

Böhnhardt Ich weiß es nicht mehr genau einzugrenzen. Ich habe sie jedenfalls immer freundlich empfangen, weil ich fand, es sei wichtig, Freunde zu haben. Ich habe auch versucht, sie auszufragen. Der Holger war ein lieber netter Kerl als Jugendlicher. Später dann gab es andere Freunde, die blieben unten und kamen nicht hoch in die Wohnung. Wir waren mit diesem Freundeskreis nicht einverstanden.

Götzl Ab wann haben Sie Uwe Mundlos wahrgenommen?

Böhnhardt Das weiß ich nicht. Mitte der Neunzigerjahre vielleicht.

Götzl Wie sind die beiden miteinander umgegangen, Uwe Mundlos und Ihr Sohn?

Böhnhardt Wenn er kam, sind sie in Uwes Zimmer verschwunden und ich habe nicht an der Tür gelauscht. Uwe Mundlos hat mir erzählt, dass er sein Abitur nachholen will. Ich habe gehofft, vielleicht gibt das unserem Uwe einen Aufschwung. Dass er sagt: Da mach ich auch noch was aus meinem Leben. Wir hatten immer mal so eine kleine Hoffnung zwischendurch. Freunde machen da ja so viel aus.

Götzl Haben Sie auch mal länger geredet mit Uwe Mundlos?

Böhnhardt Ja, wir haben auch mal über politische Themen diskutiert. Fakt ist, als Uwe Mundlos gemerkt hat, dass wir seine politischen Überzeugungen nicht teilen, hat er es vermieden, in unsere Wohnung zu kommen. Er klingelte unten, unser Sohn zog sich an und verschwand. Mundlos hatte eine eigene Wohnung, es hat ihm nicht so gefallen, dass ich ihn ausgefragt habe.

Götzl Was haben Sie ihn denn so gefragt?

Böhnhardt Über was haben wir gesprochen? Ich habe ihn gefragt, wie er zu diesen Überzeugungen kommt. Er schweifte ab in die Geschichte, er war sehr belesen. Ich kann mich erinnern, dass er gesagt hat, Frau Böhnhardt, ich hör jetzt auf, mit Ihnen zu diskutieren. Er war intelligenter als unser Sohn, der hat zu ihm aufgesehen. Das soll nicht heißen, dass ich Uwe Mundlos die Schuld an der Entwicklung unseres Sohnes gebe. Unser Uwe war da schon ein junger Erwachsener, er hätte jederzeit Nein sagen können.

Götzl Wann gab es die ersten Anzeichen für rechte Tendenzen bei Ihrem Sohn?

Böhnhardt Es könnte in der Zeit von Uwe Mundlos gewesen sein, als er ihn kennengelernt hat. Wir hatten in der Zeit andere Sorgen, als uns mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Götzl Jetzt kommen wir zu Frau Zschäpe. Erzählen Sie mal, wie der Umgang war, was Sie wahrgenommen haben.

Böhnhardt Eines Tages fragte Uwe uns, ob er seine Freundin mitbringen darf. Ich hab mich gefreut und fand Beate auf Anhieb sympathisch. Sie war höflich und nett, wir hatten ein gutes Verhältnis. Uwe ist mit ihr sehr freundlich und nett umgegangen. Er war verliebt, sie auch. Ich hatte das Gefühl, dass sie gern zu uns kam. Sie hat ihm gutgetan. Ihr ganzes Auftreten war genau so, wie man sich eine junge Frau vorstellt. Sie hatte ihre Gärtnerlehre abgeschlossen, aber keine Arbeit gefunden. Ich war froh, dass Uwe eine feste Freundin hatte. Ich hoffte, dass er auf andere Gedanken kommt. Das könnte schön werden, dachte ich, vielleicht gründen die beiden eine Familie. Ich habe gehofft, dass sie ihn auf den rechten Weg bringt. Sie ist nie in Kleidung aufgetreten, die auf rechte Tendenzen hinweisen würde. Sie hat nie über rechte Dinge gesprochen. Für mich bleibt sie dieses Mädchen: Uwes erste feste Freundin. Sie war selbst bei Familienfeiern dabei. Da waren sie so verliebt, ich habe einige Bilder zu Hause. Sie war integriert in die Familie. 1996 hat sie ein paar Weihnachtsfeiertage bei uns verbracht, sie gehörte zur Familie.

Götzl Hat sich Ihr Sohn damals verändert?

Böhnhardt Er wurde ernster, verantwortungsvoller. Er hat Beate auch bei der Renovierung ihrer Wohnung geholfen. Ich hatte das Gefühl, der Junge wird erwachsen. Es fehlte nur noch eins: eine Arbeitsstelle.

Götzl Wie war das Verhältnis von Frau Zschäpe zu Ihrem Sohn?

Böhnhardt Das kann ich mit einem Wort beschreiben: kuschelig. Sie waren so lieb zueinander. Und ich hatte das Gefühl, sie fühlt sich auch wohl bei uns. Eigentlich hab ich gedacht, er ist bei ihr in guten Händen.

Götzl War die Beziehung zwischen Ihrem Sohn und Frau Zschäpe noch dieselbe, als Sie die drei nach ihrer Flucht trafen?

Böhnhardt Ich war eigentlich bis zum Schluss der Meinung, dass die beiden noch ein Paar sind.

Götzl Was können Sie uns über Frau Zschäpes Anruf am Morgen des 5. November 2011 sagen?

Böhnhardt Ich bin ihr immer noch dankbar für diesen furchtbaren Anruf. So waren wir zumindest vorbereitet auf die Nachricht der Polizei.

Götzl Können Sie das genauer schildern?

Böhnhardt Wir lagen noch im Bett, als das Telefon gegen sieben Uhr klingelte. Hier ist Beate. Welche Beate denn? Uwes Beate. Da war erst mal ein Momentchen Ruhe, das musste ich erst mal verarbeiten, nach neun Jahren das erste Mal wieder von Beate zu hören. Kommt ihr zurück? Wollt ihr euch stellen? Das war mein einziger Wunsch. Nein, hat sie gesagt. »Warum nicht?«, habe ich gefragt. Der Uwe kommt nicht mehr. Dann war erst mal eine Weile Pause. Ich habe mich gar nicht getraut, die Frage zu stellen. Ist der Uwe tot? Ja, der Uwe ist tot. Sie sagte: Schauen Sie doch mal die Nachrichten. Gestern in Eisenach ist etwas passiert. Das sind die beiden Jungs. Sie sagte, sie muss auflegen, sie hat noch so ein furchtbares Telefonat vor sich, sie muss auch noch die Eltern von Uwe Mundlos informieren.

Götzl Hat Frau Zschäpe gesagt, wie Ihr Sohn zu Tode gekommen ist?

Böhnhardt Sicher bin ich mir nicht.

Götzl Hat sie gesagt, sie haben sich erschossen?

Böhnhardt Das wäre möglich. Wir standen sehr unter Stress.

Anwalt Daimagüler Empfinden Sie auch Mitgefühl für die Opfer?

Böhnhardt Ich habe tiefes Mitgefühl. Weil ich sie mit am besten verstehen kann. Es tut mir wirklich sehr leid. Und ich bin ihnen dankbar, dass sie sich nicht gerächt haben an uns. Ich rechne ihnen das hoch an, wir haben nie einen Brief mit Drohungen bekommen. (Kurze Pause.) Eines kann ich Ihnen versichern: Ich wüsste auch gern, was geschehen ist. Ich wüsste zu gerne, was sie verleitet hat, diese Taten zu begehen. Als Mutter suche ich nach jedem Strohhalm, dass es doch anders war. Ich kann mir meinen Sohn nicht als eiskalten Mörder vorstellen. Keiner hat das Recht zu töten. Und ausgerechnet mein Sohn soll das getan haben. Die Opferfamilien sind zumindest in der Lage, trauern zu können, auch öffentlich. Jedes Mal wenn ich das will, dann steigt in mir das Entsetzen darüber hoch, was er getan haben soll.

Anwalt Martinek Welche Einstellung hatte Ihr Sohn zum Staat und den Behörden?

Böhnhardt Wir haben ja nun einige schlechte Erfahrungen gemacht. Auch ich habe zu manchen Behörden kein Vertrauen, vielleicht hat sich das auf Uwe abgefärbt.

Anwalt Martinek Und die Einschätzung von Polizeibeamten, der Polizeimacht an sich – wie war die?

Böhnhardt Die Polizei in Jena hat sich tatsächlich öfter als Macht präsentiert. Ich empfand es teilweise als unwürdiges Spiel. Mal jagten sie die Linken, mal die Rechten. Dazu muss ich Ihnen sagen, wenn mir jemand mit dem Knie zwischen die Beine tritt, dann trete ich zurück. Ich weiß, dass Uwe keine Mimose war. Aber ich weiß auch, dass diese Gruppe selbst provoziert wurde. Und weil die Polizei in der Mehrzahl war, hat sie immer gewonnen. Uwe hat mir erzählt: Normalerweise schlagen sie in den Körper, nicht ins Gesicht. Mein Vertrauen in die Polizeikräfte hielt sich also sehr in Grenzen. Ich wusste von diesen Zusammenstößen.

Anwalt Martinek Ihr Sohn wurde einmal wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt. Wie war seine Einstellung der Polizei gegenüber?

Böhnhardt Seine Einstellung war sicherlich kritisch. Und ich kenne mehrere Vorfälle, wo ich sagen muss: So geht das auch nicht. Die Polizei hat nicht das Recht, Jugendliche zusammenzuschlagen. Da hat auch die Mutter in mir gelitten, wenn ich ihn verbeult wieder abholen musste.

Anwalt Reinecke Haben Sie mal versucht, Beate Zschäpe zu fragen, was genau Ihr Sohn getan hat?

Böhnhardt Ich habe oft daran gedacht, ihr zu schreiben. Ich möchte aber nicht, dass ganz persönliche Worte an sie öffentlich werden. Vielleicht habe ich später mal die Möglichkeit, sie in einer JVA zu besuchen.

Götzl Dann machen wir Schluss mit der Befragung, Frau Böhnhardt. Auf Wiedersehen.

Böhnhardt Lieber nicht.

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