Читать книгу Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990 - Thomas Buomberger - Страница 17
Gesetz gegen «extremistische» Staatsbeamte
ОглавлениеDie PdA stürzte Anfang der 1950er-Jahre aufgrund von internen Machtkämpfen, ihrer stalinistischen Ausrichtung, Säuberungen und dem doppelten Druck von Bürgertum und Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit ab. War sie nach dem Wahlerfolg von 1947 noch als Hoffnungsträgerin erschienen, so mutierte sie nun in der Wahrnehmung zur Fünften Kolonne am Gängelband Moskaus. Obwohl sie nur einige tausend Mitglieder zählte, wurde die PdA während der folgenden Jahrzehnte zur Hauptzielscheibe des Staatsschutzes. Bei etlichen PdA-Mitgliedern, die früher in der KPS gewesen waren, gab es in der Überwachung eine Kontinuität. Der Bundesrat schrieb in einem Bericht von 1946: «Die kommunistische Bewegung in der Schweiz erfordert die Aufmerksamkeit der Behörden wegen ihrer revolutionären Tendenzen und ihrer ausländischen Beziehungen. […] Wie früher bei der Bekämpfung der rechtsextremistischen Umtriebe haben sich jetzt die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden für die Abwehr der Gefahren einzusetzen, die aus der Tätigkeit der Linksextremisten entstehen können.»24
1932 hatte der Bundesrat einen Beschluss erlassen, der die Beschäftigten der Bundesverwaltung, die Mitglieder der KPS oder einer kommunistischen Organisation waren, aus dem Bundesdienst ausschloss. 1942/43 wurde dieser Beschluss auch gegen Angehörige rechtsextremer Organisationen angewandt. Nach Kriegsende wurde er insofern relativiert, als es nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Organisation ankam, sondern auf das Verhalten. Es dauerte gerade mal fünf Jahre, bis die Bundesbehörden wiederum ein wachsames Auge auf die Kommunisten in der Bundesverwaltung warfen. Ein Bericht des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartements (EFZD) von 1950 hält fest: «Seit Beendigung der Feindseligkeiten spielen die Rechtsextremisten keine Rolle mehr. Dasselbe lässt sich aber nicht sagen von den Kommunisten, den Mitgliedern der Partei der Arbeit. An Nachweisen für ihre Hörigkeit gegenüber dem Kominform und der Sowjet-Union fehlt es nicht.» Dennoch wollte der Bundesrat nicht gleich sämtliche «Extremisten – auf der äussersten Linken oder Rechten» – vom Bundesdienst ausschliessen, denn davon wären auch solche betroffen gewesen, die trotz Zugehörigkeit zu einer extremistischen Partei vertrauenswürdig seien. Als Kriterium solle deshalb das Vertrauen dienen, das dem Einzelnen entgegengebracht werden könne. Ein genereller Ausschluss stünde auch im Widerspruch zur Tatsache, dass die PdA nicht verboten und im Parlament vertreten sei. Bundesrat von Steiger stellte aber in seiner Antwort auf eine Motion klar: «Man kann nicht im Staatsdienst arbeiten wollen und gleichzeitig gegen diesen Staat wirken und ihn unterminieren.»25 Der Bundesrat beschloss deshalb in einem geheimen Zusatzparagrafen, dass politisch verdächtige Bundesbedienstete beobachtet und beaufsichtigt werden. «Die Bundesanwaltschaft, das eidgenössische Personalamt sowie die Personaldienste der Bundesverwaltungen und -betriebe haben sich gegenseitig über die […] politisch verdächtigen Bundesbediensteten zu unterrichten. Die Bundesanwaltschaft führt die hierzu notwendigen Erhebungen durch.» Falls sich Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit ergäben, werde ein Bewerber nicht eingestellt.26 Damit sanktionierte der Bundesrat die Schnüffelei in den Bundesbetrieben. Dagegen wehrte sich auch die nichtkommunistische Linke.
Im Vorfeld des Beschlusses gegen «extremistische Bundesbedienstete» vom 5. September 1950 bereitete Bundesanwalt Werner Lüthi vor der Ständeratskommission schon mal das Terrain vor. Die Kontrolle westlicher kommunistischer Parteien durch die Kominform und die Änderungen der Umsturztaktik «wirken sich in der Haltung der PdA nachhaltig und mit steter Verstärkung aus. Dies erfordert nicht nur ausserordentliche Wachsamkeit der Behörden, sondern auch die Schaffung neuer, die neuen Methoden erfassende Strafbestimmungen». Unwohl war es den beiden SP-Nationalräten Arthur Schmid und Johannes Huber, weil sie befürchteten, die geplante Einschränkung der Freiheitsrechte könne sich gegen die Linke generell richten. Dem hielt Bundesrat Feldmann entgegen: «Die Auffassung Hubers, die PdA solle man nicht so ernst nehmen, ist unrichtig», denn es komme «nicht auf die Zahl an». Und weiter: «Die Erfahrung lehrt, dass die heute gegen uns angewandten Mittel viel raffinierter sind, als jene zur Zeit der Nationalsozialisten. Dagegen müssen Waffen geschmiedet werden.» Ein besonderes Augenmerk sei den «Kryptokommunisten» zu schenken. «Unter der Flagge der Kultur und der Wissenschaft arbeitet ein kleiner Trupp, der die Unterhöhlung anstrebt.» Ganz in diesem Sinn visierte Bundesanwalt Franz Stämpfli einen präventiven Staatsschutz an: «Wir wollen strafen, bevor der Tatbestand des Landesverrats erfüllt ist.» In der immer kühleren Atmosphäre des Kalten Kriegs, der Blockade von Berlin 1948/49 stiess die Verschärfung des Staatsschutzes auf wenig Widerstand. Selbst die Kritik am Staat konnte nun geahndet werden, denn bürgerliche Politiker und Staatsschützer folgerten, dass diese eine Vorbereitungshandlung zur Änderung der geltenden Ordnung, also subversiv sei.27 Diese Weisung, die erst 1990 aufgehoben wurde, scheint wenigstens teilweise den gewünschten Effekt gehabt zu haben: Es kam zu Parteiaustritten und Abbestellungen des Vorwärts.28
Der sozialdemokratische Nationalrat Pierre Graber reichte zum «Extremistenbeschluss» eine Interpellation ein und behauptete, diese Weisungen hätten «eine für unser Land neuartige Säuberungsaktion ausgelöst».29 Der kommunistische Nationalrat Léon Nicole verlangte in einer Motion vom Oktober 1950, dass die Weisungen des Bundesrates über die Auflösung des Dienstverhältnisses vertrauensunwürdiger Beamten aufgehoben werden, um damit die Meinungsund Vereinsfreiheit des Bundespersonals wiederherzustellen. In seiner Antwort zeigte sich Bundesrat Eduard von Steiger unnachgiebig: «Wer seine politische Tätigkeit in einer Partei nicht nur dazu benutzt, seine demokratischen Rechte auszuüben, sondern in Wirklichkeit ein militanter Verfechter antidemokratischer, totalitärer Ziele ist, gehört nicht in die eidgenössische Verwaltung.» Er ging noch weiter und meinte, dass auch ein Beamter, der nicht Mitglied der PdA sei, aber ein extremistisches Verhalten zeige, nicht in den Bundesdienst gehöre. Die kritisierte «Säuberungsaktion» im Beamtenapparat relativierte er, indem er angab, dass nur ein Dutzend Beamte nicht wiedergewählt und zwei Dutzend ins Angestelltenverhältnis versetzt worden seien. Immerhin sollen 500 Personen auf ihre «Vertrauenswürdigkeit» überprüft worden sein.30
Zwar richteten sich die am 5. Dezember 1938 vom Bundesrat erlassenen «Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie» auch gegen Rechtsextremisten, doch waren sie die Ausnahme von der Regel. Vorausgegangen waren diesem Beschluss verschiedene kantonale Gesetze, die sich gegen die KPS richteten.31 Noch als Nazi-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht und die Sowjetunion vor dem Zusammenbruch stand, sagte Werner Balsiger, Chef der Bundespolizei: «Die kommunistische Bewegung ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, nicht nur im Zusammenhang mit der internationalen Lage, sondern auch rein intern. […] Ich empfehle Ihnen daher dringend, den Linksextremisten alle Aufmerksamkeit zu schenken und mit allen Mitteln danach zu trachten, sie unschädlich zu machen.» Paradoxerweise hielt der Chef der Bundespolizei aber bei Kriegsende im Gegensatz zu vielen bürgerlichen Politikern die Gefährdung durch den Linksextremismus für gering. Auch Bundesanwalt Franz Stämpfli empfahl Ende 1944 dem Bundesrat, die PdA nicht zu verbieten, weil eine offen agierende Partei besser zu kontrollieren sei. Der Beitrag der Sowjetunion im Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte die Perspektive für die Kommunisten im positiven Sinn, wenn auch nicht für lange, verändert.
Den Umsturz in der Tschechoslowakei 1948 nahm der Staatsschutz zum Anlass, seine Praxis gegenüber «Linksextremisten» radikal zu verschärfen. Mitglieder und Sympathisanten der PdA wurden nun systematisch registriert. Zwar wurde immer wieder betont, dass die PdA zahlenmässig schwach sei und sich friedlich zeige (der Mitgliederbestand fiel von etwa 20 000 bei Kriegsende auf 3500 Ende der 1950er-Jahre), doch weil sie als Kaderpartei so gut organisiert sei, sei sie umso gefährlicher. Dieser Zirkelschluss legitimierte die systematische Erfassung und Registrierung (Fichierung) all derjenigen, von denen der Staatsschutz glaubte, sie seien Kommunisten, wobei er in der Definition unzimperlich und in der Sammelwut ausufernd war. Die Extremistenkartei beim Staatsschutz, die von 1950 bis 1972 als «Verdächtigtenkartei» geführt wurde, bestand am Schluss aus 10 000 Namen.32
Kommunisten standen unter Dauerbeobachtung. Der Buchhändler Theo Pinkus, einer der führenden Köpfe der PdA, hatte die umfangreichste Fiche aller Überwachten, sie füllte 240 Bundesordner.33 Es finden sich zu Pinkus auch unzählige Telefonabhörprotokolle, deren Inhalt kaum je über Alltägliches oder Organisatorisches, etwa zu Reisen, hinausging. Die Fiche des kommunistischen Politikers Emil Arnold umfasst 208 Karten mit 2889 Einträgen. Die meisten stammten von Anfang der 1950er-Jahre, obwohl die Bundespolizei die Kommunisten ab 1950 nicht mehr als Gefahr betrachtete.34 Die Aktivität des Staatsschutzes erreichte unmittelbar nach dem Krieg einen Höhepunkt. Im August 1945 gab es die erstaunliche Zahl von 600 Ermittlungshandlungen. Im Mai 1946 waren es 265, im September 1946 noch 199, und in den Jahren 1951 bis 1953 je etwa 75 pro Jahr. Diese Zahlen gab der Bundesanwalt in einer Erklärung vom März 1954 bekannt.35 Ob die Reduktion der Fälle etwas mit der Ernennung des rechten Sozialdemokraten René Dubois zum Bundesanwalt 1947 zu tun hatte, muss offenbleiben. An der unablässigen Überwachung der Kommunisten änderte das indes nichts.
Einer von ihnen war Paul Storz. Sein Fall zeigt exemplarisch, wie Kommunisten während Jahrzehnten überwacht wurden, obwohl es während dieser Zeit gegen ihn zu keiner Verurteilung, ja nicht einmal zu einer Anklage wegen landesverräterischen Aktivitäten kam.36 Storz galt innerhalb der PdA Genf als einer der «harten» Genossen. Der 1911 geborene Paul Storz, von Beruf Monteur, kam 1931 nach Genf, wo er sich mit kommunistischer Propaganda bemerkbar machte und deswegen auch entlassen wurde. 1939 wird er in den Genfer Gemeinderat gewählt (allerdings auf der Liste der Nicole-Sozialisten). Ein Bericht der Bundesanwaltschaft von 1953 hatte ihn jedoch bereits seit 1936 als Mitglied der KPS und als «militanten Kommunisten» registriert. 1940 wird Storz verhaftet; die Polizei findet bei ihm 40 Broschüren mit kommunistischer Propaganda und einige Briefe. Ein Jahr später wird er aus dem Gemeinderat entlassen und entwickelt in den Folgejahren eine starke Aktivität im Untergrund und in Genfer Fabriken, was ihn erneut mehrmals ins Gefängnis bringt. 1942 erfolgt der Ausschluss aus der Gewerkschaft SMUV, dem Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband. 1945 wird Storz Mitglied des Parteivorstands der PdA.
Selbstverständlich wird auch das Telefon von Storz abgehört, und Inspektor Paul Hartmann von der Bundesanwaltschaft erfährt 1949, dass Storz sich nach Basel zu einer Funktionärsversammlung begeben werde, bei der es um den Aufbau von Betriebsgruppen gehe. Das fiel offenbar nicht ganz leicht, wie eine Aktennotiz des Polizeikommandos Aargau vom 5. Mai 1951 zeigt: «Storz, Paul, von dem angenommen werden musste, dass er mit seiner kommunistischen Propaganda auch die Fa. Brown, Boveri & Co., in Baden durchsetzen sollte, ist hier nicht in Erscheinung getreten. Die Fa. BBC hat unter der Leitung von Personalchef Buser mittelst Vertrauensleuten einen Überwachungsdienst organisiert. Es hat sich gezeigt, dass es den Kommunisten sehr schwer fällt bei BBC Fuss zu fassen.»
Der Staatsschutz kontrolliert natürlich auch die Post von Storz wegen vermuteter Zuwiderhandlung gegen Art. 275 des Strafgesetzbuches (Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung, staatsgefährliche Propaganda). Einladungen zu Veranstaltungen, an denen Storz referierte, fing der Staatsschutz ebenso ab wie Briefe der sowjetischen Botschaft, der PdA oder persönliche Korrespondenz. Registriert wurden selbstverständlich auch Treffen mit anderen Genossen wie Jean Vincent, Léon Nicole oder Jules Humbert-Droz. Die Genfer Polizei wusste zu berichten, dass er nicht wegen eines politischen Konflikts in die Tschechoslowakei gereist sei, sondern zur medizinischen Behandlung. Er sei nämlich fast taub. Alle seine Ausreisen ins Ausland vermerkt der Staatsschutz. 1953 meldet die Bundesanwaltschaft der Schweizer Gesandtschaft in Wien, dass Storz dorthin gereist sei, und bittet, «weitere Ihnen zur Kenntnis gelangende Feststellungen über Aufenthalte des Storz in Wien» zu machen.
Ein Grossteil der Meldungen des Staatsschutzes betraf Banalitäten, Alltägliches oder auch Misserfolge der Überwacher wie 1957: «Die uns heute von Hrn. Kom. Meier telefonisch gemeldeten Storz Paul und Magnin Armand, beide Genf, trafen sich nach ihrer Ankunft in Bern um 13.13 mit den PdA-Prominenten Vincent, Bodenmann, Muret und Woog im Buffet SBB. Nach kurzem Aufenthalt begaben sich alle, auf getrenntem Wege, nach dem Rest. Kornhauskeller zu einer Besprechung. Da eine Annäherung an sie nicht möglich war, wurde die Überwachung abgebrochen.» Meist stand in den Einträgen, dass sich Storz und andere Genossen getroffen hatten, doch über den Inhalt der Gespräche konnten die Überwacher nichts eruieren. Weil er so aktiv war, galt er als einer der gefährlichsten Kommunisten. Fazit: Paul Storz mag ein knallharter Stalinist gewesen sein, der agitierte, um Mitglieder für die PdA zu gewinnen. Doch alles, was er tat, erwies sich trotz jahrzehntelanger Sammeltätigkeit des Staatsschutzes als strafrechtlich irrelevant.
Im Gegensatz zu anderen Ländern hatte die Schweiz mit den Auswüchsen des Kommunismus keine unmittelbare Erfahrung gemacht, sondern nahm eine ideologisch motivierte Abwehrhaltung ein. In Deutschland gab es ebenfalls einen heftigen Antikommunismus, der im Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 mündete, nachdem die Regierung Adenauer bereits 1951 einen Verbotsantrag gestellt hatte. Hier hatte die Aversion gegen den Kommunismus und die Kommunisten allerdings konkrete Bezugspunkte, sei es die Vergewaltigungen und Verwüstungen durch Angehörige der Roten Armee gegen Ende des Kriegs, die Vertreibungen von Millionen von Deutschen aus den sowjetisch besetzten Ländern nach dem Krieg, die «Zwangsvereinigung» von SPD und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) oder die Berlinblockade 1948/49. Ähnlich wie in der Schweiz bot ehemaligen Nazis in Deutschland der Antikommunismus die Gelegenheit, ihre braune Vergangenheit hinter sich zu lassen und nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vor diesem Hintergrund wundert man sich, wieso die Massnahmen des Schweizer Staatsschutzes gegen Kommunisten ohne diesen Erfahrungshorizont mindestens so rabiat waren.