Читать книгу Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990 - Thomas Buomberger - Страница 6
Einleitung
Оглавление«Da wir keine Kriegshelden waren, wollen wir nun wenigstens die Helden des kalten Krieges sein. Unser Antikommunismus ist daher nicht frei von einem schlechten Gewissen.»
Friedrich Dürrenmatt
Die Schweiz ist seit über 200 Jahren von einem heissen Krieg verschont geblieben. Nicht so vom Kalten Krieg: Die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, war in der Schweiz kälter als anderswo. Diese Kälte spürten insbesondere Linke, am meisten die Kommunisten. Wer sich als Kommunist zu erkennen gab, befand sich ab 1945 ausserhalb der politischen Gemeinschaft, wurde geächtet, überwacht und ausgegrenzt. Der Kommunismus war unschweizerisch, der Antikommunismus war identitätsstiftend und generierte einen helvetischen Konformismus.
Dass in der bis weit in die 1960er-Jahre hinein politisch weitgehend homogenen Schweiz die politische Linke (falls sie nicht dem gemässigten gewerkschaftlichen oder sozialdemokratischen Flügel angehörte) oft stigmatisiert wurde, hat mit einer spezifisch schweizerischen Ideologie zu tun: der Geistigen Landesverteidigung. Dieses nationalkonservative Kulturprojekt, 1938 von Bundesrat Philipp Etter propagiert, diente in den Kriegsjahren als helvetischer Riegel gegen die Verführungen der Nazi-Ideologie. Es betonte die Eigenständigkeit einer schweizerischen Kultur, rühmte die Viersprachigkeit, pries die Vorzüge des politischen Systems, stand fest auf den Pfeilern von Föderalismus und direkter Demokratie. Nach dem Krieg kam der Feind nicht mehr aus Norden, sondern aus dem Osten. Statt Nazis waren nun die Kommunisten die Staatsfeinde, ob in- oder ausländische. Wer linke Sympathien zeigte, war Teil einer sogenannten Fünften Kolonne, die die Unabhängigkeit der Schweiz gefährdete, das Land der roten Diktatur im Osten ausliefern wollte.
Die Geistige Landesverteidigung ist die wohl wirkungsmächtigste Ideologie in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Sie bedeutete nicht nur eine mentale Beschränkung und intellektuelle Isolation nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern sie äusserte sich in einer Bunkermentalität und einem Sicherheitsdenken, die international Ihresgleichen suchten. Die Schweizer Armee begann zwar schon 1882 beim Bau des Gotthardtunnels mit den Befestigungen im Gotthard. Sie baute sie während des Zweiten Weltkriegs sukzessive zum Reduit aus, das erst Jahre nach Kriegsende wirklich funktionstüchtig gewesen wäre. Die eigentliche Verbunkerung der Schweiz fand dann aber erst im Kalten Krieg vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung durch die Sowjetunion statt. Diesem Sicherheitsdenken entsprang die irrwitzige Vorstellung, dass ein Atomkrieg zu überleben sei, was in einem gigantischen Bauprogramm mündete, das jedem Einwohner, jeder Einwohnerin einen Schutzplatz zur Verfügung stellte. Doch diese Phantasmagorien gingen weiter: Nicht nur hätte ein Atomkrieg überlebbar sein sollen, die Schweiz wollte auch mit eigenen Atomwaffen den Preis für einen potenziellen Angreifer hochschrauben. Wie eine atomare Verwüstung zu überleben wäre, darüber wurde die Bevölkerung im Ungewissen gelassen.
Die Schweiz war unter den westlichen Demokratien das antikommunistischste Land, was inländische – bürgerliche – Politiker und Historiker, aber auch ausländische Diplomaten feststellten. Wie kommt es, dass in diesem wirtschaftlich prosperierenden Land, wo die kommunistische Partei der Arbeit (PdA) nur eine marginale Rolle spielte und wo die bürgerlichen Werte in der Bevölkerung solide verankert waren, sich ein robuster bis militanter Antikommunismus entwickeln konnte, der die politische Kultur des Landes in einen einheitlichen, rechtsbürgerlichen Mainstream zwang und missliebige politische Aktionen mit dem Label «kommunistisch» diskussionslos abwürgen konnte? Eine Erklärung mag in der Imprägnierung mit den Werten der Geistigen Landesverteidigung liegen, die sich als probates Mittel gegen die Nazi-Propaganda erwiesen hatte und die nun, um 180 Grad gewendet, gegen den neuen Feind aus dem Osten eingesetzt werden konnte. Das ermöglichte denjenigen Eliten, die mit den Fronten oder dem Nazismus geliebäugelt hatten, sich als glaubwürdige antikommunistische Patrioten zu gerieren und damit von ihrem wenig ruhmreichen Verhalten während der Nazi-Zeit abzulenken. Es ermöglichte aber auch dem Land als Ganzes, das nicht unproblematische Verhalten während dieser Zeit mit dem Mantel des Vergessens zu überdecken und sich mit umso mehr Vehemenz in den antikommunistischen Kampf zu stürzen. Der wegen seiner Deutschfreundlichkeit und des geschäftlichen Opportunismus während des Zweiten Weltkriegs geächtete einstige Paria der westlichen Alliierten zeigte sich nun im ideologischen Wettstreit als Musterschüler.
Der bürgerliche Antikommunismus schloss implizit die Sozialdemokratie mit ein. Er war ein Disziplinierungsinstrument, mit dem die Sozialdemokraten gezwungen wurden, permanent ein Treuebekenntnis zum bürgerlichen Staat und zur bewaffneten Landesverteidigung abzugeben. Mit ihrem eigenen fulminanten Antikommunismus konnten die Sozialdemokraten und Gewerkschafter beweisen, dass sie nicht die «vaterlandslosen Gesellen» waren, als die sie nach dem Landesstreik 1918 vom Bürgertum verdächtigt wurden.
Die vorliegende Untersuchung schildert anhand von wirtschaftlichen und politischen Kraftlinien, nahe an zeitgenössischen Quellen und eingebettet im internationalen Kontext, die vielgestaltigen Folgen des Kalten Kriegs in der Schweiz. Ich male dabei nicht ein Big Picture des Kalten Kriegs, sondern versuche, mit feinem Pinsel die Textur nachzuzeichnen, die die Schweiz im Zeichen des Antikommunismus zusammenhielt, beziehungsweise zu zeigen, wo das Gewebe Risse bekam. Es sollen anhand von Zeitungsartikeln, Verlautbarungen von Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft, offiziellen Dokumenten der Behörden, Korrespondenzen, aber auch von Spitzelberichten die Diskurslinien aufgezeigt werden, um ein Bild der mentalen Verfasstheit der Schweizer Gesellschaft im Kalten Krieg zu zeichnen. Ich werde dabei häufig O-Ton zitieren, weil die Tonalität, die Wortwahl und Diktion den Zeitgeist intensiv wiedergeben.
Alles hängt mit allem zusammen. Ich werde darstellen, wie im Kalten Krieg Geistige Landesverteidigung, Antikommunismus, Überwachungsstaat, Armeekonzeptionen, Sicherheitsdenken und Zivilschutz eine wechselseitige, manchmal skurrile, zwanghafte, gefährliche, für viele schicksalshafte Beziehung eingingen. Dabei setzte die Schweiz aufgrund eines übersteigerten Sicherheitsdenkens wirtschaftliche und intellektuelle Ressourcen auf eine Art ein, die andernorts vielleicht produktiver hätten verwendet werden können. Die Grundthese lautet, dass nur im Klima der Geistigen Landesverteidigung die Atmosphäre eines rabiaten Antikommunismus, geprägt von Misstrauen und Abwehr, entstehen konnte. Wie wir sehen werden, wirkt die Geistige Landesverteidigung auch nach 80 Jahren noch nach.