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Glasmurmeln

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Ich habe vor meinem Haus eine Glasmurmel gefunden. Ein Kind muss sie dort verloren haben. Sie ist schwer und rollt gut von der Rechten in die Linke. Was mag eine solche Murmel wert sein? Ein paar Cent vielleicht. Für mich ist sie ein Schatz. Wenn ich ihre glatte Murmelhaut fühle, ihr grünes, geschwungenes Glasinneres ins Licht halte, dann schlägt mein Herz höher. Wir haben diese Murmeln geliebt als Kinder! Ihr wirklicher Wert war für uns nicht von Bedeutung, sie waren glatt und rund und ein herrliches Spielzeug – das allein zählte.

Genauso die Raubvogelfeder in meinem Bücherregal: Sie hat faktisch keinen Wert. Warum hebe ich sie auf? Sie hat eine weite Reise hinter sich, eine Freundin hat sie mir aus Schottland mitgebracht. Er wird viel gesehen haben, der Vogel, den die Schwungfeder einst in die Lüfte hinaufgetragen hat. Vielleicht lebt er noch und zieht als Raubvogelgroßvater über den schottischen Hügeln seine Kreise?

Wie viel etwas wert ist, wird heute sehr genau bemessen. Das Finanzamt sagt: Ein Computer ist nach drei Jahren wertlos, ein Auto nach acht. „Neu“ heißt wertvoll, „alt“ heißt: zum Wegwerfen. Kommt ein neues Modell auf den Markt, sind die Vorgängermodelle, die eben noch mit Gold aufgewogen wurden, plötzlich uninteressant und werden verschleudert.

„Ganz alt“ bedeutet wiederum, dass etwas kostbar ist – aber nur deshalb, weil sich viele Menschen dafür interessieren. Überhaupt wird alles teurer, wenn es beliebt und gefragt ist. Mitunter wird uns vorgegaukelt, ein Produkt oder ein Film oder ein Lied seien gut, indem man uns sagt: Alle sind scharf darauf.

Da hatte ich mit meiner DDR-Kindheit Glück. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es Trendspielzeug gegeben hätte. Es gab aus Mangel an Alternativen für alle das Gleiche. Neid war mir nicht fremd, selbstverständlich; zum Beispiel war ich neidisch auf das Spiegelrohr einer Freundin, ein Rohr, mit dem man um die Ecke schauen konnte. Das lag aber allein daran, dass ich auch um die Ecke gucken wollte – nicht daran, dass Spiegelrohre neu oder besonders im Trend gewesen wären.

Wir könnten uns, glaube ich, viel Hektik ersparen, wenn wir die Dinge nach dem Wert beurteilen würden, den sie für uns ganz persönlich haben. Egal, ob sie alt sind oder nicht, ob sie nur ein paar Cent kosten oder – weil ein besonderer Markenname draufsteht – einen stattlichen Preis haben. Letzten Endes kann uns niemand vorschreiben, wie viel uns etwas bedeuten darf.

Ich mag Glasmurmeln und Raubvogelfedern, ein altes Kissen, das meine Tante genäht hat, und die Bücher aus meiner Kinderzeit. Ich mag billige Schuhe, mein achtjähriges Auto und Buttergemüse von Aldi. Was kümmert mich der „Wert“ dieser Dinge in den Augen der anderen?

Manchmal erscheint es mir, als seien wir mit all dem Luxus unselbstständiger geworden. Wir brauchen jemanden, der uns sagt, ob etwas gut für uns ist – dabei können wir doch am besten selbst feststellen, was uns Freude bereitet oder nicht! Es ist fast, als würden wir etwas essen und dann fragen: „Schmeckt mir das?“ Es muss uns durch Werbespots erst beigebracht werden, dass der Joghurt, die Schokolade oder die Butter schmackhaft sind.

Ich hoffe, dass diese Zeiten vorübergehen. Dass Sie am Wegrand einen Stein aufheben, weil er Ihnen gefällt, und ihn sich neben das Bett legen, damit Sie ihn vor dem Einschlafen noch mal in die Hand nehmen können (Steine sind auch im Dunkeln schön). Dass Sie Ihren alten Rucksack behalten, auch wenn er kein Markenlogo trägt – einfach weil er Sie auf so vielen Reisen treu begleitet hat. Dass Sie kleine Schätze entdecken, ohne ihren Wert nach dem Preisschild zu beurteilen. Oder nach ihrer Seltenheit. Denn: Die Welt ist voll davon!

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