Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 26
Оглавлениеb. Mischen Impossible
„Wegen mir könnte man die Cocktailkarte abschaffen, weil ich Purtrinker bin.“
Charles Schumann
Das Zubereiten von Getränken und insbesondere das Mixen von Cocktails ist für die wohl meisten Menschen das Sinnbild für die Arbeit in einer Bar – zugleich ist es aber auch der am einfachsten zu erlernende Aufgabenbereich des Berufes.
Wenn ich zur Rush Hour an einem Samstagabend an der Cocktailstation stehe und immer wieder vier Cocktails parallel zubereite, dann werde ich manchmal von fasziniert dreinblickenden Gästen gefragt, wie lange es wohl dauern würde, auf diese Weise Herr über den Cocktail-Shaker zu werden. Ich gebe ihnen immer dieselbe Antwort: höchstens ein paar Wochen. Was ich sodann ernte ist ebenfalls stets dasselbe: ungläubige Blicke, Kopfschütteln oder ein gekünsteltes Lachen, weil die Leute denken, ich würde scherzen.
Es mag schon spektakulär aussehen, wenn da ein Typ in Hemd und Krawatte steht, gleichzeitig mit links und rechts verschiedene Flaschen greift, unterschiedliche Mengen von dem flüssigen Zeug in Gläser voller Eis gießt, und beim Abseihen nicht ein Tropfen zuviel den Cocktail zum Überlaufen bringt. Doch vergessen die Menschen dabei eins: das alles ist nur simple handwerkliche Routine.
So wie der Tischler seinen Hobel schwingt, der Fußballprofi seine Dribblings und Tricks beherrscht, oder der Hütchenspieler mit flinken Händen naiven Touristen am Alexanderplatz das Geld aus der Tasche zieht, so ist auch das Mixen von Getränken, lediglich ein sehr bescheidenes Maß an natürlichem Geschick vorausgesetzt, eine reine Übungssache. Man muss nur einmal die richtigen Handgriffe beherrschen und den idealen Arbeitsablauf verinnerlicht haben, die oft in Erstaunen versetzende Geschwindigkeit kommt dann irgendwann ganz von selbst. Der Arbeitsakt ist also für sich genommen kein Hexenwerk, im Gegenteil sogar einer der banalsten Aspekte des Bartending.
Das damit zusammenhängende und unwahrscheinlich häufig zu beklagende Problem bzw. die Ursache dafür, dass viele Barleute oft auch noch nach Jahren unsauber und ungenau arbeiten, oder schlichtweg zu langsam sind, ist woanders zu suchen. Nämlich ganz zu Beginn ihrer Laufbahn, wenn sie ihre allerersten Tage hinter der Theke verbringen und die Grundlagen des Handwerks beigebracht bekommen – oder eben auch nicht. Denn in den meisten Bars ist es nun einmal leider so, dass Neulinge großenteils sich selbst überlassen werden, sich nur hier und da ein paar Dinge abgucken, und sich den Rest selbst zurechtbasteln. Besonders schlimm trifft es den Neuen, wenn er von einem ausgemachten Stümper „angelernt“ wird, der zwar selbst keine rechte Ahnung hat von dem, was er da tut, sich aber ausgesprochen wichtig nimmt und sich an dem lächerlichen Fünkchen Macht, das ihm hier zwischen Glasflaschen und Holzköpfen zuteilwurde, regelrecht aufgeilt.
Es ist eine bisweilen tragische Besonderheit des menschlichen Gehirns, dass einmal erlernte Dinge, auch erlerntes Wissen, später kaum mehr korrigiert werden können. Vermeintliche Fakten, ungelenke Arbeitsabläufe, fragwürdige Rezepturen – all das ätzt sich geradezu ins Gehirn ein. Wohl jeder kennt das aus eigener Erfahrung. Egal ob es sich um Schulwissen handelt, das zu früherer Zeit durchaus für richtig gehalten worden ist, oder um gerüchtemäßig verbreitetes Halbwissen; was man in jüngeren Jahren gelernt hat, man wird es später nur schwer wieder los, selbst wenn es sich nachweislich als falsch herausgestellt hat. Von dieser Problematik, das eigene Gehirn „up to date“ zu halten, sind Bartender nicht weniger stark betroffen als andere Berufsgruppen und überhaupt alle Menschen auch.
Ich habe oft mit Kollegen zusammengearbeitet, manchmal sogar über Monate und Jahre hinweg, und stellte dabei immer wieder fest, dass sie stets die gleichen unlogischen, gelegentlich auch hygienisch fragwürdigen Fehler begingen. Von mir darauf hingewiesen stellten sie im Regelfall die Mängel ab – für die folgenden drei Minuten. Spätestens als sie die nächste Cocktailbestellung angingen, verfielen diese Barmänner wieder in ihre alten Muster und die gewohnten Arbeitsweisen. Die Fehler waren ganz einfach zu sehr Teil ihrer persönlichen Routine geworden. Ein Umstand, der sich später kaum noch ausbügeln lässt. Das habe längst auch ich begriffen, der mittlerweile in 99 Prozent aller Fälle, in denen er Fehler bemerkt, resigniert die Klappe hält. Längst bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es einfach nichts nützt - jedenfalls bei älteren oder gleichaltrigen Berufsgenossen, die sich zudem oft in ihrer Ehre oder ihrem Stolz verletzt fühlen und manchmal auch aus purem Trotz oder aus Starrköpfigkeit so weiter machen wie bisher. Wehe den Unbelehrbaren!
Dabei sind die Prinzipien, die zu sauberer, schneller und effizienter Arbeit führen, so unglaublich einfach. Dem Punkt Hygiene werden wir uns an späterer Stelle noch einmal widmen, daher möchte ich hier eine einfache Vorgehensweise vorstellen, die auch einen Berufseinsteiger nach kurzer Zeit wie einen flinken Oktopus an der Cocktailstation aussehen lässt. Die Technik entstammt übrigens dem Speed-Mixing Training der Barschule, die ich im Jahr 2003 besucht habe und die sicherlich auch an anderen Schulen gelehrt wird. Sie hat mir stets gute Dienste geleistet.
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Die Wege des Oktopus‘
Nehmen wir an, Sie sind heute der Herr über den Shaker. Die Station ist klein und bietet lediglich einem Mann genügend Platz, um vernünftig arbeiten zu können. Es ist gerade Stoßzeit und die Bonmaschine steht seit einer Minute nicht mehr still. Beim Verteilen der Bons an die verschiedenen Bereiche erhalten Sie schon jetzt acht Aufträge für diverse Cocktails.
Knöpfen Sie sich nun die ersten vier dieser Cocktails vor. Es ist völlig unerheblich, ob acht oder achtzehn Bestellungen darauf warten, von Ihnen abgearbeitet zu werden, nehmen Sie sich immer nur vier davon auf einmal vor. Und das unbedingt der Reihe nach, denn nur so arbeiten Sie die Bestellungen Tisch für Tisch ab. Wichtig ist außerdem, sich nicht von irgendwelchen Nervensägen, seien es nun Gäste oder Kollegen, bedrängen zu lassen, eine der Bestellungen vorzuziehen. Haben Sie damit einmal angefangen, werden Sie stets aufs Neue von ungeduldigen Dränglern belästigt werden. Also, immer schön der Reihe nach.
Am besten legen Sie die Bons vor sich auf die Arbeitsfläche, sodass Sie sie während des Arbeitens sehen können. Beginnen Sie nun damit, die benötigten Gläser, Schalen, Tumbler, Fancy usw., auf der Arbeitsfläche aufzureihen und evtl. schon jetzt, sofern vorgesehen, mit Obstdekorationen zu versehen. Über diese Garnituren mag man denken, wie man will, ich halte mich an Charles Schumann indem ich sage: weniger ist mehr. Das Ganze soll hier schließlich kein Obstsalat werden. Indem Sie diese Dekos aber schon jetzt vorbereiten, vermeiden Sie später ein unnötiges Verwässern des Drinks.
Nun bereiten Sie vier Glasteile des zweiteiligen Boston-Shakers mit Eis vor und stellen diese ebenfalls vor sich aufgereiht auf. Die Fläche der Cocktailstation sollte nun in vierfacher Ausführung von vorne nach hinten wie folgt aussehen: Bon - Schüttelglas mit Eis – Glas für den Cocktail. Beachten Sie hierzu das Bild auf der folgenden Seite.
Der jetzt folgende Teil ist schon etwas kniffliger und funktioniert nur dann, wenn Sie alle Rezepturen aus dem Stehgreif sicher beherrschen. Zudem ist eine gewisse Beidhändigkeit gefragt.
Sehen wir uns hierzu einmal folgende einfache Kombination an: Martini Cocktail – Planters Punch – Piña Colada – Gin Fizz. Diese Cocktails haben Sie entsprechend von links nach rechts vorbereitet.
Martini Cocktail
6 cl Gin
1 Dash Wermut trocken
Cocktailglas
Planters Punch
4 cl weißer Rum
2 cl brauner Rum
2 cl Zitronensaft
1 cl Grenadine
8 cl Orangensaft
Fancyglas
Piña Colada
4 cl weißer Rum
2 cl brauner Rum
2 cl Kokossirup
2 cl Sahne
8 cl Ananassaft
Fancyglas
Gin Fizz
6 cl Gin
3 cl Zitronensaft
2 cl Zuckersirup
4 cl Soda
Tumbler
Ihnen werden einige Zutaten aufgefallen sein, die gleich in mehreren Cocktails vorkommen. Genau hierin liegt einer der Tricks zur Schnelligkeit begründet. Anstatt nämlich nun jeden Cocktail einzeln und der Reihe nach fertigzustellen, verarbeiten Sie immer jeweils eine Zutat in allen in Frage kommenden Cocktails. Aber beginnen wir von vorne.
Die ersten Zutaten, die Sie sehen, sind Gin und Wermut. Sie nehmen die Flasche mit dem Gin in die eine und diejenige mit dem Wermut in die andere Hand. Sie können also den ersten Cocktail auf der Liste bereits in einem Abwasch fertigstellen, doch stellen Sie die beiden Flaschen danach nicht wieder weg, sondern verwenden den Gin sogleich für den Gin Fizz. Als nächstes sehen Sie weißen und braunen Rum, die Sie beide sowohl für den Planters Punch, als auch für die Piña Colada benötigen. Wieder nehmen Sie sich beide Flaschen zur Hand und verarbeiten sie in beiden Cocktails. Auf diese Weise machen Sie nun weiter, bis alle Rezepturen bedient wurden.
Zum Schluss müssen Sie nur noch die fertigen gemischten Cocktails schütteln und in die jeweiligen Gläser abseihen. Fertig.
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Diese Arbeitsweise ist nicht ganz einfach und erfordert etwas Übung, da Sie auf Anhieb wissen müssen, welche Zutaten in welchem Cocktail benötigt werden und Sie die Übersicht nicht verlieren dürfen. Doch die Zeit, die Sie allein dadurch sparen, dass Sie dieselben Flaschen nicht mehrmals in die Hand nehmen und wieder weg stellen müssen, ist enorm.
Das beidhändige Eingießen ist ebenfalls innerhalb kürzester Zeit zu erlernen und unbedingt erforderlich. Dennoch ist es kaum zu glauben, wie viele der langjährigen Bartender nicht einmal diese einfache Grundtechnik beherrschen. Kaum einer von ihnen ist ein motorischer Krüppel, vielmehr hat auch hier wieder einmal das weit verbreitete Trägheits-Virus um sich gegriffen. Das Faszinierende daran ist, dass diese Leute viele Jahre lieber einhändig arbeiten, als sich einmal die Mühe zu machen, und es richtig lernen.
Fassen wir noch einmal das wenige zusammen, das nötig ist, um ein mixender Oktopus zu werden: sichere Kenntnis der Rezepturen, beidhändiges Arbeiten, systematisches Abarbeiten der Bestellungen.
Wenn Sie also das nächste Mal am Tresen sitzen und einen besonders flinken Barmann bei der Arbeit beobachten, so gratulieren sie ihm nicht zu seiner Fingerfertigkeit und seinem Geschick. Sondern vielmehr dazu, dass er es entweder von Anfang an richtig gelernt hat, oder aber von Beginn an dazu in der Lage war, sich selbst vernünftige Gedanken zu seinem Handwerk zu machen. Geschwindigkeit ist lediglich eine Frage der Übung.