Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 22

Die nachtaktive Töle

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Von 22 bis 6 Uhr wurde die Rezeption in diesem Hotel, die sich direkt gegenüber der großen Hotelbar befand, von einem, an Wochenenden von zwei Nachtportiers besetzt. Die einzigen beiden Männer, die für diese Position engagiert worden waren, hatten während der langweiligen und meist ereignislosen Nacht lästigen Papierkram zu erledigen und mussten in regelmäßigen Abständen einen Kontrollgang durch bestimmte Bereiche des Hauses durchführen. Zu diesen kontrollbedürftigen Arealen zählten u. a. die Notausgänge, der Wellnessbereich und die ebenfalls dort befindliche Poolanlage.

An einem normalen Wochentag, die Rezeption war wie gewohnt mit nur einem der beiden Portiers besetzt, standen mein etwas jüngerer Kollege und ich gelangweilt in der nur sporadisch mit Gästen besiedelten Bar und drehten Däumchen. Es war ein überaus träger Abend gewesen, der so rein gar nichts zu bieten gehabt hatte, das in irgendeiner Weise erinnerungswürdig gewesen wäre. Irgendwann, es muss gegen 1 Uhr morgens gewesen sein und wir bereiteten uns bereits ungeduldig auf die Schließung der Bar vor, kam Hans, der für diese Nacht eingeteilte Portier langsam vor den Tresen geschlurft und blieb ratlos vor uns stehen.

Ein Detail, das von unbedingter Wichtigkeit ist, besteht darin, dass Hans, wohl Mitte 50, auf beiden Ohren taub war, daher zwei Hörgeräte trug und selbst mit diesen Hilfsmitteln nur überaus schlecht hören konnte. Oft musste man ihm eine Sache zweimal erklären, bevor er endlich verstand, was man von ihm wollte. Er war wohlgemerkt keineswegs ein Dummkopf, er hörte einfach nur furchtbar schlecht.

Mein Bartender Kollege und ich starrten nun also den vor uns stehenden schwerhörigen Hans fragend an, bis dieser uns mit hängenden Schultern sein Anliegen offenbarte:

Die Dame von Zimmer 315 hatte zum wiederholten Male bei ihm an der Rezeption angerufen, da offenbar unweit ihres Zimmers, vielleicht gleich nebenan, möglicherweise auch gegenüber, ein Hund immer und immer wieder kläffte und winselte. Der hellen Stimmlage nach zu urteilen, musste es sich, wie die Dame meinte, um einen recht kleinen Hund halten. Jedenfalls hielt er sie nun schon seit einer Viertelstunde und mehr vom Schlafen ab, und dies sei namentlich in einem Wellnesshotel schließlich eine Ungeheuerlichkeit. Wie gesagt war es zu diesem Zeitpunkt etwa 1 Uhr nachts.

Hans war nun also nach dem ersten dieser Anrufe, es waren derer mittlerweile drei, mit seinem ihm eigenen Tempo in die dritte Etage geeilt und hatte sich nach dem nachtaktiven Hund umgehört. Nach einigen Minuten des Lauschens musste er jedoch feststellen, dass er nichts feststellen konnte, entweder weil der Hund endlich selbst zu müde zum Winseln geworden war, oder aber das Geräusch einfach zu leise für seine defekten Ohren war. Also trotte Hans wieder hinab, nur um wenige Minuten später erneut von der entnervten Dame von Zimmer 315 angerufen zu werden, ein zweites Mal in den dritten Stock zu eilen und mit demselben Ergebnis, nämlich keinerlei Hundelaute ausmachen zu können, wieder seinen Posten am Empfang zu beziehen.

Nun stand der arme Kerl resigniert vor uns und bat darum, einer von uns jungen Kerlen, mit ebenso jungen wie funktionstüchtigen Ohren ausgestattet, möge sich doch einmal hinauf begeben um der leidigen Sache nachzugehen.

Da die Hotelbar zu diesem Zeitpunkt mittlerweile menschenleer war, beschlossen mein gelangweilter Kollege und ich, gemeinsam nach diesem mysteriösen Hund zu fahnden. Dieser kleine unscheinbare Auftrag kam uns als Abwechslung durchaus nicht ungelegen und so begaben wir uns hinauf zu Zimmer 315.

Uns möglichst leise verhaltend, huschten wir im Umkreis des fraglichen Zimmers von Tür zu Tür und lauschten einige Sekunden lang angestrengt. Tatsächlich waren auch unsere vollkommen funktionsfähigen Ohren scheinbar nicht dazu in der Lage, den nervtötenden kleinen Kläffer zu lokalisieren. Es war nicht das geringste Geräusch zu hören. Achselzuckend sahen wir uns an und begaben uns nach etwa zehn Minuten auf den Weg hinunter in die Eingangshalle.

Doch dann, just als wir uns zum Gehen wandten, wir befanden uns gerade an der Tür direkt gegenüber von Nummer 315, entdeckten wir endlich doch noch die Quelle dieser ungeheuerlichen nächtlichen Ruhestörung – und auch des Rätsels überraschende Lösung.

Kaum mehr zu vernehmen war die sich in ekstatischer Glückseligkeit verlierende helle Stimme einer Frau aus dem Zimmer zu hören: „Aaaaaahhhh, aaaahhh, aaahh . . .“

Unmittelbar nach unserer erfolgreich verlaufenden Spurensuche stellte der „kleine Hund“ sein Winseln endlich ein und auch die genervten Anrufe von Zimmer 315 hörten für diese Nacht auf. Hans konnte sich wieder seinem langweiligen Papierkram widmen und mein Kollege und ich begaben uns vergnügt und mit einem wie in Stein gemeißelten Grinsen in den wohlverdienten Feierabend.

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Was nicht so alles in einem Wellnesshotel in einem abgelegenen Provinznest passiert. Rückblickend erscheint sogar mir selbst manchmal schier unglaublich, was ich an einem so unscheinbaren Ort alles erleben durfte.

Aber man muss sich bewusst machen, dass sich die Leute, bei Wellnessgästen handelt es sich zumeist um Frauen, für ein paar Tage in einem solchen Hotel einquartieren, um sich zu entspannen, um sich etwas Gutes zu tun - und um den faulen und muffligen Alten allein in seiner Jogginghose zu Hause vor dem Fernseher versauern zu lassen. Praktisch jedes Wochenende checkten kleine und große Gruppen von Freundinnen jeden Alters - und ich meine wirklich jeden Alters - bei uns ein, die sich ohne ihre Ehemänner ein paar schöne Tage bei Sauna und Massagen gönnen wollten – und bei Sex im Pool mit einem völlig Fremden.

Wie oft konnte einer der Nachtportiers seinen Rundgang nicht beenden, weil sich wieder einmal ein kurzentschlossen zusammengefundenes Pärchen irgendwo im Spa-Bereich gemeinsam vergnügte. Der Pool war natürlich die beliebteste Location für solcherart intime Zusammenkünfte zu nachtschlafener Zeit. Zwar dienten die Rundgänge nicht zuletzt auch dem Zweck, unerlaubtes nächtliches Betreten des Wellnessbereichs zu unterbinden. Doch in eine wilde Vögelei zweier Gäste hineinzuplatzen, das wagte meines Wissens keiner unserer Nachtportiers.

„Jetzt nimmt er sie von hinten.“, höre ich da einen Hans sagen. Und zehn Minuten später „Jetzt sitzt sie gerade auf ihm.“ Schließlich folgte die Entwarnung „Endlich sind sie fertig. Hoffentlich liegen die beiden nicht auch wieder so lange nebeneinander herum.“ Auch der Beruf eines Nachtportiers hat durchaus seine gewissen Vorzüge.

Nächte mögen in ganz besonderem Maße ereignisreich und voller verrückter Geschichten sein. Gleichwohl ist es unglaublich anstrengend, entgegen der Natur während der biologischen Schlafenszeit zu arbeiten. Nachtschichten zehren ganz besonders am Körper – das merkt man schon nach wenigen Tagen mehr als deutlich.

Nach nur vier oder fünf Nachtschichten hänge ich den ersten freien Tag fast komplett durch. Mein Hirn fühlt sich dann irgendwie schwammig und konturlos an, gerade so, als wäre es gekocht und sandgestrahlt worden. Ich habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren und bin kaum dazu in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich fühle mich wie die ausgeblichene Kopie einer Kopie, mehr funktionierend als lebendig agierend. Kein sehr angenehmer Zustand, in den einen die nächtliche Arbeit versetzt.

Zugleich beeinflusst die Nachtarbeit auf eine weitere äußerst störende Weise den Biorhythmus: sie verstellt gewissermaßen die natürliche innere Uhr eines Menschen. Und je länger man sich der Nachtarbeit aussetzt, desto schlimmer und langanhaltender der darauffolgende Jetlag.

Nach nunmehr über zehn Jahren fast ausschließlicher Nachtarbeit muss ich feststellen, dass ich gerade an meinen freien Tagen zunehmende Schwierigkeiten damit habe, vor 6 Uhr morgens tief und fest zu schlafen. Die Nachtruhe gleicht dann vielmehr einem dauerhaften Nickerchen, das von ständigem Aufwachen begleitet wird. Gerade in den Stunden vor mittags erreiche ich dahingegen endlich eine der so wichtigen Tiefschlafphasen und komme zu dieser Zeit dementsprechend nur sehr schwer zu Bewusstsein. Es ist, als befände sich mein Körper zwar in Mitteleuropa, meine innere Uhr aber in Manila auf den Philippinen - und fraglich bleibt, ob wir beide jemals wieder zueinander finden werden. Dieser Gedanke bereitet mir in der Tat ein wenig Sorgen.

Nach diesen langen Jahren ist mein Schlaf-Wach-Rhythmus möglicherweise schon hinreichend stark gestört, um ein Wiedereinpendeln auf „normal“ fragwürdig erscheinen zu lassen. Hinzu kommt ein weiteres Problem: wer sich einmal für diesen Beruf entschieden hat, wird ihm nur sehr schwer auch wieder entkommen.

Irgendwann erreicht so ziemlich jeder Bartender eine meist altersbedingte Phase, in der er seine weitere Zukunft in dieser Branche kritisch betrachtet. Das hat nicht zuletzt auch mit der auszehrenden und nicht gerade familienfreundlichen Nachtarbeit zu tun. Doch, was tun?

Viele Bartender, die Profis ebenso wie die Pfuscher, haben nie etwas anderes gemacht, als in der Gastronomie ihr Geld zu verdienen. Jedenfalls nichts, auf das sich viele Jahre später noch aufbauen ließe. Oft bleibt als einzige Alternative der Weg in die Selbständigkeit, die sich als vielleicht größte berufliche Herausforderung aber auch nicht so ohne weiteres, man denke nur an die enormen Kosten allein für eine vernünftige Inneneinrichtung, realisieren lässt. Aber auch wer den Schritt wagt, hat sodann erneut das Problem, dass er zunächst einmal selbst hinter dem Tresen stehen muss und sich wiederum mit Nacht- oder doch zumindest Spätschichten konfrontiert sieht.

Auch wer sich dazu für die zweite Alternative entscheidet, eine Umschulung zu beginnen und noch einmal komplett von vorne anzufangen, hat es alles andere als leicht. Schon der nunmehr völlig umgekrempelte Schlaf-Wach-Rhythmus wird zur nicht zu unterschätzenden Herausforderung für jemanden, der plötzlich wieder die Schulbank drücken und um 6 Uhr morgens aufstehen muss. Diese drastische Umstellung hat schon viele letztlich zur Kapitulation und zurück unter das Joch des Tresens gezwungen.

Es gehört schon eine enorme Willenskraft und Disziplin dazu, die durch die Berufswahl einmal eingeschlagene Einbahnstraße wieder zu verlassen und in ein für den Durchschnittsbürger normales Leben zu wechseln.

Einer der Hauptgründe, weshalb der Wunsch zu wechseln überhaupt in jemandes durch die Gastronomie verstümmelten Kopf heranreift, ist die zehrende, auf die Probe stellende und beziehungskillende Nachtarbeit. Gleichzeitig ist sie, nachdem ein gewisses Maß an Gewöhnung und Anpassung bereits eingesetzt hat, auch das größte Hindernis, das einem erfolgreichen Wechsel im Wege steht.

Wer sich für das Leben eines Bartenders entscheidet, der sollte sich unbedingt zuvor bewusst machen, dass dieses Leben in weiten Teilen nachts stattfinden wird – chronischer Vitamin D Mangel, Osteoporose und Depressionen aufgrund unzureichender Aufnahme von Sonnenlicht inklusive. Hier kann nebenbei bemerkt der regelmäßige Gang ins Solarium Abhilfe schaffen, denn auch die Kunströhren versorgen die Haut mit den lebensnotwendigen Strahlen. Braun gebrannt wie nach vier Wochen Urlaub auf Jamaika muss man dabei nicht unbedingt werden, es genügt eine zehnminütige Einheit alle zwei bis drei Wochen um den Lichtbedarf zu decken.

Es handelt sich bei der Entscheidung, ein Barmann zu werden, um ein zweischneidiges Schwert mit besonders scharfen Klingen. Denn wie schon erwähnt, kann die nächtliche Arbeit in einer Bar überaus spannend, anregend und sogar inspirierend sein. Viele zur Nachtzeit in Bars und Kneipen zugebrachte Stunden waren schon in der Vergangenheit maßgeblich verantwortlich für die Entstehung von heute weltberühmten Gemälden, Romanen und Filmen. Ich erinnere hier nur einmal an Namen wie Vincent van Gogh, Ernest Hemingway, Édouard Manet oder Charles Baudelaire. Natürlich war keine dieser Persönlichkeiten ein Bartender, doch nutzten sie alle die erregende Atmosphäre nächtlicher Trinkhöhlen als Quelle künstlerischen Schaffens. Die nicht weniger einschneidende Kehrseite der Nacht habe ich bereits ausgeführt und auch in den nachfolgenden Kapiteln werden wir immer wieder auf sie stoßen.

Der Entschluss, ein Barmann zu werden, sollte nicht leichtfertig getroffen werden. Denn die darauf folgenden Jahre werden vor allem eines nicht sein: leicht.

Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln

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