Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 19
b. Spätschicht
ОглавлениеKeine dummen Fragen vor dem ersten Kaffee – ich korrigiere mich: gar keine Fragen vor dem ersten Kaffee!
Eine Spätschicht beginnt zwar, wie der Name schon sagt, spät, doch nicht erst dann, wenn gemeinhin von der Nacht die Rede ist. Sie ist gewissermaßen das Bindeglied zwischen Tag- und Nachtschicht und beginnt in einer Bar für gewöhnlich zwischen 16 und 18 Uhr. Ich persönlich halte sie für die angenehmste und vorteilhafteste aller Schichten, denn sie bietet mir zum einen die Möglichkeit, meiner ausgeprägten Leidenschaft als Langschläfer zu frönen. Zum anderen endet sie exakt in dem Zeitraum, der mich merkbar fühlen lässt, wie meine mentalen Systeme allmählich wieder herunterfahren und meine Leistungsfähigkeit rapide nachlässt. Diese Phase beginnt etwa in der Zeit nach 1 Uhr.
In sehr vielen Bars gibt es ausschließlich Spätschichten. Sie öffnen erst gegen 18 oder 19 Uhr, eine Tagschicht entfällt somit, und gearbeitet wird bis 1, 2 oder vielleicht 3 Uhr in den Morgenstunden. In jedem Fall aber stellt dieser Zeitraum für eine Bar die wichtigste Umsatzphase dar; hier ist das Gros der Gäste zu erwarten, hier wird der Löwenanteil der Einnahmen erwirtschaftet.
Begonnen wird diese Schicht mit dem „Aufbau“ der Bar, also allen Vorbereitungsarbeiten, die notwendig sind, um später einen reibungslosen Ablauf zu garantieren: die am Vorabend gereinigten Barutensilien müssen zurück an ihren Platz, die Kühlschränke und Schubkästen müssen, sofern nicht schon geschehen, aufgefüllt, die Tische abgestuhlt werden, das Reservierungsbuch muss gecheckt und die entsprechenden Vorbereitungen, wie das Zusammenstellen von größeren Tafeln, getroffen werden. Je nach Größe des Betriebs ist es evtl. notwendig, Obst vorzuschneiden, um Stoßzeiten und die sich geschwürartig in der Branche verbreiteten Happy Hours bewältigen zu können.
Letztere Vorbereitung mag bei vielen Barflys ein abschätziges Naserümpfen hervorrufen, denn natürlich macht es einen wesentlich besseren Eindruck, wenn ein Drink mit all seinen Zutaten und auch die Garnitur vor den Augen der Gäste frisch zubereitet wird und die Caipirinha nicht aus einem Kühlschrank hervorgeholt wird, der vollgestopft ist mit weiteren Gläsern voll vorgestampfter Limetten. Auch vorgeschnittene Obstgarnituren verlieren nach einigen Stunden ihre Frische, was man ihnen sowohl ansieht, als auch schmecken kann. Doch gerade in besonders großen Bars, die zudem zeitweise Cocktails zu drastisch vergünstigten Preisen anbieten, um scharenweise Gäste anzulocken, kommt man um ein solches, andernfalls zurecht umstrittenes Mise en place nicht herum.
Wenn nach Einläuten einer solchen Happy Hour der Bondrucker für die kommenden 20 Minuten nicht mehr aufhört zu rattern und Sie schon auf den ersten fünf Bons sieben Caipirinhas entdecken, glauben Sie mir, dann werden Sie froh und dankbar sein für jedes Stückchen Limette, das schon vorgeschnitten worden ist, für jede Kirsche, die bereits auf einen Plastik- oder Holzpicker aufgespießt auf ihren Einsatz wartet. Es gilt abzuwägen, was schwerer wiegt: schon vor Stunden geschnittenes Obst oder ausgesprochen lange Wartezeiten. Und so viel kann ich Ihnen garantieren: kaum ein Baby ist quengeliger als ein erwachsener Gast, der durstig auf seine Bestellung wartet.
Nach all diesen notwendigen Vorbereitungsarbeiten wird für gewöhnlich erst einmal pausiert, bevor die Bar für diesen Abend ihre Pforten öffnet und die Gäste hereingelassen werden. Ist dem Lokal eine Küche angeschlossen, wird das Personal nun sein Abendessen einnehmen. Andernfalls wird wohl nur geraucht und geschnattert, in besonders schlimmen Spelunken vielleicht sogar schon der erste „Aufwärmschnaps“ in den noch vom Vorabend pelzigen Rachen gekippt.
Wird nun pünktlich zur angegebenen Öffnungszeit die Tür aufgeschlossen, so strömen nicht selten bereits die ersten ungeduldig wartenden Gäste und Barflys herein – gerade so, als hätten diese Leute kein zu Hause und nichts Besseres zu tun, als wartend ihre kostbare Zeit vor einer x-beliebigen Trinkhöhle zuzubringen. Ich habe nie verstanden, wieso manch einer es offenbar für nötig hält, bereits 15 Minuten und mehr vor der Eröffnung der Bar sich vor verschlossenen Türen die Beine in den Bauch zu stehen. Mag ausgerechnet dieser Ort des Lasters auch noch so beliebt sein: 15 Minuten später werden sicherlich immer noch ausreichend sein, um dort etwas zu trinken zu bekommen.
Wenige Minuten nun also, nachdem die ersten kurz vor dem Verdursten stehenden Heimatlosen die Bar gestürmt haben, flattern die ersten Bestellungen herein und bringen den Bartender langsam aber sicher auf Trab. Im Gegensatz zur Tagschicht braucht man sich hier nicht erst mit lästigen Heißgetränken und Fruchtsaftschorlen herumzuschlagen. Am frühen Abend halten viele Gäste den richtigen Zeitpunkt bereits für gekommen, sich dem Genuss diverser alkoholischer Getränke hinzugeben. Welch löbliche Einstellung!
Der glückliche Umstand, der dafür sorgt, dass die Öffnung der Bar gegen 18 Uhr wunderbar mit dem Feierabend eines großen Teils der berufstätigen Bevölkerung harmoniert, lässt eine Spätschicht nur selten langweilig werden. Zumeist hat man wenigstens ein Minimum an Gästen mit Flüssigkeit zu versorgen und sieht sich nur an Ausnahmetagen in der Verlegenheit, sich ernsthaft hinter dem Tresen zu langweilen. Der Abend vergeht dementsprechend in aller Regel recht zügig, durchsetzt mit den üblichen, erfahrungsmäßig zu einem Großteil vorhersehbaren Stoßzeiten.
Etwa eine Stunde bevor Schluss ist, kann man als Barmann allmählich mit den ersten Aufräum- und Putzarbeiten beginnen. Neben den laufend auf ihren Spülgang wartenden Gläsern müssen nun zusätzlich die Arbeitsutensilien wie Shaker, Rührgläser, Muddler, Messer, Schneidebrett, Ausgießer usw. gründlich gereinigt werden. Zudem ist es notwendig, alle offenen Arbeitsflächen, die Zapfanlage und die Waschbecken zu säubern, das Leergut muss entsorgt und die Bar neu mit Ware bestückt werden. Leicht kann unterschätzt werden, wie lange man mit diesen Aufgaben beschäftigt ist. Besonders dann, wenn sich die Kellner mit dem Abräumen der Tische Zeit lassen oder ein 50-Mann-Junggesellenabschied nur mit Mühe aus dem Lokal bugsiert werden kann, halten einen Berge von Gläsern von den eigentlichen Putzarbeiten unnötig lange ab. Wer klug ist, weiß deshalb, mit welchen Arbeiten er schon zeitig beginnen kann um pünktlich fertig zu werden.
Am Ende bleibt nur noch die Abrechnung zu machen und beim geselligen Beisammensitzen mit den Kollegen das wohlverdiente Feierabendbier zu genießen. Diesen Punkt erreicht man wohl zwischen 1 und 3 Uhr morgens. Wer will hat also, sofern man sich nicht unbedingt in der tiefsten Provinz befindet, noch immer genügend Zeit, um selbst noch einmal ordentlich auf die Kacke zu hauen und den Genossen von der Nachtschicht in der Bar um die Ecke einen Besuch abzustatten. Doch zu diesen erbarmungswürdigen Kameraden kommen wir später.
Fassen wir schlussendlich also die Vorzüge einer Spätschicht noch einmal zusammen: der Bartender beginnt seine Arbeit zu einer vernünftigen Uhrzeit und beendet sie rechtzeitig, um immer noch als guter Christ durchgehen zu können; das lästige Kaffee-und-Kuchen-Geschäft entfällt, denn die Leute wollen Alkohol; die zermürbenden Nichts-zu-tun-Phasen beschränken sich in aller Regel auf ein erträgliches Niveau; die Zeit vergeht mit angenehmer Geschwindigkeit. Die Nachteile einer Spätschicht: es gibt keine – es sei denn, Sie beginnen den Tag gerne schon um 5 Uhr morgens und hauen sich spätestens um 22 Uhr wieder in die Falle. Dann allerdings ist eine Bar ohnehin nicht der richtige Ort für Sie.