Читать книгу Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990 - Thomas Buomberger - Страница 16
Der «typische» Kommunist
ОглавлениеDer Prager Umsturz zeigte vielen die Fratze des Kommunismus und hatte etwas Manichäisches. So hörte man an einer Kundgebung von 1500 Zürcher Studenten die Worte: «Was heute vor sich geht, ist nicht mehr die Auseinandersetzung zwischen zwei Systemen, sondern es ist ein Kampf des Bösen gegen das Gute.»8 Für etliche Katholisch-Konservative schien der «Antichrist» gekommen. Nach «Prag» entstanden denn auch neue antikommunistische Abwehrgruppen, so der Freie Korrespondenz-Dienst von Peter Sager, der 1950 zwar einging, aber später ins Schweizerische Ostinstitut (SOI) integriert wurde. Eine weitere Gründung war die Aktion Freier Staatsbürger (AFS), die im Sinn des amerikanischen Senators und Kommunistenjägers Joseph McCarthy tätig wurde.9
Dass die PdA-Führung an öffentlichen Versammlungen Glückwunschtelegramme in triumphalem Ton verabschiedete und ganz im Sinn Stalins die Sowjetunion «ohne Zögern und ohne Vorbehalte verteidigte», führte bei der Basler SP um Friedrich Schneider – im Gegensatz zur moderateren SPS – zu schrillen Tönen. In ganzseitigen Inseraten im Baslerstab wurden die PdA-Mitglieder als «Nazis, Fröntler, Quislinge und Todfeinde der Demokratie» beschimpft. Und weiter: «Früher waren es die Nazis, heute die Kommunisten! […] Der Vernichtung der demokratischen Tschechoslowakei jubelt die PdA Beifall zu! Sie wird unbedenklich auch die schweizerische Demokratie den Russen ausliefern, wenn der Augenblick günstig ist.»10 Schneider stellte die PdA als Bedrohung für das Land dar. Ihre Mitglieder seien «feindliche Kolonnen im eigenen Land, der Befehlsgewalt Stalins und seiner Statthalter unterstellt». Diese heftigen verbalen Angriffe gerade in Basel hatten einen Grund: Die Konkurrenz war gross. 1944 hatte die PdA im Parlament 33 Sitze, die SP 32. Und die PdA hatte gutes Personal. «In Basel war es normal, dass ein Chefbeamter auf dem Arbeitsamt oder im Gesundheitswesen Kommunist war. Die PdA war gut integriert in Basel», sagt Helmut Hubacher, der spätere SPS-Präsident, der damals in Basel vor allem als Gewerkschafter aktiv war.11
Zur Konkurrenzsituation in Basel kamen personell-psychologische Momente hinzu, war doch Schneider in den 1920er-Jahren der gewerkschaftspolitische Anführer der KPS gewesen, von der er sich in einem hässlichen Disput getrennt hatte. Der Redaktor der Basler AZ, Max Wullschleger, hatte erst 1939 mit der KPS gebrochen. Beide hatten mit den ehemaligen Parteigenossen eine Rechnung offen. Wullschleger sprach schon nach 1948 von der PdA als einer Fünften Kolonne, einem Begriff aus dem Wörterbuch der Faschisten, und setzte ihre Haltung gleich mit der der Frontisten. Er rief schon damals dazu auf, dass die Gremien der Arbeiterorganisationen und des Staates von PdA-Leuten gesäubert werden müsste und nahm vorweg, was 1956 geschah.12
Die Sozialdemokraten hatten nicht vergessen, dass sie Stalin schon in den 1920er-Jahren als «Zwillingsbrüder des Faschismus», als «Sozialfaschisten» bezeichnet hatte. Ihre Abgrenzung von der PdA nach dem Krieg, ihr Versuch, diese Partei zu marginalisieren, und ihr eifriges Bekenntnis zum bürgerlichen Staat, zum Ausbau des Staatsschutzes und zur Aufrüstung der Armee waren nur folgerichtig. Die Mitglieder der SPS, die selbst im Ruf der unzuverlässigen Patrioten gestanden hatten, wollten nicht mehr als unsichere Kantonisten gelten. Die Partei musste ständig ihre Staatstreue unter Beweis stellen, weil ihr immer wieder unterstellt wurde, sie würde dem Kommunismus Schrittmacherdienste leisten.13 Die SPS übernahm bei ihren rabiaten rhetorischen Ausfällen das Vokabular der Antikommunisten vor dem Krieg und reicherte es mit Elementen der Geistigen Landesverteidigung an. Die übereifrige Abgrenzung der SPS gegenüber der PdA war eine Loyalitätsbekundung gegenüber den bürgerlichen Parteien und dem Staat. Die Abgrenzung von der PdA erhöhte zudem die Aussicht auf Machtbeteiligung und staatliche Ämter.
Die PdA war zum Paria geworden, ausgeschlossen vom nationalen Konsens, mit dem Stigma «Landesverräter» behaftet. Machte sie politische Vorschläge, so wurden sie von vornherein diskreditiert. Bundesrat Markus Feldmann charakterisierte in der Frühjahrssession des Parlaments 1949 den «typischen» Kommunisten folgendermassen und hatte damit wohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich:
– «Die Einheit der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er sie unterhöhlt und unterwühlt.
– Die Kraft der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er alles versucht, sie von innen heraus zu zersetzen.
– Die Ehre der schweizerischen Nation wahrt er so, dass er tagtäglich die von der schweizerischen Nation verfassungsmässig bestellte Staatsführung vor dem Ausland denunziert und heruntermacht.
– Die Unabhängigkeit des Landes wahrt er so, dass er mit seiner eigenen Partei die totale Abhängigkeit vom Ausland vordemonstriert.
– Und die Rechte und die Freiheit des Schweizer Volkes und seiner Bürger wahrt er so, dass er ein System vertritt, das dem Schweizervolk auch alles an Rechten und Freiheiten nehmen würde.»14
Dass die PdA von der Sowjetunion gesteuert war, war eine feste Grösse. In der Parlamentsdebatte von März 1949 sagte Bundesrat Markus Feldmann: «Die kommunistische Partei der Arbeit benimmt sich in Tat und Wahrheit erwiesenermassen als eine politische Agentur einer fremden Macht, die auf Schweizer Boden geflissentlich und konsequent die Geschäfte des Auslandes besorgt. […] Der Feind ist erkannt und durchschaut, man muss ihn aber auch entsprechend behandeln.» Wie die Mitglieder der PdA behandelt wurden, schilderte in derselben Debatte PdA-Nationalrat und -Präsident Léon Nicole, der 1952 aus der PdA ausgeschlossen wurde:15 «Alle Telefongespräche, die wir mit Mitstreitern führen, eventuell auch die mit unseren Verteidigern, mit irgendjemandem, mit irgendeinem Richter, werden seit acht Jahren genau kontrolliert, festgehalten und aufgenommen. Gleich ist es mit unserer Korrespondenz. Nichts, was uns betrifft, entgeht der Wachsamkeit des Bundesrates. Nichts entgeht der Wachsamkeit der Polizisten, die sich uns an den Fersen heften. Wohin wir auch gehen, wir können sicher sein, dass immer mindestens einer in der Gegend ist.»16
Es brauchte in der aufgeheizten Atmosphäre Anfang der 1950er-Jahre wenig, um als Kommunist oder Kommunistin gebrandmarkt zu werden, mit allen Folgen wie Verlust des Arbeitsplatzes und sozialer oder beruflicher Ächtung auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus. Es genügte dabei, dass sich unbewiesene Verdächtigungen und Gerüchte verbreiteten, auf den Rechtsstaat war dabei kein Verlass. Ein exemplarischer Fall ist derjenige von Helene Fausch-Bossert. Sie wurde 1907 als Tochter eines Kleinbauern und Posamenters geboren, musste früh in Fabriken und Haushalten arbeiten. Während des Zweiten Weltkriegs war sie als Soldatenmutter tätig und absolvierte 600 Diensttage als Angehörige des Frauenhilfsdiensts (FHD). Helene Fausch war sprachlich talentiert und tat sich als Verfasserin von Mundartgedichten und -erzählungen hervor.17 Sie war ab Anfang der 1950er-Jahre Mitarbeiterin beim Radiostudio Basel. Helene Fausch war eher unpolitisch, aber kulturell interessiert, insbesondere auch an russischer Kultur. Mit der Basler Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt (BFFF) unternahm sie auf Einladung einer sowjetischen Frauenorganisation 1953 eine bezahlte dreiwöchige Reise durch die Sowjetunion.18 Schon während der Reise ging in ihrem Dorf ein Kesseltreiben los, weil ein Lokalblatt über ihre Reise berichtet hatte. Ihr und den anderen Frauen wurde vorgeworfen, sie seien Kommunistinnen. Helene Fausch-Bossert bestritt dies: «Aber ich hatte einfach nichts zu tun mit der Politik, ich hatte damit einfach nichts zu tun.»19 Sie war nicht Mitglied der PdA, hingegen im Basler Vorstand der Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion (GSS). Das reichte.
Fauschs Ehemann war Sozialdemokrat, und es war ausgerechnet ein Sozialdemokrat, der die Sache ins Rollen gebracht hatte. Nach der Reise gingen seine Genossen auch zu ihm auf Distanz. Helene Fausch-Bossert erhielt anonyme Briefe, wurde in der Lokalpresse angegriffen. Sie konnte sich nicht verteidigen, ihre Leserbriefe wurden nicht veröffentlicht. Auch ihrem achtjährigen Sohn machte man das Leben schwer; er musste sich in der Schule Schauermärchen über seine Mutter anhören. Im folgenden Jahr landete sie symbolisch auf dem Scheiterhaufen. An der Fasnacht 1954 «haben sie mich verbrannt, unter grosser Belustigung auf dem Gemeindeplatz».
Das Kesseltreiben in den Zeitungen erreichte auch das Radiostudio Basel. Am 7. November 1953 erhielt Helene Fausch-Bossert die Kündigung. Im Entlassungsschreiben, in dem sie als «gute Mitarbeiterin» gewürdigt wurde, steht: «Dabei kam einhellig die Auffassung zum Ausdruck, dass Sie es durch Ihr Verhalten verunmöglicht haben, Sie weiter zu beschäftigen. Ausschlaggebend für diesen Beschluss war vor allem die Tatsache, dass es einem gewöhnlichen Schweizer heute eben nicht möglich ist, Russland zu bereisen.»20 Einem Bekannten schrieb sie wenige Tage nach ihrer Entlassung: «Der Boykott ist besiegelt. Auf eine Aussprache ging man nicht ein. – Die Reise nach Russland ist nun einmal ein Verbrechen. Basta! Hier auf dem Lande ist es arg. Die Hysterie ist bereits chronisch geworden. Ihr Grundübel, die Lüge und die Hetze ist ärger als Krebs. […] Ein Mädchen, das zufällig um die richtige Version der Reise wusste und mich in der Pause bei seinen Mitschülerinnen verteidigte, wurde dafür von ihnen traktiert. […] Es wurde und wird alles daran gesetzt, ‹uns› moralisch wie wirtschaftlich zu erledigen.»21
Der Psychoterror hielt an, und auch die politische Polizei überwachte Helene Fausch. Einem Kritiker schrieb sie: «So muss ich halt weiter Spiessruten laufen und der Hetze freien Lauf lassen. Immerhin, das bin ich mir bewusst, sie läuft sich mit der Zeit wund und müde. […] Und dass man mich als russophil betrachtet, jenu! Alle, welche die übliche Hetze nicht mitmachen, werden so gestempelt.»22 Beim Radio konnte Helene Fausch-Bossert ab 1957 wieder arbeiten, nachdem 1954 eine Intervention im Baselbieter Landrat durch den späteren SP-Regierungsrat Paul Manz noch erfolglos geblieben war. «Es hatte da eine gutgesinnte Frau im Verwaltungsrat, die sich für mich einsetzte», schilderte sie ihre berufliche Rehabilitation.23 Vollständig rehabilitiert wurde Helene Fausch-Bossert erst 1970. Im Jahr 1988 erhielt sie den Baselbieter Literaturpreis.