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1. Geschichte

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Die „verbandsgesteuerte“ sozialversicherungsrechtliche Selbstverwaltung nimmt zwischen den Modellen demokratisch überformter und grundrechtssichernder Betroffenenverwaltung eine „mittlere Position“ ein.[122] Bereits in Zusammenhang mit der Preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung vom 17.1.1845 war den Gewerbetreibenden und Fabrikinhabern, also den Arbeitgebern, „eine den Verhältnissen entsprechende Teilhabe an der Kassenverwaltung“ zugesichert worden.[123] Allgemein wird jedoch das „Gesetz über die Vereinigung der Berg-, Hütten-, Salinen- und Aufbereitungsarbeiter in Knappschaften“ (Preußisches Knappschaftsgesetz) vom 10.4.1854 mit seiner paritätischen Besetzung der Vorstände als Geburtsstunde des Selbstverwaltungsgedankens in der gesetzlichen Sozialversicherung bezeichnet. Einen weiteren Schritt hierzu vollzog die Kaiserliche Botschaft Wilhelms I. vom 17.11.1881, die ein Leitbild der staatlichen Fürsorge „in der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung“ entwickelte.

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Schon im Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 18.7.1881 (§ 100a), war die Beteiligung der Gesellen an der Gründung und Verwaltung von Innungseinrichtungen, die ihrer Unterstützung dienten, vorgesehen. Über das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.6.1883,[124] die Unfallversicherung, Invaliden- und Altersversicherung, Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19.7.1911, das Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20.12.1911 und das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16.7.1927 entstand so ein komplexes Sozialversicherungssystem auf der Basis des Selbstverwaltungsgedankens,[125] das seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 161 Weimarer Reichsverfassung („unter maßgeblicher Mitwirkung der Versicherten“) fand. Ausgangspunkt ist dabei die Körperschaftsstruktur der Sozialversicherungsträger des Bundes, heute verankert in Art. 87 Abs. 2 GG. Auch wenn der Begriff „Selbstverwaltungseinrichtungen“ in Art. 116 des „Herrenchiemsee-Entwurfs“ nicht übernommen wurde, so wird man dort hinein doch eine „Mindestgarantie verbandlicher Institutionen“ interpretieren dürfen.[126]

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Neben die kommunalen Gebietskörperschaften traten damit die Selbstverwaltungskörper der Sozialversicherung.[127] Zunächst arbeitete der Kassenarzt abhängig vom Kassenvorstand, dessen Direktiven er weitgehend unterworfen war. Der Arzt als Angestellter der Krankenkassen mutierte zum „sozialen Kontrolleur“ (Hörnemann), die eigentliche „Selbstverwaltung“ lag in den Händen von Nicht-Medizinern, in der Regel von Arbeitnehmern, die in den Körperschafts-Gremien die Mehrheit hatten und somit frei waren in der Gestaltung der Krankenversicherung. Die Tätigkeit der Ärzte war „bis zu einem gewissen Grade vergesellschaftet“.[128]

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Erst 1913 entstand mit dem „Berliner Abkommen“ zwischen dem Hartmannbund, der aus dem 1900 gegründeten Leipziger Verband hervorgegangen war, und den zentralen Verbänden der Krankenkassen eine neue Machtbalance. Das Zulassungsverfahren unter Einbeziehung der Kassenärzte ersetzte die Anstellungsautonomie der Kassen. Die (privatrechtlichen) Regelungen des Leipziger Vertrages wurden nach deren Kündigung zum 31.12.1923 mit der Notverordnung vom 30.10.1923[129] in öffentliches Recht überführt und 1924 in die RVO eingegliedert. Wesentliche, auch heute noch praktizierte Steuerungselemente der gesetzlichen Krankenversicherung entstanden in dieser Zeit: Einzel- und Kollektivverträge, Pauschalvergütungssystem und Einzelleistungsvergütung, Beschränkung auf die medizinische Notwendigkeit, Ersatz des Mehraufwandes bei Verstoß gegen die Wirtschaftlichkeitsgrundsätze, sowie Widerspruchs(„Anfechtungs“)ausschüsse.[130] Am 8.12.1931 wurde per Notverordnung die Kassenärztliche Vereinigung (KV) als örtlicher Zusammenschluss aller Kassenärzte und Vertragspartner der Krankenkassen geschaffen. Die KV Deutschlands wurde zur Rechtsnachfolgerin des aufgelösten Hartmannbundes bestimmt.

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