Читать книгу Vom Glück zu leben - Titus Müller - Страница 19
Raumstationen und Freizeitparks
ОглавлениеSteve Ditko ist einer der erfolgreichsten Comiczeichner der Welt, er gab unter anderem „Spider-Man“ seine Gestalt. Dennoch hasst er öffentliche Auftritte. Seit 1960 hat er kein Interview mehr gegeben, und es existieren nur zwei unscharfe Fotos von ihm. „Ich rede nie über mich“, sagt er. „Ich bin meine Arbeit.“
Zuerst einmal fasziniert das. Kein großes Gerede. Kein Starkult. Ein Mann, der zeichnet, jahrzehntelang, und nichts weiter. Und doch hat seine Aussage einen bitteren Beigeschmack. „Ich bin meine Arbeit.“ Stellt sich Gott so seine Geschöpfe vor? Sind wir, was wir tun?
Wäre das Gottes Maßstab, dann könnten ihm Kinder nicht so wertvoll sein. Er aber schätzt Kinder – die nicht arbeiten! – genauso wie die Erwachsenen. „Werdet wie die Kinder!“, riet er sogar. Um Lahme kümmerte er sich, die nicht arbeiten konnten, um Aussätzige, die von der Arbeitswelt ausgeschlossen waren.
Unsere Gesellschaft schätzt die Arbeit höher ein als alles andere. Familie, Gesundheit, Träume – alles muss sich unterordnen. Den Takt gibt das Arbeitsleben vor. Im Wahlkampf ist Arbeit das wichtigste Thema, und wenn wir jemanden kennenlernen, fragen wir als Erstes nach seinem Beruf.
Bestsellerautor Nicholas Sparks schreibt in seiner Autobiografie Nah und fern: „Schon morgens beim Aufwachen würgt einen das Gefühl, im Hintertreffen zu sein, und jeder Tag wird ein hektischer Wettlauf gegen die Uhr. Krampfhaft versucht man, allen Ansprüchen gerecht zu werden … So fühlte ich mich während des ganzen Jahres 2002 … Ich war gestresst: mental, körperlich, psychisch.“
Sparks spürte: Das Leben hatte ihn im Schwitzkasten. Und es forderte mehr, als er geben konnte. Er wusste, dass er Urlaub brauchte. Gleichzeitig gab es tausend Gründe, warum eine Auszeit gerade unmöglich war.
Hört sich das vertraut an? Trifft Ditkos Aussage auf Sie zu: Sie sind Ihre Arbeit?
Es gibt Alternativen. Immer mehr Menschen in meinem Umfeld lehnen es ab, sich von den Normen und Erwartungen der Gesellschaft zu Arbeitssklaven machen zu lassen. Sie treffen Vereinbarungen mit ihrem Arbeitgeber, dass sie 80 Prozent der Stunden für 80 Prozent des Lohns arbeiten. Oder 60. Oder 50. Wir leben in einem reichen Land. Das Geld reicht trotzdem für Wohnung, Essen und Kleidung.
Fleiß ist gut. Etwas zu schaffen ist gut. Wenn wir aber die Freude am Arbeiten verlieren, wenn wir bereits am Frühstückstisch die Schultern krümmen, weil wir wissen, dass wir den Tag kaum schaffen werden – dann übersteigt die Arbeitslast das gesunde Maß.
Wir sind nicht unsere Arbeit. Zuallererst sind wir Geschöpfe Gottes, die zum Lieben und Geliebtwerden existieren, zum Entdecken neuer Dinge, zum Schmecken, Fühlen, Riechen, Füreinanderdasein.
Mag sein, dass wir Raumstationen gebaut haben, Wolkenkratzer, Freizeitparks; mag sein, dass wir in Unterseeboten durch die Weltmeere streifen und dass unsere Computer ihre Taktfrequenz alle zwei Jahre verdoppeln. Sind das die Leistungen, die unser Menschsein ausmachen?
Letzten Endes befinden wir uns auf einer Reise hin zu Gott, unserem Schöpfer. Über unsere Gebäude, Geräte und Arbeitserfolge werden wir später nur milde lächeln. Was am Ende zählt, ist allein die Liebe: Dass wir einem Kind über den Kopf gestreichelt haben, einen Kranken gepflegt haben und einem Freund ein guter Freund gewesen sind.