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Dem Einerlei entkommen

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Wenn wir das Gefühl haben, in einer endlosen Abfolge gleicher Tage festzustecken, dieser stumpfen Kette aus Schlafen, Arbeiten, Essen, Schlafen ausgeliefert zu sein, wenn wir uns kaum noch erinnern, was letzte Woche war, und denken, es ist auch völlig gleichgültig – dann können wir dem auf verschiedene Weise beikommen.

Wir können uns ein Gummiseil an die Fußknöchel knoten und von einer Brücke springen. Endlich ein Tag, den wir nicht so leicht vergessen. Das Adrenalin peitscht uns auf. Wenn wir Glück haben, hält das Gummiseil.

Wir können uns mit Schokolade abfüllen und vor dem Fernseher Kummer schieben. Viel hilft viel: Schokolade, bis wir sie wegräumen, weil der Anblick Brechreiz hervorruft, so etwa nach anderthalb Tafeln; Fernsehen, bis wir im Kopf die Filme durcheinanderbringen und das, was draußen vor der Haustür passiert, nicht mehr von dem unterscheiden können, was uns die Flimmerkiste vorspielt. Man weiß ja nie, vielleicht ist der nächste Film gut? Zumindest haben wir unser eigenes langweiliges Leben vergessen.

Wir können uns im Internet einem halben Dutzend Diskussionsforen anschließen und Lena, Sose und Rapse niederquasseln. Es gibt immer neue Beiträge; schweigt das eine Forum, wechseln wir rasch zum nächsten. Eine Unterhaltung, die nie endet. Seltsam nur, dass diese Auswege uns wieder zum Ausgangspunkt führen.

Ist das Problem womöglich gar nicht, dass wir zu wenig erleben, sondern zu viel? Könnte es sein, dass die intensiven Erlebnisse, nach denen wir uns sehnen, Tag für Tag stattfinden – wir spüren sie bloß nicht, weil wir auf „taub“ gestellt haben, um die Flut von Eindrücken zu verkraften? Das ist ein gesunder Vorgang, unser Gehirn braucht solche Filter. Allerdings lassen sie sich ausschalten, und das will gelernt sein. Haben Sie Lust auf ein Experiment? Es dauert etwa eine Minute.

Wann haben Sie das letzte Mal etwas gerochen? Wann haben Sie zuletzt bewusst einen Geruch wahrgenommen und ihn genossen? Kramen Sie eine Streichholzschachtel hervor, nehmen Sie ein Hölzchen heraus, zünden es an und pusten es aus. Können Sie den weißen Rauch sehen, der sich in weichen Kurven biegt? Riechen Sie ihn. Woran erinnert Sie dieser Duft?

Wenn ich den Rauch von Zündhölzern rieche, denke ich an Weihnachten, an Pfeffernüsse, bunt eingepackte Geschenke und Kerzen im Wohnzimmer. Ich denke an die Pyramidenflügel, die ein Schattenmuster an die Decke malen, während sich Tannen, Rehe und Holzhasen drehen.

Nähere ich mich dem Streichholz, ist es plötzlich der Geruch der selbst gebastelten Fackeln, mit denen wir in die Kanalisation geklettert sind (hoffentlich lesen meine Eltern das nicht). Ein Geruch, der noch Stunden in den Jacken nistete; man brauchte viel Deo, um ihn zu überdecken. Es ist der Geruch von Silvester und der Geruch des schlechten Gewissens beim Zündeln.

Haben Sie noch ein Holz? Machen Sie einmal das Licht aus. Schließen Sie die Vorhänge. Keine Musik soll spielen, kein Bildschirm das Zimmer erhellen, es soll ganz dunkel sein. Nun zünden Sie das Streichholz an. Es ist anders, nicht wahr? Ihre Sinne nehmen mehr wahr als zuvor. Sie spüren die Flamme nahe beim Gesicht: Sie wärmt die Wange. Machen Sie einige Schritte, leuchten Sie ins Zimmer! Wie klein das Licht ist; es wirkt verloren. Blasen Sie es aus. Sehen Sie die Glut am Streichholzkopf glimmen? Riechen Sie noch einmal den weißen Rauch! Ist er nicht klarer geworden?

Das Leben ist nicht langweilig. Gott hat für alles gesorgt. Es lohnt sich, die Augen aufzumachen: für Käfer, die über den Fußweg krabbeln, für Menschen mit einem netten Gesicht, für das Himmelsblau. Schalten Sie ab und zu Ihre Filter aus.

Vom Glück zu leben

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