Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 25
a. Wissen
Оглавление„Wirklich lecker dieser Small Bitch Whiskey!“
Zur Erklärung: „Small Batch“ (engl.: kleines Fass) bezeichnet eine nur in kleinen Chargen produzierte Spirituose – die Bedeutung des Wortes „Bitch“ hingegen dürfte wohl einem jeden bekannt sein.
Der allgemein beliebte „Kleine-Schlampen-Whiskey“ – für solcherart Sprüche, in die sich kleine aber bedeutungsschwere Fehler eingeschlichen haben, bin ich meinen Berufsgenossen und auch Gästen immer wieder überaus dankbar.
Wissen ist Macht – nichts zu wissen macht auch nichts. Wer sich diese verdrehte Weisheit zur tonangebenden Maxime gemacht hat, der darf getrost als Dummkopf bezeichnet werden. Doch leider musste ich in all den Jahren seit dem Ende meiner Ausbildung feststellen, dass ganz besonders viele Barmänner zu dieser wenig schmeichelhaften Kategorie zählen. Ich kann es gar nicht oft genug wiederholen, und Sie werden mir sicherlich verzeihen, wenn ich es von Leidenschaft ergriffen immer wieder gerne wiederhole und nun etwas zugespitzt auf den Punkt bringe: wer nichts kann und nichts weiß, der wird ganz einfach Barmann. Denn das, so die gängige Meinung, die sich offenbar tief in das Hirn der Menschen eingeätzt hat, kann schließlich so schwer nicht sein. Obendrein, so die unter Bartendern und solchen, die es werden wollen, wie ein Virus um sich greifende Hybris, ist man dann auch noch ein mächtig cooler Typ und Frauenheld.
Wer keine Lust darauf hat, etwas Sinnvolles zu lernen und ein wenig Schmalz in sein weiches Hirn zu pressen, der leitet sich ganz einfach selbst aufs bequeme intellektuelle Abstellgleis in der irrigen Annahme, dort schon wie von selbst die ersehnte Anerkennung zu finden. Dieser Ruf der Zweit- oder gar Drittklassigkeit, und ich wiederhole mich erneut, haftet dem Beruf des Bartenders wie ein Hundehaufen der Nike-Sohle ausgesprochen hartnäckig und zäh an. Der Grund hierfür sind eben jene Kerle, die als ein solcher selbsternannter Gebieter über Trunkensein oder Nicht-Trunkensein leichtes Spiel zu haben glauben. Welch verachtenswerte, welch scheußliche und niedere Kreaturen!
Wissen zu erlangen ist anstrengend, es zu erwerben und sich auch auf Dauer anzueignen oft unglaublich mühsam. Dem Trägheitsprinzip zufolge strebt jeder Körper, und auch jedes Lebewesen, seinem Ruhepunkt entgegen, an dem er bzw. es nur das Allernotwendigste an Energie verbraucht. Deshalb lieben wir es, faul auf der Couch zu liegen und eine Tüte Chips in unsere aufgedunsenen, siechen Körper hinein zu stopfen. In diesem Fall sparen wir nicht nur Energie, wir nehmen sogar noch Unmengen davon in uns auf – zwei Grundbedürfnisse geschlagen mit nur einer Klappe. Was will man mehr?
Es ist also ein natürliches Verlangen des Homo Sapiens, nur so wenig Anstrengung wie irgend möglich auf sich zu nehmen. Etwas Neues zu lernen erfordert demnach einen kraftvollen Impuls, der stark genug sein muss, um die allgegenwärtige und schier übermächtige natürliche Trägheit zu überwinden. Dieser Impuls kann Neugier sein, aber auch - und hier zeigt sich die Sonnenseite dieser sonst gemeinhin als negativ angesehenen Eigenschaften - Eitelkeit, Neid und Geltungsdrang. Denn nur zu oft wollen wir Wissen nicht nur um des Wissens willen erlangen, sondern vielmehr um uns damit vor anderen zu brüsten, ihnen zu imponieren oder um sie im dicken Schatten unseres beeindruckenden Wissensschatzes erblassen zu lassen.
Außerdem ist Intelligenz sexy - eine Weisheit, die nicht erst seit der Beziehung zwischen Joschka Fischer und Minu Barati bekannt ist. Gut, es mag in so manchem Fall vielleicht auch an unwahrscheinlichen Gründen wie Macht oder Geld liegen, dass ein vordergründig derart völlig ungleiches Paar zueinander findet. Wie auch immer.
Was das zu erwerbende Wissen als abhängiger Arbeitnehmer hinter dem Tresen angeht, so handelt es sich dabei naheliegenderweise in erster Linie um Kenntnisse, welche die hier ausgeschenkten Spirituosen, Biere und Weine angeht. Um ein erfolgreicher Verkäufer sein zu können, und letztlich sind Bartender und Kellner vor allem genau das, muss man die Ware, die es an den Mann zu bringen gilt, ganz genau kennen. Sehr oft gelingt es auch ausgesprochenen Verkaufstalenten, die zwar keine Ahnung haben, dafür aber gut reden und die Gäste mit ihrem undurchsichtigen Gequatsche um den Finger wickeln können, den Leuten teure Drinks oder hochpreisige Speisen aufzuschwatzen. Vor einem wahren Kenner bestehen diese Blender allerdings so gut wie niemals. Nur gut, dass wirkliche Kenner einer eher seltenen Gattung angehören.
Stellen Sie sich nur selbst einmal folgende Fragen: wissen Sie wie Bier gebraut wird? Haben Sie eine Vorstellung davon, welche Schritte zum Keltern von Wein notwendig sind? Gibt es einen Unterschied in der Herstellung von Rot-, Weiß- und Roséwein? Bei diesen Fragen handelt es sich beinahe schon um Allgemeinwissen, weitaus schwieriger wird es bei folgenden: Woraus besteht Gin? Wird Wodka aus Kartoffeln hergestellt oder sind auch andere Ausgangsstoffe zulässig? Warum haftet Absinth bis heute der Ruf an, giftig zu sein?
Während meiner Jahre hinter dem Tresen diverser Bars habe ich leider die Erfahrung gemacht, dass kaum einer der Kollegen, ja nicht einmal die jeweiligen Vorgesetzten und Barchefs, auch nur zwei oder drei dieser Fragen hätten zielsicher beantworten können. Im Gegenteil hatte kaum einer von ihnen sonderlich viel mehr Ahnung von der Materie als ich selbst. Dabei wollte ich immer gern einen Meister über mir haben, zu dem ich aufsehen konnte, der mich anleitet und mir das Handwerk von der Pike an beibringt - vergebens. Schließlich wurde mir irgendwann klar, dass ich notgedrungen selbst zum „Meister“ werden musste, um meinen quälenden Wissensdurst stillen und interessierten Gästen souverän begegnen zu können.
Die Dinge mögen heute vielleicht ein wenig anders liegen, da in den vergangenen Jahren ein kaum zu übersehener Hype die Barszene erfasst hat, der nicht zuletzt auch in der zunehmenden und dringend notwendigen Professionalisierung des Berufes mündete. Doch sind immer noch unglaublich viele Schwachköpfe in der Branche unterwegs, die vielleicht gerne können wollten, jedoch nicht genügend wollen, um auch wirklich zu können.
Wer nicht früher oder später vor seinen Gästen wie ein ahnungsloser Volltrottel dastehen will, dem wird nichts anderes übrig bleiben, als sich selbst ein wenig zu bilden. Dies erreicht man am besten über Bücher. Zwar werden auch Kurse und Schulungen zuhauf angeboten, die durchaus dazu geeignet sind, die Basics zu vermitteln und den Einstieg in den Beruf zu erleichtern. Andere zielen hingegen auf die Leitung einer Bar ab oder sollen den Grundstein für den Weg in die Selbständigkeit legen. Doch muss man sich diese alles andere als günstigen Weiterbildungen erst einmal leisten können und wollen, zudem wird das notwendige und in seinem Umfang leicht zu unterschätzende Fachwissen aus Zeitgründen meist nur im Schnelldurchlauf behandelt.
Ich selbst habe unmittelbar nach dem Abschluss meiner Berufsausbildung einen 15tägigen Barkurs unweit von München besucht. Dieser Kurs hat Spaß gemacht und mir den Einstieg in den Barbetrieb ohne Frage vereinfacht, gerade wenn es um das Pauken klassischer Rezepturen ging oder um das praxisnahe Speed-Mixing. Doch wirklich angefangen zu lernen habe ich erst wesentlich später. Wer sich ein solides Fachwissen aneignen will, dem kann ich letztlich nur zu einer Vorgehensweise raten: lesen.
Dank der herausragenden Arbeit einiger Autoren existiert längst eine unglaublich bunte Palette an Literatur, die sich mit Cocktailrezepturen, Spirituosen, Weinen, Bieren usw. ausgiebig und oft reichlich bebildert befasst. Diese Bücher mögen nicht unbedingt günstig sein, aber glauben Sie mir, sie sind die Investition wert.
Wer sich einen ersten Überblick verschaffen will, dem empfehle ich die bereits heute zu den Klassikern zählenden Bücher von Charles Schumann (American Bar) und Franz Brandl (Brandls Barbuch). Daneben gibt es eine ganze Latte an Werken, die sich gezielt mit jeweils nur einer ganz bestimmten Getränkekategorie beschäftigen, von Absinth über Bier, bis hin zu Wein. Von der unüberschaubaren Menge an reinen Rezeptbüchern für Cocktails fange ich gar nicht erst zu sprechen an.
In den Jahren 2009 bis 2013 habe ich den Versuch gewagt, all diese Vielfalt an Getränken und Marken so detailliert wie möglich in nur einem Band zu vereinen. Daraus entstanden ist die „Barfibel“, ein Lexikon der Warenkunde, ohne irgendwelche Rezepturen. Ich halte es für ein gelungenes Fachbuch, allerdings wird mir oftmals angekreidet, das Werk würde viel zu viel Text beinhalten. Bartender mögen zwar ebenfalls von den Beutelratten abstammen, zu den Leseratten zählen sie aber nur selten. Zudem ist die Barfibel als Nachschlagewerk konzipiert, sie soll also nicht in erster Linie von Anfang bis Ende durchgelesen werden, stattdessen lassen sich wichtige Informationen gezielt nachschlagen. Es dürfte wenig überraschen, dass ich Ihnen gerade den Kauf dieses Buches ganz entschieden raten möchte.
Allerdings ist es mit Fachwissen alleine nicht getan. Da man als Tresenmann immer wieder einmal in die Verlegenheit gerät, mit fremden Menschen sprechen zu müssen, kann es nur von Vorteil sein, über ein fundiertes Allgemeinwissen zu verfügen. Je nach Region, in der Sie leben und arbeiten, sollten Sie vielleicht auch über den aktuellen Tabellenstand des 1. FC Hinterdupfing oder den neuesten Klatsch, den man sich über Bauer Huber erzählt, Bescheid wissen.
Die Menschen wollen sich mit dem Bartender über alle möglichen Dinge unterhalten. Natürlich weiß niemand alles, doch je mehr man weiß, desto erquicklicher die Unterhaltung. Also nochmal: lesen Sie!
Damit eine vernünftige Unterhaltung aber überhaupt stattfinden kann, darf natürlich ein ganz wichtiger Punkt nicht vergessen werden: die Sprache.
Verfügen Sie nur über rudimentäre Deutschkenntnisse und kommunizieren mit Ihren Mitmenschen mittels urbaner Ghetto-Zischlaute, mag dies in Wedding und Neukölln kein Problem, im Gegenteil sogar ein Vorteil sein. Sich in den lokalen Slang einzufügen sichert einem die Sympathien der Ureinwohner, wie schon die Pilgerväter nur zu genau wussten. In einem Hotel von internationalem Renommée können Sie damit allerdings nicht wirklich punkten. Hier sind vielmehr eine gepflegte Aussprache und die Kenntnis der einen oder anderen Fremdsprache gefragt. Ein durchschnittlicher Bartender sollte deshalb zumindest des Englischen halbwegs mächtig sein.
Abschließend zu diesem Kapitel bleibt daher noch eine weitere Aufforderung, vor der ich Sie nicht verschonen möchte: denken Sie!