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«Säuberungen» im SMUV

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Die Schweizer Gewerkschaften waren eine verlässliche Stütze im Kampf gegen den Kommunismus. Es ist wohl kein Zufall, dass der SMUV, der 1937 das Friedensabkommen mit den Arbeitgebern geschlossen hatte, die Speerspitze der antikommunistischen Gewerkschaften bildete. Oft waren ihre Verlautbarungen schärfer als diejenigen von bürgerlicher Seite. Anhand der Protokolle des Leitenden Ausschusses des SMUV zeige ich, wie die Gewerkschaftsführung die «Säuberungen» (dieser Terminus wurde von den Funktionären verwendet) durchführte. Diese begangen bereits Jahre vor «Ungarn».

Während nach 1956 der SMUV systematisch kommunistische Mitglieder ausschloss, gab es schon früher Fälle, da Kommunisten entfernt wurden. Die Sektion Genf, die 5000 Mitglieder zählte, beschäftigte den Leitenden Ausschuss (LA) während Jahren. SMUV-Präsident Konrad Ilg, einer der Unterzeichner des Friedensabkommens, gab 1950 zu Protokoll, dass die PdA «bei den gewerkschaftlichen Funktionären die Erfüllung der kommunistischen Direktiven verlangt». Man müsse deshalb versuchen, den Sektionsvorstand «auf unsere gewerkschaftliche Linie zu bringen». Gelinge das nicht und würden das «kommunistische Treiben» und die «Zersetzungserscheinungen» weitergehen, müsste der Verband eventuell die Sektion auflösen.114

Ende 1951 konstatierte der Leitende Ausschuss: «Die kommunistischen Wühlereien der Partei der Arbeit in Genf sind bekannt. Unsere Sektion Genf ist überall von diesen Leuten durchsetzt. […] Die Kommunisten (PdA) machen nun alle Anstrengungen, um auch die Gruppe Uhrenarbeiter in ihre Hände zu bekommen. […] Die Entwicklung in Genf treibt einem kritischen Stadium entgegen.» Ilg schlug vor, gegen «Fehlbare» vorzugehen, während LA-Mitglied Ad. Grädel meinte, eine Warnung sei nötig, «bevor die Uhrenarbeiter verseucht sind und in einen Streik getrieben werden».115 Laut LA-Mitglied Arthur Steiner, der ab 1954 SMUV-Präsident war, sei die Genfer Sektion völlig von den Kommunisten beherrscht.

Im Herbst 1952 stellte der Leitende Ausschuss fest, dass die Zentralsekretäre in Genf unerwünscht seien und dass das Wort einer Spaltung umgehe.116 Die Situation eskalierte im Jahr darauf, als sich die Uhrenarbeiter von der Sektion Genf trennen wollten, weil sie sich von den Kommunisten bevormundet fühlten. Als der SMUV ein entsprechendes Reglement verabschieden wollte, verhinderten das PdA-Leute. Sie hätten Krach gemacht, «wobei sich insbesondere Frauen hysterisch gebärdeten und auch in Tätlichkeiten übergingen». Ilg war der Ansicht, dass Ausschlüsse erwogen werden müssten, falls es weitere «Terrormassnahmen» gebe.117

Es kehrte in Genf eine vorläufige Ruhe vor dem Sturm ein, während es anderswo brodelte. Im Frühling 1956 gab Arthur Steiner besorgt zu Protokoll, dass sich «im Zürcher Sektionsvorstand bereits Kommunisten befinden». Und eine Woche später befürchtete Grädel, dass «die Anstrengungen der Kommunisten, in der Schweiz mit den Sozialdemokraten ein besseres Verhältnis zu erhalten, zum Teil erfolgreich sein werden». Man merke das seit einem halben Jahr in den welschen Sektionen der Partei, und das werde auch auf die Gewerkschaften abfärben. In der welschen Schweiz sei die Lage beunruhigend. Die Kommunisten gewännen mit ihrer Taktik an Boden und würden sogar noch von den Arbeitgebern verwöhnt.118

Nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn, am 8. Dezember 1956, fasste der Erweiterte Zentralvorstand des SMUV den Beschluss, dass die Zugehörigkeit zur PdA mit der Bekleidung eines Vertrauenspostens beim SMUV unvereinbar sei. Er verlangte von den Sektionen, dass die Kommunisten von jeder Funktion ausgeschlossen würden. In Genf waren sehr viele Funktionen mit PdA-Leuten besetzt. Hätte man alle ausgeschlossen, wäre die Sektion handlungsunfähig geworden. Deshalb forderte die SMUV-Zentrale die Sektion Genf auf, bei den nächsten Wahlen in die Gremien dafür zu sorgen, dass nichtkommunistische Mitglieder gewählt würden.119

In den Wochen nach dem Ungarn-Aufstand war die Verunsicherung innerhalb der Gewerkschaften gross. Soll man bei den Kommunisten differenzieren nach einfachen Mitgliedern und Funktionsträgern?120 In Genf, wo es laut Arthur Steiner «brodelte», drohte eine Spaltung. Der Leitende Ausschuss befürchtete, dass die führenden Kommunisten in Genf das Ziel hätten, «durch ihre Leute in unserem Sekretariat den Verband in die Finger zu bekommen. Sie wollen unterminieren und im Ernstfall würden diese unseren Verband zweifelsohne verraten». Dem fügte LA-Mitglied Grädel bei: «Wir müssen die Kommunisten moralisch verdammen.» Doch könne man nicht alle PdA-Mitglieder ausschliessen, sondern nur die aktiven. Dem hielt E. Giroud, der Vertreter aus der Westschweiz, entgegen, dass «unsere kommunistischen Mitglieder erklären, sie seien gegen den russischen Kommunismus, man dürfe nicht Vergleiche ziehen und sie würden darunter leiden, dass man sie mit diesen Gräueltaten in Verbindung bringe». Die einzigen, die sich in Genf gewerkschaftlich und in den Arbeiterkommissionen einsetzten, seien die Kommunisten. Viele seien gute Vertrauensleute. Ernst Wüthrich, der ab 1958 Zentralpräsident des SMUV war, gab sich als Hardliner. In seinen Voten manifestierte sich ein offenkundiger Graben zwischen der Deutsch- und der Westschweiz. Wenn man den Kommunisten «nicht den ganzen Apparat in die Hände spielen [wolle], ist das aber nur möglich, wenn die Sektionsverwaltung in Genf gesäubert wird. Denn dort, wo ein Loch ist, werden die Kommunisten hineinkommen».121

Drei Tage später erklärte Arthur Steiner, dass in den Deutschschweizer Sektionen die PdA-Mitglieder veranlasst würden, ihr Mandat niederzulegen. Er drohte: «Ich persönlich und auch meine Kollegen im Leitenden Ausschuss sind zur Überzeugung gelangt, dass auch unser Verband auf Sauberkeit achten muss und dort zuzugreifen hat, wo die Sektionen nicht selbst Ordnung machen.» Und ultimativ: «Wer heute noch zur PdA steht und gutheisst, was Russland tut, der hat keinen Platz mehr in der Gewerkschaft.» Wüthrich doppelte nach und meinte, es gelte nun, die Sekretariate von «kommunistischen Elementen zu säubern». Die Vertreter aus der Romandie gaben zu bedenken, dass es die Kommunisten waren, die die Sektionen hochgebracht hätten, währenddem die Nichtkommunisten der gewerkschaftlichen Arbeit indifferent gegenüberstünden.122

Am 11. Dezember 1956 erliess Arthur Steiner im Namen des Erweiterten Zentralvorstandes eine Erklärung zuhanden der Sektionsvorstände: «Es ist unvereinbar, eine Charge im SMUV zu haben und Mitglied der PdA zu sein. […] Der SMUV betreibt keine Parteipolitik. Er hält aber auf Sauberkeit, die er der schweizerischen Arbeiterschaft schuldig ist. […] Gegenüber der PdA hört aber die Diskussion aus Sauberkeitsgründen auf. Haltet auf Ordnung.»123 Bemerkenswert ist die mehr als einmal verwendete Metapher der «Sauberkeit», die ein Pendant hatte im «kommunistischen Bazillus», der den gesunden Schweizer Volkskörper bedrohte.

Während die «Säuberungen» in der Deutschschweiz nicht auf nennenswerten Widerstand stiessen, konnte sich der SMUV in Genf vorerst nicht durchsetzen. Der Leitende Ausschuss war ratlos, weil man die Kader in der Sektion und in den Arbeiterkommissionen nicht sofort ersetzen konnte. In der Deutschschweiz munkle man bereits, der Zentralvorstand wage es nicht, in Genf vorzugehen. Die PdA versuche, die Beschlüsse zu durchkreuzen, und wolle eine Petition gegen die Erklärung des Erweiterten Zentralvorstandes in den Betrieben lancieren.124

Die SMUV-Geschäftsleitung schien sich langsam durchzusetzen. Armand Magnin trat als Sekretär des Gewerkschaftskartells zurück und wurde wegen seiner «Verleumdungskampagne» ausgeschlossen. Doch die Beschlüsse des Zentralvorstandes liessen sich noch immer nicht umsetzen. Etliche Mitglieder wurden zwar ausgeschlossen, reichten aber Rekurs ein. Arthur Steiner vermutete: «Diese scheinen nicht von den Betroffenen selbst geschrieben worden zu sein, sehr wahrscheinlich steckt [der kommunistische Anwalt und Nationalrat Jean] Vincent dahinter.» Tatsächlich untersuchte ein Genfer Advokat im Auftrag des SMUV die Statuten und musste feststellen, dass darin «unklare Formulierungen» enthalten waren. Steiner befürchtete, dass es zu Prozessen kommen werde. Bis Mai 1957 sollen 100 bis 200 PdA-Mitglieder aus dem SMUV ausgetreten sein.125 SMUV-Zentralsekretär W. Peyer stellte 1958 befriedigt fest, man habe «mit eisernem Besen die letzten Reste kommunistischen Einflusses restlos ausgekehrt». Dass die PdA später die Verbandsleitung beschuldigt habe, demokratische Rechte verletzt zu haben, habe ihn wenig gekümmert.126 Mindestens verbal war der SGB auf der gleichen Linie wie der SMUV. Einem SMUV-Mitglied, das den Verband aufforderte, «etwas abzuwarten, bis der künstlich aufgewühlte Massenhass sich etwas gelegt» habe, antwortete der SGB: «Noch nie in der Geschichte der Arbeiterschaft hat man etwas derart Abscheuliches erlebt.» Gegen das Verhalten der PdA würden die Schweizer Arbeiter protestieren und verlangen, dass man gegen diejenigen vorgehe, «welche die Massakrierung von Arbeitern billigen, die sich gegen das unwürdige Joch der Unterdrückung auflehnen […]».127

Die «Säuberungen» im SMUV zogen sich bis in die 1960er-Jahre hinein. Allerdings gab es auch Ausnahmen. So wollte der Winterthurer SMUV-Sekretär Walter Gilomen die Kommunisten hinauswerfen, doch setzte sich Präsident Hans Egli durch, der meinte, solange einer nach den Ideen der Gewerkschaftsbewegung arbeite, habe er darin Platz, ob er Kommunist sei oder nicht. Im Sommer 1962 kam es auf Bestreben der Bundespolizei zu einem Treffen zwischen der Leitung des SMUV, um Informationen auszutauschen in Fällen, «in denen eine Wühlarbeit ausländischer kommunistischer Arbeiter in der Schweiz festgestellt worden ist». SMUV-Präsident Wüthrich zeigte sich dankbar für dieses Treffen.128

«Säuberungen» beschränkten sich nicht auf die Gewerkschaften. Der Zürcher Lehrerverein (LVZ) entschied 1956 mit 86 zu 0 Stimmen, dass kommunistische Lehrer aus dem Verband ausgeschlossen würden. Auch nahm er im Verhältnis von 3 zu 1 eine Resolution an, die die PdA als «Organisation landesverräterischen Charakters» bezeichnete. Die PdA-Lehrer wurden zum «systematisch geschulten Kader» der PdA gezählt und der Auslandsabhängigkeit bezichtigt. Weder während des Generalstreiks noch während der Frontenbewegung schloss der LVZ Lehrer wegen ihrer politischen Gesinnung aus. Der LVZ hielt fest, es gelte die freiheitliche Ordnung auf «vaterländischem Boden» zu schützen, die «faulen Stellen auszumerzen» und keinen «Schlupfwinkel für gefährliche Wühlereien» zu bieten.129

Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990

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