Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 18
a. Tagschicht
Оглавление„Ich verbrenne! Ich verbrenne!“
Ein Barmann beim Erblicken der ersten Sonnenstrahlen
Die Tagschicht, intern auch gern als „die Hausfrauenschicht“ bezeichnet, ist die wohl unnatürlichste aller Schichten – jedenfalls aus der Sicht eines Barmanns. Tageslicht ist von Hause aus nicht seine Sache; er bewegt sich wie eine Fledermaus am sichersten, fühlt sich erst wirklich lebendig kurz vor - oder noch besser nach - Sonnenuntergang. Tageszeit ist die Zeit, um sich kopfüber an einen Dachbalken zu hängen und in die ledrigen Schwingen einzuwickeln, Tageszeit ist gleich Schlafenszeit. Trotzdem kommt man aus allerlei widrigen Umständen manchmal nicht umhin, eine Tagschicht zu schieben und sich wohl oder übel den schmerzenden Strahlen der Sonne auszusetzen. Es ist schon beinahe ein Running Gag unter Barleuten, beim Aufleuchten der ersten Sonnenstrahlen – in solch einem Fall allerdings zum Ende einer langen Schicht und nicht zu deren Beginn – ein vampirhaftes Fauchen auszustoßen.
Während einer Tagschicht erwarten einen in der Mehrzahl aller Fälle für eine Bar eher untypische Aufgaben. Man ist fast ausschließlich der Ausgabeposten für die Servicekräfte, bereitet Kaffee und alkoholfreie Getränke zu, ab und an muss auch mal ein Bier gezapft werden. Das war’s. Der Gästekontakt beschränkt sich auf ein absolutes Minimum – und das ist nicht selten auch ganz gut so.
Das „12 Uhr mittags“ des Bartenders ist das „6 Uhr morgens“ des Normalbürgers. Man hat noch nicht einmal den ersten Pott Kaffee richtig intus und ist gerade so rudimentär dazu in der Lage, den Weg zur Arbeit ohne Schwierigkeiten und Irrfahrten zu finden. Ebenda angekommen steht man sodann, blass, mit dunklen Augenringen, einem flauen Gefühl im Magen und keinem Newton Kraft in den Knochen, geschweige denn mit einem Hauch Elan in den Eingeweiden. Glauben Sie mir, in diesem Zustand möchten Sie nicht auf die Leute losgelassen werden.
Eine Tagschicht ist für einen Barmann oft sehr eintönig und, die höheren Gehirnfunktionen betreffend, nicht sonderlich fordernd. Die Arbeiten sind stupide und langweilig und erinnern nicht selten an ein fortwährend aufs Neue arrangierbedürftiges Kaffeekränzchen von Gästen ab 50 plus. Die größten Herausforderungen bestehen im Zapfen von Bier, Zubereiten von Heißer Schokolade und Latte Macchiato (den beiden natürlichen Bioziden gegen Bartender) und Mixen der einen oder anderen Rhabarberschorle. Alles in allem eher Aufgaben für Aushilfen und Hausfrauen, der Inanspruchnahme echter Profihände sind sie kaum würdig.
Eine Schicht bei Tage kann auf der anderen Seite aber auch entspannend wirken und eine willkommene Abwechslung zu den ansonsten obligatorischen Nachtschichten darstellen. Ab und an habe selbst ich als ausgesprochene Fledermaus nichts gegen eine Tagschicht einzuwenden. Manchmal genieße ich die monotonen Arbeiten wie Gläserspülen, Kaffee zubereiten oder Bier zapfen, die keinerlei besondere Konzentration oder Geisteskraft erfordern und einem die Möglichkeit bieten, mit den Gedanken abzuschweifen und sich seinen Träumereien hinzugeben. Oft bin ich auch einfach nur froh, mich meiner natürlichen Mundfaulheit hinzugeben und mit keinen fremden Menschen reden zu müssen.
Ein weiterer ungewohnter Vorteil ist, dass man vergleichsweise früh in den Feierabend geschickt wird und den jungen Abend nach eigenem Gutdünken nutzen kann. Wahlweise hat man auch die seltene Möglichkeit früh, das heißt noch vor 3 Uhr morgens, schlafen zu gehen. Das, so denke ich manchmal, ist vielleicht der kostbarste und mit den Jahren zunehmend schätzenswerte Vorzug einer ansonsten eher unbeliebten Tagesschicht.
Trotz allem gilt für mich persönlich dennoch die Devise: alles was vor 15 Uhr passiert, ist eine unmenschliche Form der seelischen Folter. Wäre ich vor 600 Jahren als Ketzer der Inquisition in die Hände gefallen, so hätten sich die Folterknechte Daumenschrauben und Streckbank sparen können, denn Schlafentzug wäre als Foltermethode für mich vollkommen ausreichend gewesen und ich hätte nach einer Woche selbst ein Mordkomplott gegen die Person des Papstes gestanden. Noch nie war ich ein Frühaufsteher. Selbst zu Schulzeiten kam ich morgens nur schwer in die Gänge. Eine Tagschicht mag von Zeit zu Zeit eine angenehme Abwechslung für einen Bartender sein – viel mehr als das jedoch keinesfalls.