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Kleine bunte Zettel
ОглавлениеWofür strampeln wir uns vom Morgen bis zum Abend ab? Es ist lachhaft. Für kleine Zettel, vierzehn mal acht Zentimeter groß, in hässlichen Farben bedruckt. Kleine bunte Zettel, die wir in unserem Portemonnaie sammeln, Papierfetzen, die wir immer wieder nachzählen und der Bank zum Hüten geben.
Moment, wenden Sie ein, diese Papierfetzen kann man gegen eine Menge eintauschen: ein neues Auto, einen Flug dahin, wo es warm ist, einen Hamburger Royal TS bei McDonald’s. Sie haben recht. Und es ist nichts einzuwenden gegen ein neues Auto, eine Reise oder einen Hamburger Royal TS. Gefährlich wird es, wenn wir uns von diesen bunten Zetteln niederdrücken lassen. Einem gesunden Menschen – und die sind selten geworden – wiegt ein solcher Zettel nur wenige Gramm. Den meisten wiegen sie etliche Kilogramm, nicht wenigen wiegen sie Tonnen. Wird das Portemonnaie gestohlen, vergießen wir mehr Tränen als über einen traurigen Brief. Kostet das Benzin einige Cent mehr, reden wir inbrünstiger und häufiger darüber als ein Frischverliebter von seiner neuen Verehrten. Die bunten Zettel kleben an uns wie Blutsauger. Sie verstopfen uns die Ohren, die Augen und den Mund.
Sie glauben das nicht? Dann machen Sie sich für ein paar Minuten frei von ihnen. Es wird ein Erlebnis sein, das Sie so schnell nicht wieder vergessen. Verschenken Sie Geld. Nicht einen Euro. Mehr. Ein Schein sollte es sein, wenn Sie mögen, ein größerer. Gehen Sie in die Stadt, irgendwo wird jemand betteln oder so aussehen, als hätte er es nötig, dass man ihm zeigt, dass die Menschheit doch noch nicht so tief gefallen ist, wie es immer den Anschein hat.
Sie denken, dass es wehtun wird, wenn Sie so viel Geld verschenken? Beobachten Sie sich. Es tut nicht weh. Es gibt Ihnen ein Gefühl der Freiheit. Geld beherrscht Sie nicht. Besitz beherrscht Sie nicht. Sie sind nicht wertvoll, weil Sie viel haben, sondern weil Sie selbst – ob nackt oder im Nadelstreifenanzug, ob in Lumpen oder im Versace-Kleid – ein kostbares Wesen sind.
Nebenbei bemerkt, der Beschenkte wird sich wundern. Der, den ich ausgewählt habe, bettelte in der U-Bahn. Als ich ihm den Geldschein gab, blieb er stehen und starrte mich an. Fassungslosigkeit im Gesicht. „Das ist ein Wort“, sagte er, wollte weitergehen, blieb dann noch einmal stehen und schaute. Es hat ihn offensichtlich verwirrt. Mir war es peinlich. Dann, als ich ausstieg und durch die Stadt lief, fühlte ich mich frei, als könnte ich fliegen.
Auch John D. Rockefeller musste lernen, den Wert des Geldes richtig einzuordnen. Jahrzehntelang führte er Buch über seine Ausgaben wie ein Schatzhüter. (Die 118 Dollar, die er für den Verlobungsring seiner zukünftigen Frau ausgab, verbuchte er in der Rubrik „Diverse Ausgaben“.) Ihm, dem damals reichsten Mann der Welt, fiel es schwer, Geschenke zu machen. Er schrieb einmal an einen Mitarbeiter: „Ich stecke in Schwierigkeiten, Mr Gates. Der Druck dieser Anfragen um Geschenke ist zu groß geworden, um ihn ertragen zu können. Ich bin so gebaut, dass ich unfähig bin, Geld wegzugeben, bis ich nicht genauestens festgestellt habe, ob der Zweck es wert ist. Diese Untersuchungen kosten mich inzwischen mehr Zeit und Kraft als Standard Oil selbst.“
Schließlich, mit 53 Jahren, war Rockefeller so krank, dass die Ärzte bezweifelten, dass er seinen 54. Geburtstag noch erleben würde. Er litt unter Nervenzusammenbrüchen, verlor alles Haar, selbst die Augenbrauen, und konnte weder richtig essen noch schlafen. Da entschied er sich, anders mit seinem Geld umzugehen. Er gründete die Universität von Chicago, baute Kirchen, spendete an zahlreiche Organisationen. Er rief die Rockefeller-Stiftung ins Leben, der wir die Entdeckung des Penizillins verdanken. Bald ging es mit seiner Gesundheit bergauf. Rockefeller wurde 98 Jahre alt. Von seinem Reichtum, der auf dem Höhepunkt 900 Millionen Dollar umfasst hatte, gab er bis 1929 allein an die Rockefeller-Stiftung 235 Millionen Dollar ab. Als er 1937 starb, besaß er nur noch 26.410.837 Dollar. Er hatte seine Lektion gelernt.
Ist unser Weg nicht kürzer als seiner?