Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 12
b. Operation: Tequila Sunrise
Оглавление„Mist! Der Angostura-Bitter ist aus! Na dann nehmen wir eben die Worcester-Sauce – ist doch eh fast das gleiche Zeug.“
Barmann mit nach eigenem Bekunden 8jähriger Berufserfahrung bei der Zubereitung eines Manhattan-Cocktails
Die primäre und zugleich offensichtlichste Aufgabe eines Barmannes noch vor der Bewirtung ist es, Bestellungen anzunehmen und Getränke zuzubereiten. Das klingt nicht allzu kompliziert. Selbst einem dressierten Affen könnte man wohl mit einem gehörigen Maß Geduld eine Handvoll Cocktailrezepte beibringen – freilich mit schwankender Messgenauigkeit und unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen, aber es wäre unbestreitbar möglich. Denken Sie nur an die faszinierende Gorilladame Koko, die sich mittels Gebärdensprache mit einem Repertoire von über 1.000 Zeichen verständlich machen kann und zudem annähernd 2.000 englische Wörter versteht. Sie würde sicherlich auch keine schlechte Barfrau abgeben und so manchen Kollegen mit Leichtigkeit in den Schatten stellen.
Aus diesem Gleichnis lässt sich schließen, dass es wohl für einen Menschen keine allzu überragende Leistung darstellen sollte, einhundert und mehr Rezepturen aus dem Stehgreif zu beherrschen. Gerne wird damit angegeben, man beherrsche 300 Rezepturen oder sogar noch weit mehr, aber was bedeutet das schon? Das bloße Auswendiglernen stellt an sich noch keine besondere kognitive Leistung dar, hierzu sind alle durchschnittlichen Geistesgrößen ohne allzu große Probleme fähig. Zudem haben Barmänner täglich mit der Zubereitung von Rezepten zu tun, die gängigsten davon prägen sich also schon aus purer Routine irgendwann wie von selbst ins Gedächtnis ein. Außerdem existieren sogenannte „Schlüssel-Rezepte“, die als Ausgangsbasis für weitere, lediglich leicht abgewandelte Rezepturen dienen. Hier ein einfaches und wohl nahezu jedem treuen Bargänger bekanntes Beispiel:
Grundrezept Caipirinha:
1 Limette (geachtelt)
3 Barlöffel Rohrzucker
5 cl Cachaça
gestoßenes Eis
Indem wir nun lediglich die Basis-Spirituose Cachaça austauschen, erhalten wir sodann folgende veränderte Cocktail-Bezeichnungen:
Rum = Caipirissima/Caipirumba
Wodka = Caipirovska/Caipiroska/Caipirodka
Aperol = Caipirol
Licor 43 = Caipi 43
Tequila = Caipiquila
Ginger Ale = Virgin Caipirinha/Ipanema
Als nächstes nehmen wir uns erneut die Grundrezeptur vor, fügen jedoch Minze hinzu, ersetzen die Cachaça durch Rum und fügen etwas Soda hinzu:
1 Limette (geachtelt)
Minze
3 Barlöffel Rohrzucker
5 cl Rum
2 – 3 cl Soda
gestoßenes Eis
Die so veränderte „Caipirinha“ erhält nun, im Gegensatz zu den ersten Abwandlungen, wo lediglich die Basis-Spirituose ausgetauscht wurde, eine vollkommen neue Bezeichnung: Mojito. Gehen wir nun noch einen Schritt weiter, entfernen wir die für die Caipirinha typischen Limetten, nehmen Bourbon-Whiskey anstelle der Cachaça und nutzen als Zucker entweder flüssigen Läuterzucker oder Puderzucker:
Minze
3 BL Puderzucker oder 2 cl Läuterzucker
5 cl Bourbon Whiskey
2 – 3 cl Soda
gestoßenes Eis oder Würfeleis
Was wir nun erhalten, wird gemeinhin als „Julep“ oder „Mint-Julep“ bezeichnet. Das Spiel könnte nun von neuem beginnen, indem der Bourbon-Whiskey einmal mehr gegen andere Spirituosen ausgetauscht wird, doch sollte dieses kleine Beispiel zur Veranschaulichung von Schlüssel-Rezepturen genügen.
Schon jetzt beherrschen wir allein durch die Kenntnis einer einzigen Rezeptur insgesamt 9 Cocktails. Schlüssel-Rezepturen dieser Art gibt es in mannigfacher Weise und sie erhöhen quasi auf einen Schlag das Repertoire eines Barmannes um ein Vielfaches. Selten ist unter Barmännern ein Genie zu finden, es handelt sich im Regelfall schlichtweg um das Ergebnis täglicher Routine.
In der Vergangenheit hat es bereits Versuche gegeben, Bars mit sog. Cocktailmixmaschinen auszustatten. Sie haben noch nie davon gehört? Kein Wunder, den sie konnten sich nicht durchsetzen und werden es zweifellos auch niemals. Eine solche Maschine funktioniert vereinfacht gesagt so: sie ähnelt in Form und Aufbau einer Bierzapfanlage, dementsprechend befindet sich integriert in den Tresen eine Art Zapfsäule. Sie ist verbunden mit einem Kühlraum, in dem sich diverse Kanister und Fässer befinden, die mit Säften, Spirituosen usw. befüllt sind und von speziellen Lieferanten bezogen werden müssen. In ein Display in der Zapfsäule lässt sich der gewünschte Cocktail eingeben. Sie als Barmann müssen lediglich noch ein Glas mit Eiswürfeln unter die Säule stellen, zusehen, wie die Zutaten automatisch dosiert aus der Säule abgegeben werden, und das ganze anschließend kräftig schütteln und abseihen. Fertig.
Die Vorteile liegen auf der Hand: der Barmann muss keine einzige Rezeptur beherrschen und jeder Cocktail schmeckt exakt gleich, da es zu keinerlei Messungenauigkeiten kommt. Ach ja, betrügen lässt sich ein solcher Apparat natürlich auch nur schwerlich. Gerade dieser Umstand hat wohl die wenigen stolzen Besitzer eines solchen Apparats dazu bewogen, sich dieses Ungetüm überhaupt zuzulegen.
Weitaus gravierender sind aber die Nachteile, die nicht weniger offensichtlich sind: es ist unmöglich, sämtliche Zutaten, die schon für das Cocktailangebot einer durchschnittlichen Bar notwendig sind, in Kanistern zu beziehen und über Schläuche mit der Zapfsäule zu verbinden. Sehen Sie sich die Rückbuffets der Bars an, über hundert Flaschen sind der Normalfall. Das alles in Fässern? Keine Chance. Weiterhin lässt sich auf diese Weise kein Cocktail flexibel gestalten. Sie hätten Ihren Cosmopolitan gerne süßer? Ein Mai Tai schmeckt Ihnen besser mit Rum *XY*? Tja, Pech gehabt - gehen Sie woanders hin!
Außerdem sieht kein Mensch gerne einem Automaten dabei zu, wie er Cocktails mixt bzw. die Zutaten dosiert. Nach rund zehn Minuten ist die anfängliche Neugier für ein solches Teil, das man wahrlich nicht oft zu Gesicht bekommt, verflogen. Und noch ein Nachteil, der schon allein das Ausschlusskriterium für eine Cocktailmixmaschine sein sollte: diese Kisten arbeiten zu langsam. Zwar mag der Saft aus mehreren Leitungen gleichzeitig und damit schneller fließen, doch auch hier müssen Flaschen und Kanister immer wieder ausgetauscht werden, was zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Unterm Strich bleibt also zu sagen: netter Versuch, Ihr Tüftler – und jetzt nehmt Euren Schrott und bestellt Euch in der nächsten Bar erst mal einen Drink.
Um die Rezepturen, die man in einer Bar verwenden möchte, lässt sich trefflich streiten. Jeder Drink wurde irgendwann einmal, irgendwo von irgendwem kreiert, aber oftmals liegen Zeit, Ort und Urheber im Dunkeln und es existieren nur noch Gerüchte darüber, wie ein Drink einmal in seiner ursprünglichen Form beschaffen war. Selten sind Abwandlungen oder Improvisationen besser, in der Regel ist die Urform ideal. Doch gerade aufgrund mangelnder Dokumentation ist man sich nicht immer einig über die korrekte Zubereitungsart eines Cocktails.
Eines meiner Lieblingsbeispiele ist der „Mai Tai“. Im Laufe der Jahre habe ich den Eindruck gewonnen, so viele Bars wie es gibt, so viele verschiedene Mai Tai Rezepte existieren auf der Welt. Die Unterschiede sind dabei nicht selten derart gravierend, dass ihnen allen nicht viel mehr als weißer und brauner Rum gemein ist. Das ist ein Problem, kann man sich beim Besuch einer unbekannten Bar doch niemals sicher sein, was man hier als sogenannten Mai Tai vorgesetzt bekommt. Als einfache Grundregel sollte gelten: lässt sich die Original-Rezeptur nicht mehr zweifelsfrei ermitteln, muss eben ausprobiert werden, welche der gängigsten Varianten am besten bei den Gästen ankommt. Ein bisschen Marktforschung am eigenen Tresen kann in dieser Hinsicht oft Wunder bewirken.
Ein Drink ist immer nur so gut, wie seine schlechteste Zutat, lautet eine unter Bartendern bekannte Faustregel. Daher sollte für jede Bar, die etwas auf sich hält, unbedingt gelten: nur hochwertige Spirituosen, Säfte und Sirups verwenden. Natürlich muss in einen „Prince of Wales“ nicht gleich ein Cognac aus bis zu 150 Jahre alten Destillaten. Genauso wenig sollte man sich allerdings mit einem 6-€-Fusel aus dem Supermarkt begnügen. Ein gewisses Gespür für Relationen sollte man sich als Barmann, und als Inhaber umso mehr, über die Jahre schon angeeignet haben.
Was Säfte angeht, so gilt namentlich für Zitronensaft, dass er stets frisch sein sollte. Konzentrate erreichen niemals das geschmackliche Niveau eines frisch gepressten. Letztlich gilt das natürlich für alle Säfte, doch ist es völlig utopisch immerzu alles frisch gepresst zur Hand haben zu wollen und nirgendwo fällt der Unterschied derart gewaltig ins Gewicht wie beim wichtigsten Saft der Bar. Probieren Sie einmal den Unterschied bei einem so simpel erscheinenden Cocktail wie dem „Whiskey Sour“. Sie werden staunen.
Die Verwendung hochwertiger und damit kostenintensiver Zutaten schlägt sich zwangsläufig natürlich auch auf den Preis nieder. Es ist klar, dass sich in einer Gegend mit niedrigem Durchschnittseinkommen eine Bar mit hohem Preisniveau kaum wird halten können. Doch in mittleren bis hochwertigen Wohngegenden oder Tourismusmeilen ist durchaus eine qualitätsbewusste Klientel vorhanden, die hervorragende Drinks ohne Frage zu schätzen wissen wird und auch bereit ist, einen entsprechenden Preis dafür zu bezahlen. Gerade in den letzten Jahren ist ein deutlicher Anstieg des Qualitätsbewusstseins unter den Barbesuchern zu verzeichnen, das es hierzulande so noch nicht gegeben hat.
Während das Beherrschen von Zutatenlisten, wie wir gesehen haben, keine nennenswerte Fähigkeit ist, so sind die schnellen fließenden und präzisen Handgriffe, die Barmänner beim Mixen an den Tag legen, sehr oft ein echter Hingucker. Alles entscheidend hierbei ist, dass die benötigten Arbeitswerkzeuge und Flaschen immerzu am selben Platz stehen. Der Barmann muss jederzeit wissen, wo er eine bestimmte Spirituose, die Muskatreibe, den Zester usw. finden kann und alles muss so bereitet sein, dass es schnell und einfach gegriffen werden kann. Vorbereitung, in der Fachsprache „Mise en place“ genannt, ist der entscheidende Faktor, der für einen reibungslosen Ablauf unerlässlich ist. Der Rest ist, wieder einmal, Routine.
Bewegungsabläufe und Handgriffe, die gerade in Handwerksberufen immer und immer wieder dieselben sind, werden mit der Zeit von einer bewussten Handlung in den unterbewussten Bewegungsspeicher des Gehirns überführt und machen schließlich nicht einmal mehr ein Nachdenken nötig. Es ist wie mit dem Radfahren, das einem zu Beginn unglaublich schwerfällt, nach ein wenig Übung jedoch wie von selbst läuft. Jedenfalls bei den meisten Menschen. Unser Gehirn hält, ohne, dass wir darüber nachzudenken brauchen, automatisch und ohne unser bewusstes Zutun die Balance. Nur eine entsprechend hohe Dosis Alkohol kann dieses Balancegespür zeitweise wieder außer Kraft setzen. In Kombination mit einem umfangreichen Repertoire an Rezepturen, die irgendwann ebenfalls ohne wirklich nachzudenken abgerufen werden können, entsteht auf gleiche Weise das flinke Wirbeln eines Barmannes, das ich auch gerne als die irren Tentakel eines Oktopus‘ bezeichne.
Verbunden mit Wurftechniken entsteht auf diese Art eine regelrechte Show, die die Gäste am Tresen unterhalten und in ihren Bann ziehen soll. Dieses Showmixen mag recht beeindruckend wirken und gehört auch heute noch irrigerweise zum Image eines Bartenders, doch sollte es letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier um die perfekte Zubereitung eines Drinks geht und nicht um möglichst akrobatische Zirkusnummern.
So mancher Barmann missbraucht den Tresen als Bühne zur Selbstdarstellung und wirft ungeachtet der auf ihre Getränke wartenden Gäste auch zu Stoßzeiten munter Flaschen und Shaker durch die Gegend. So jemandem geht es weder um die Gäste, noch um die Zubereitung eines köstlichen Cocktails, ihm geht es nur um sich selbst und die möglichst effektive Zurschaustellung scheinbar bemerkenswerter Fähigkeiten . . .
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