Читать книгу Von Nachtschwärmern & Schnapsdrosseln - Thomas Majhen - Страница 13
Der Showmixer
ОглавлениеIch erinnere mich an einen Tag in der allerersten Bar, in der ich nach meiner Ausbildung zum Hotelfachmann als Bartender gearbeitet habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Monaten in meiner neuen Rolle als Tresenmann und noch dementsprechend grün hinter den Ohren. Die Unerfahrenheit und Unwissenheit machen einen anfällig dafür, sich von anderen beeindrucken zu lassen, aber man ist auch wissbegierig, möchte aus der Erfahrung und dem Wissensschatz der Dienstälteren schöpfen um ihrem Vorbild nachzueifern.
An besagtem Tag war ein Barmann, tatsächlich handelte es sich um den Barchef aus einer Zweigstelle des deutschlandweit operierenden Franchise-Unternehmens, bei uns zu Gast. Es ist bei diesen Kettenbetrieben durchaus nicht ungewöhnlich, dass gelegentlich die oberste Führungsriege, die Lizenzgeber oder die Inhaber anderer Filialen, vorbeischauen um sich auszutauschen oder eine Produktlinie, Marketing-strategie usw. zu besprechen. Die Barchefs haben damit allerdings recht wenig zu tun, denn diese fast immer ungelernten Kräfte und Quereinsteiger dürfen bei Dingen, die über das tägliche Bargeschäft hinausgehen, kaum ein Wort mitreden. Als umso merkwürdiger empfand ich es, dass nun einer dieser Barchefs offenbar seine kostbare Freizeit opferte, um unseren Betrieb eine Woche lang kennenzulernen. Nennen wir diesen Austausch-Bartender „Donald“.
Donald kam also bei uns an, ein recht hagerer, nicht schön anzusehender Typ mit diesem wirklich seltsamen und selten gehörten Namen und wollte einmal abchecken, was in unserer Bar in Augsburg so abgeht. Was den Kerl letztlich dazu bewogen hat, sich rund 240 km von seinen heimatlichen Gefilden zu entfernen, um bei uns mal reinzuschauen, bleibt sein Geheimnis. Jedenfalls ist es ihm gelungen ordentlich Eindruck zu machen.
Der Tag seiner Ankunft war ein stinknormaler Tag unter der Woche. Die Bar öffnete um 18 Uhr ihre Pforten und die ersten ein bis zwei Stunden, die immer recht ruhig abliefen, trieb sich Donald irgendwo in der Peripherie des Tresens herum, unterhielt sich mit dem Inhaber oder guckte uns gelegentlich über die Schulter. Nachdem uns der Gastarbeiter Donald nun also eine Weile bei der Arbeit beobachtet hatte und die Hütte gegen 20 Uhr langsam voll wurde, fand er wohl, es sei nun endlich an der Zeit, uns Amateuren zu zeigen, wie man es richtig macht.
Ohne weitere Umschweife, jedoch mit dem unbedingt notwendigen Einverständnis des Inhabers, steuerte Donald seinen hageren Körper auf die große Cocktailstation zu (eine „kleine“ Station wurde nur zu Stoßzeiten oder am Wochenende aufgebaut; der Großteil der Cocktails lief stets über die große) – und schon wirbelten und flogen die ersten Flaschen von der einen schmalen Hand in die andere.
Die versammelte Barcrew des Abends, bestehend aus Studenten, Aushilfskräften und meiner Wenigkeit als absoluten Neuling, staunte nicht schlecht und glotzte gebannt auf den kleinen Wirbelwind. Auch die Gäste, die eine solche Show in unserem Laden nicht gewohnt waren, sahen verblüfft und mit offenen Mündern dem wilden donald‘schen Treiben zu.
Damals war auch ich noch dem Tom Cruise geschuldeten Klischee verfallen, Flaschen zu werfen und mit Shakern jonglieren zu können gehöre unbedingt zu einem richtigen Bartender dazu. Ich trainierte zu Hause mit speziellen Kunststoffflaschen und wollte selbst eines Tages hinter dem Tresen eine geile Show abziehen und die Leute beeindrucken. Umso gebannter verfolgte ich nun das sich vor meinen Augen abspielende Spektakel.
Doch es dauerte nicht allzu lange, der showgeile Oktopus schleuderte gerade eine fast volle Flasche Orangensaft, bis sich einer der Tentakel nur um ein paar Zentimeter verschätzte – und ins Leere griff. Mit einem lauten Platschen zerschellte die Glasware mit ihrem 100%igen Fruchtgehalt auf dem bis dahin fast jungfräulichen Boden hinter der Bar.
Jäh durch den Krach aus der Trance gerissen, verfolgten Gäste wie Personal erschrocken die über den Fußboden kullernden Scherben und den sich dazwischen in dicken Lachen sammelnden Fruchtsaft. Auf der Miene des Inhabers, der ebenfalls an seinem üblichen Posten am anderen Ende des Tresens stehend dieser Showeinlage zugesehen hatte, war nur eine leichte Veränderung zu bemerken. Die Mundwinkel glitten kaum merklich nach unten, seine linke Wange zuckte ein wenig. Doch weder schritt er ein, noch ließ er sich zu irgendeiner Äußerung hinreißen. Stattdessen verharrte er mit sich wie in Zeitlupe verfinsterndem Blick an seinem Platz und sagte nichts. Das war durchaus ungewöhnlich, galt der Mann doch nicht gerade als zurückhaltend, im Gegenteil als ziemlich impulsiv, vielleicht sogar cholerisch.
Donald indessen kümmerte sich nicht weiter um die vernichtete Ware und auch nicht um die erschrockenen Mienen, hielt stattdessen unbeirrt an seinem offenbar geplanten Auftritt fest und lenkte die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch ein paar gezielte Würfe wieder auf sich. Der Oktopus wirbelte wieder, warf Flaschen von links nach rechts, von vorne nach hinten, tat so, als würde er den Shaker fallen lassen, fing ihn jedoch rechtzeitig auf, schleuderte eine weitere Flasche mit der Rechten – und schon krachte es wieder. *Bamm*!
Dieses Mal musste es wohl eine Flasche Rum oder ähnliches gewesen sein, jedenfalls war der Inhalt deutlich kostbarer, als der kurz zuvor zu Bruch gegangene Orangensaft. Dieser Umstand war schon allein am Bände sprechenden Gesicht des Inhabers abzulesen. Seine Mundwinkel sackten nun vollends nach unten und das Zucken der Wange wurde heftiger. Trotz des in der Bar herrschenden Zwielichts war deutlich zu erkennen, wie der Mann nun seinerseits einen Oktopus imitierte, denn der Farbton seines Gesichts wechselte mit beachtlicher Geschwindigkeit von weiß zu grau. Man konnte seinem ganzen Körper ansehen, wie er mit sich selbst rang und die aufsteigende Wut mit aller Selbstbeherrschung zu unterdrücken versuchte. Die versammelte Crew rechnete nun jeden Augenblick mit dem Ausbruch des von uns so gefürchteten Vulkans.
Aber von alledem bekam Donald nichts mit, auch ließ sich der Showmaster nicht vom Aufstöhnen der Zuschauer beeindrucken oder zur Besinnung bringen. Stattdessen schob er den größer werdenden Scherbenhaufen hinter der Theke einfach mit dem Fuß beiseite, straffte sich kurz und fuhr mit seiner fehlgeschlagenen Selbstinszenierung fort.
Wir anderen hatten unseren anfänglichen Schock überwunden und konnten uns nun ein leichtes schadenfreudiges Grinsen nicht mehr verkneifen. Mit neugierigen wie gespannten Blicken wechselten wir zwischen dem Oktopus und dem Gesicht unseres Chefs hin und her. Das unterzog sich einem neuerlichen Farbwechsel und wurde käseweiß, als es nur Sekunden später ein drittes Mal knallte . . .
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Barmänner und ihr Geltungsdrang – nirgendwo tritt er so überdeutlich zu Tage, wie beim Mixen von Cocktails. Dass das auch mal nach hinten losgehen kann, zeigt diese kurze Geschichte von Donald und seinem Ego. Sie zeigt auch, wie schwer es uns manchmal fällt, unser Versagen einzugestehen und zurück zu rudern. Stattdessen machen wir lieber weiter wie bisher und bleiben auf dem einmal eingeschlagenen Irrweg.
Ich gebe zu, auch mich ziehen diese immer wieder stattfindenden Flairtending Wettbewerbe gelegentlich noch in ihren Bann. Es sieht einfach fantastisch aus, diese wirbelnden und sich drehenden Flaschen, die flinken Hände der Wurfkünstler, denen das Auge kaum zu folgen vermag. Doch sehen wir sie als das an, was sie sind: akrobatische Wettkämpfe, die mit dem Alltag in einer Bar nicht viel zu tun haben. Von gelegentlichen kurzen und vor allem richtig getimten Showeinlagen einmal abgesehen hat Flairtending im harten Tagesgeschäft keinen Platz oder es ist jedenfalls bedeutungslos. Alles andere ist eine klischeehafte Verklärung der Realität.
Wohl die wenigsten Menschen suchen in regelmäßigen Abständen eine Bar auf und werden dort Stammgast, nur weil dort tolle Barshows geboten werden. Eine Begeisterung, die ausschließlich auf optischem Entertainment fußt und lediglich einem einzigen Bereich der menschlichen Sinne geschuldet ist, verfliegt ebenso schnell wie sie gekommen ist. Letztlich entscheiden die Atmosphäre, das kompetente und sympathische Personal und die Güte der Drinks darüber, ob wir uns hier noch öfters herbemühen werden oder eben nicht.
Ob man sich nun dem Flairtending verschreiben und viele Stunden seiner Freizeit mit der Einübung von Wurftechniken verbringen möchte, um sodann des Abends vor staunenden Gästen eine Show der fliegenden Flaschen abzuliefern, das muss letztlich jeder Barmann für sich selbst entscheiden. Doch so oder so führt das Treiben, ja schon das bloße Stehen hinter dem Tresen zu einer weiteren, für den Beruf typischen Besonderheit: man ist umringt von Menschen und befindet sich auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller. Die Leute glotzen einen bisweilen regelrecht an, starren einem aber doch wenigstens immer wieder auf die Finger und verfolgen jeden einzelnen Handgriff.
Was man auch tut, ganz egal ob man ein Bier zapft, ein paar Gläser poliert, das Wechselgeld herausgibt, eine Obstdeko schneidet oder einen Cocktail mixt, man steht unter ständiger Beobachtung der den Tresen belagernden Gäste. Manchmal erlebe ich kleine Gruppen von vier bis sechs Personen, die ganz offenbar nur aus dem einen Grund in eine Bar gehen, um den Barmann während ihres Aufenthalts ununterbrochen zu beobachten. Einige versuchen dabei sogar unter Zuhilfenahme der Getränkekarte zu erraten, welcher Cocktail vom Maestro gerade zubereitet wird. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, manche dieser Leute haben in ihrem Leben noch niemals eine richtige Bar aufgesucht und möchten dieses einmalige Erlebnis nun mit allen Sinnen in sich aufnehmen. Man fühlt sich wie ein exotisches Tier im Zoo, das von der glotzenden Menge bestaunt wird.
Natürlich gewöhnt man sich mit der Zeit an die ständig auf einen gerichteten Blicke und die wachsende Sicherheit der Handgriffe macht einen irgendwann immun gegen Nervosität. Dennoch empfinde ich solche geifernden Schaulustigen immer wieder aufs Neue als äußerst penetrant, ja unhöflich. Sie müssen sich vorstellen, Sie sind umzingelt von einer Horde fremder Menschen, Sie stehen genau in der Mitte und alle beobachten jede einzelne Ihrer Bewegungen. Die kleinste Ungenauigkeit, das unmerklichste Handzittern, das Herabfallen eines Obstspießes oder, besonders schlimm, das Überlaufen des Cocktails wird sofort von den Zuschauern registriert, unter Umständen sogar mit Sprüchen oder merkwürdigen Lauten untermalt und kommentiert.
Viele Bartender genießen es geradezu, auf diese Weise im Mittelpunkt zu stehen, vielleicht weil sie als Kind zu wenig Aufmerksamkeit genossen haben - oder man sie zu früh von der Mutterbrust entwöhnt hat. Manch einer versucht die Aufmerksamkeit der Gäste noch weiter auf sich zu fokussieren, indem er die fragwürdige Metamorphose vom Bartender zum Flairtender vollzieht. Der Flairtender verkörpert das vielleicht ewig anhaftende Image, die klassische Stereotypie des Berufs.
Auch ich war, wie bereits erwähnt, zu Beginn meines Berufslebens dem unreifen Irrtum verfallen, es gehöre unverrückbar zum Berufsbild, sich nicht nur in der allgemeinen Aufmerksamkeit der Gäste zu sonnen, sondern diese gezielt zu suchen und mit Hilfe diverser Showeinlagen zu stimulieren. Doch musste ich zu meiner anfänglich großen Enttäuschung feststellen, dass das einfach nicht meiner Natur entspricht. Ich mochte es noch nie gerne leiden, im Mittelpunkt zu stehen und alle Blicke auf mir zu spüren, ich war zu keiner Zeit ein Kind der mit Sand ausgestreuten Manege. Das wird sich in Zukunft, mit bald Mitte dreißig, wohl nicht mehr ändern.
Insofern habe ich vielleicht bei meiner Berufswahl nicht unbedingt ins Schwarze getroffen. Doch fest steht ebenso, dass zu einem Bartender noch weitaus mehr gehört, als gerne in den Blicken anderer zu baden. Mit Fug und Recht kann ich behaupten, gerade die nicht weniger klischeehafte, aber in diesem Fall wirklich zutreffende Rolle des Zuhörers meisterhaft zu beherrschen.