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ZWEI LÄNDER, EIN SEE – LAGO MAGGIORE

Am Rand der Alpen


Am Lago Maggiore beginnt der Süden, taucht man ein in eine mediterrane Welt: mild das Klima, üppig die Vegetation, optimistisch das Lebensgefühl. Doch das ist nur die eine, die Postkartenansicht des »langen Sees«. Die andere ist sein Hinterland mit Rustici statt Hotelkästen, sterbenden Dörfern, verlassenen Almen und einer ungezähmten Natur.


Die berühmte Isola Bella vor der Uferpromenade von Stresa.

Er hat gleich drei Namen, einen lateinischen (»lacus verbanus«), einen italienischen (Lago Maggiore) und einen deutsch-schweizerischen (Langensee). Groß ist er, »maggiore«, und auch lang, wie die eidgenössischen Eroberer im 15. Jahrhundert gleich erkannten. Rund 170 Kilometer beträgt die Uferlänge, 216 Quadratkilometer groß ist die Wasserfläche, nach heftigen Regenfällen mitunter noch etwas größer, wie man in Locarno weiß, wo die Piazza Grande dann regelmäßig unter Wasser steht. Das nördliche Fünftel des Sees gehört zum Schweizer Kanton Tessin, der Rest zu Italien. Mitten im Wasser verläuft die Grenze zwischen den italienischen Regionen Piemont und Lombardei; am Westufer liegen die beiden größten Städte: Locarno und Verbania, von dem der See seinen alten Namen hat.

Kontraste am Lago Maggiore

Der große oder lange See ist Alpenwelt und mediterranes Wunder, Bella Italia fast zum Greifen nahe. Eine Welt, über die Hermann Hesse vor bald hundert Jahren schrieb: »Sobald man die Nähe der Hotels und die paar beliebtesten Ausflugsstraßen hinter sich lässt und in das steile, rauhe Bergland eindringt, dann ist man außerhalb Europas und außerhalb der Zeit …« Eine Welt- und Zeitreise am Lago Maggiore? Ja, und dabei ist der Weg von der Uferpromenade in Verbania bis ins Val Grande, von der hektischen Betriebsamkeit unserer Zeit in die Stille einer weltabgeschiedenen, vom Menschen verlassenen Bergwelt keine 15 Kilometer weit. So ist dieser Landstrich ein kleiner Kosmos, der entdeckt werden will: schlendern am Seeufer, zwischen alten Villen und wunderschönen Parkanlagen, den nostalgischen Charme der Ferienorte erkunden, von dem schon unsere Großeltern träumten, einen sommerlichen Wolkenbruch erleben, der mit seiner Wucht an asiatische Monsunregen denken lässt, das karge Hinterland durchstreifen, per pedes, seine karge Urtümlichkeit spüren und vielleicht sogar den einen oder anderen Gipfel über dem Val Cannobina oder dem Val Grande besteigen. Der Lago Maggiore – eine fast schon exotische Landschaft am Rand der Poebene, an der Südabdachung der Alpen.


Abend in den Gassen von Cannobio.


Ein barockes Gesamtkunstwerk: der Palazzo Borromeo auf der Isola Bella.


Wallfahrtsort und Ausflugsziel: die Einsiedelei Santa Caterina del Sasso am Ostufer des Lago Maggiore.

Einwanderer schlagen Wurzeln

Früher galt das Attribut »exotisch« auch für viele Besucher des Sees, die reich, dazu oft extravagant waren, gestern wie heute trifft es auf die bezaubernde Parkflora seiner Ufer zu. Denn die stammt teilweise tatsächlich aus exotischen Regionen. Manche der Kulturpflanzen, wie beispielsweise die Kastanie, kamen mit den Römern hierher. Die Araber brachten Zitronen nach Italien, aus der Türkei stammen der Kirschlorbeer und die Hyazinthen. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Magnolie am Lago Maggiore heimisch, später dann die Azalee und die Kamelie. Besonders fremdartig wirkt die Araukarie, die ihre Heimat im südlichen Südamerika hat, wogegen die Agave am Lago Maggiore bereits so häufig anzutreffen ist, dass man sie glatt für eine heimische Art (und keine mexikanische) halten könnte.

Reisen ist kein Privileg der Hautevolee mehr, sondern längst demokratisiert und profaner geworden. Selbst in Stresa, dem berühmtesten Urlaubsort am See, tut man sich schwer, etwas vom Glanz vergangener Tage in die Zukunft hinüber zu retten. Was um Locarno und Ascona so (schweizerisch) aufgeräumt daherkommt, hat hier bereits einige Flecken, und südlich von Arona herrscht Tristesse, stehen gesichtslose Neubauten neben Industrieruinen. Reiches Italien – armes Italien!

Das »insubrische Meer«

Trotzdem: Ein Naturwunder ist dieser See, der weit hinausgreift ins flache Land, darin mit dem Benacus vergleichbar. Allerdings fehlen ihm die steilen Felsufer des Gardasees; bereits im nördlichsten Teil dominieren die großen Linien, steht Weite vor Enge, was dem Lago Maggiore ja auch die Bezeichnung »insubrisches Meer« eingetragen hat. Im Sommer, wenn die Berge im Panorama hinter einem Dunstschleier verschwinden, ist die Illusion eines offenen Horizonts am stärksten. Insubrisch, abgeleitet von einem Keltenstamm, der vor Beginn unserer Zeitrechnung hier siedelte, steht aber auch für Alpenrandlage, und das bedeutet: große jährliche Niederschlagsmengen (zum Vergleich: Brissago 2133 mm, München 811 mm). Die fallen aber fast nur als Regen, Schnee ist selten, wirkt der See doch im Winter wie ein riesiger Wärmespeicher, im Sommer dafür als Kühlanlage. Dann weht vormittags meist ein sanfter Südwind, die Inverna, während in den Nachmittags- und Abendstunden die Tramontana für Erfrischung sorgt. Im Spätherbst und im Winter ist der Nordföhn ziemlich häufig, ein Gegenstück zu jenem Sausewind, der in München und Luzern für Kopfweh und gesteigerte Aggressivität sorgt. Der Effekt jenseits der Alpen ist der gleiche: die Berggipfel rücken (scheinbar) näher, es herrscht kristallklare Sicht und der Schnee – falls überhaupt welcher liegt – zieht sich bald in höhere Lagen zurück.


Augen- und Gaumenschmaus: piemontesische Genüsse.

Wer den Lago Maggiore wirklich kennenlernen will, muss sein Hinterland erkunden, jene vergessenen Täler und Höhen, fast so unbekannt wie die Rückseite des Mondes. Was für ein Kontrast zu den Parks und Gärten an den Seeufern! Oben am Berg schufteten die Bauern, während sich die Reichen und Mächtigen auf der Isola Bella ein Stelldichein gaben. Die Inseln vor Stresa waren damals Besitz der Borromeo. Berühmtester Spross dieser einflussreichen Familie, die ihre Wurzeln in Mittelitalien hat, war Carlo Borromeo (1538–1584). Er thront heute als 20 Meter hohe Bronzestatue über dem Städtchen Arona; der 1610 heiliggesprochene Kardinal und Erzbischof von Mailand ging in die Geschichte durch seine unversöhnliche, rückwärts gewandte Haltung beim Konzil von Trient ein, wodurch die Glaubensspaltung zementiert wurde. Vorwärts schaute dagegen ein anderer, dem seine Heimat kein Denkmal errichtete, der aber trotzdem berühmt geworden ist: Dario Fo (1926–2016). Der Schauspieler und Dichter wurde 1997 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet; dass er sich zeitlebens mit den einfachen Leuten solidarisierte, bewies er auch bei der Preisverleihung: »Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott.«

TOP ERLEBNISSE

BORROMÄISCHE INSELN

Stresas Stern mag ziemlich verblasst sein, die Isole Borromeo draußen im Lago Maggiore haben nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.

Die Isola Bella galt bereits vor 200 Jahren als Weltwunder, und auch wer heute die Insel besucht, wird noch etwas von jenem »unvergleichlichen Zauber« spüren, der Alexandre Dumas – aber natürlich nicht nur ihn – einst in seinen Bann zog. Die Idee, dem felsigen Eiland die Form eines Schiffes zu geben, hätte Walt Disney zur Ehre gereicht; sie stammt aber von Antonio Crivelli aus Ponte Tresa, der 1620 mit der Umgestaltung zum barocken Gesamtkunstwerk begann.

www.isolelagomaggiore.com

LA TRAVERSATA

Ein absoluter Renner unter den Tessiner Wanderwegen ist die Traversata. Sie führt vom Monte Lema (1620 m) über mehrere kleine Kammerhebungen zum Monte Tamaro (1961 m) und weiter zur Alpe Foppa (6 Std.). Natürlich gibt’s Aussicht en masse, auf die Alpen und auf den großen See, den Lago Maggiore. www.ticinoweekend.ch


Schifffahrt auf dem Lago Maggiore.

Das Reisebuch Italien

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