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aa) Koppelungsverbot

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Erwägungsgrund 42 S. 2 Alt. 2 zur DSGVO enthält eine Vermutung, dass eine Einwilligung nicht als freiwillig erteilt „gilt“, wenn die Erfüllung eines Vertrags, einschließlich der Erbringung einer Dienstleistung, von der Einwilligung abhängig gemacht wird, obwohl diese für die Erfüllung nicht erforderlich ist. Diese Formulierung steht jedoch im Widerspruch zum maßgeblichen Art. 7 Abs. 4 DSGVO, wonach diesem Umstand bei der Beurteilung der Freiwilligkeit nur „in größtmöglichem Umfang Rechnung getragen“ werden müsse. Eine Lösung des Konflikts bietet die grundrechtskonforme Auslegung der Verordnung. Danach würde ein absolutes Koppelungsverbot nicht nur die Grundfreiheiten der Verantwortlichen, sich beruflich und unternehmerisch frei zu entfalten,425 über Gebühr beeinträchtigen, sondern auch die Hoheit der Betroffenen, über die eigenen personenbezogenen Daten frei bestimmen und dadurch insbesondere innovative datengetriebene bzw. werbefinanzierte Geschäftsmodelle in Anspruch nehmen zu können.426

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Zu weitgehend ist daher die Interpretation des Europäischen Datenschutzausschusses, nach der Art. 7 Abs. 4 DSGVO sicherstelle, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, um deren Einwilligung ersucht wird, nicht direkt oder indirekt zur Gegenleistung für einen Vertrag werden könne,427 weil personenbezogene Daten generell nicht als handelsfähige Ware anzusehen seien.428 Bestimmt man darüber hinaus das zur Vertragserfüllung Erforderliche aus objektiver Sicht eines vernünftigen Betroffenen ohne gleichrangige Berücksichtigung des Geschäftsmodells des Verantwortlichen,429 liegt die übermäßige Einschränkung der Vertragsautonomie auf der Hand: Telekommunikationsanbieter könnten zum Beispiel einen allein durch E-Mail-Werbung finanzierten Mobilfunktarif nicht anbieten und Betroffene diesen nicht unentgeltlich in Anspruch nehmen, weil die Einwilligung in elektronische Direktwerbung für die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen objektiv nicht erforderlich ist.

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Die Betroffenen fragen solche Produkte in der Realität aber nach und sie sind, vor die Wahl gestellt, auch bereit, mit ihren personenbezogenen Daten anstatt mit Geld zu bezahlen. Das hat mit Zwang nichts zu tun, sondern ist Ausdruck der Selbstbestimmung mündiger Verbraucher, die ihren Niederschlag auch in Art. 3 Abs. 1 S. 2 der EU-Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen430 gefunden hat. Dort wird die Bereitstellung von personenbezogenen Daten oder die Zusage von deren Bereitstellung als Gegenleistung für digitale Inhalte oder Dienstleistungen anstelle einer Geldzahlung anerkannt, auch wenn die Formulierungen im Richtlinientext und den Erwägungsgründen davon geprägt sind, diesen Umstand möglichst nicht beim Namen zu nennen. Das und der erklärte Vorrang der DSGVO431 sind als Kompromissergebnis der kontroversen Diskussionen im EU-Parlament und EU-Rat zu verstehen,432 die letztlich doch in der Erkenntnis gemündet haben, dass datengetriebene Geschäftsmodelle in verschiedenen Formen in einem erheblichen Teil des Marktes auftreten und somit Regelungsbedarf für vertragliche Rechtsbehelfe der Verbraucher in diesem Zusammenhang besteht.433

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Aus diesen Gründen ist das Koppelungsverbot der DSGVO nach hier vertretener Auffassung eingeschränkt zu verstehen.434 Es greift nach dieser Normauslegung erst, wenn die Ablehnung vertraglicher oder vertragsähnlicher435 Angebote wegen Verweigerung oder Widerrufs der Einwilligung einen wesentlichen Nachteil im Sinne eines Zwangs begründen würde, der die Rationalität der Entscheidung ausschaltet und Selbstbestimmung in Fremdbestimmung verkehrt Ob dies zutrifft, ist wertend im Einzelfall zu betrachten und kann etwa vorliegen, wenn dem Betroffenen ein anderer Zugang zu gleichwertigen Leistungen ohne die Einwilligung nicht oder nicht in zumutbarer Weise möglich ist.436 Ein bloßes Anlocken durch Versprechen einer Vergünstigung wie etwa der Teilnahme an einem Gewinnspiel soll nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main jedenfalls nicht ausreichen, weil der Verbraucher selbst entscheiden könne und müsse, ob ihm die Teilnahme die Preisgabe seiner Daten wert ist.437 Auch für den Generalanwalt beim EuGH Szpunar ist eine solche Koppelung unbedenklich. Nach seiner Auffassung bestehe in dieser Konstellation die Hauptpflicht des Teilnehmers darin, seine personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen, so dass die Verarbeitung für die Teilnahme am Gewinnspiel erforderlich im Sinne des Art. 7 Abs. 4 DSGVO sei.438

Praxishinweis

Es ist dennoch Vorsicht bei Anreizen für Einwilligungen geboten. Der Europäische Datenschutzausschuss fordert für einen Nachteil im Sinne des Erwägungsgrunds 42 S. 5 zur DSGVO zwar einerseits „beträchtliche“ negative Folgen, lässt auf der anderen Seite aber offenbar jegliche unvorteilhafte Auswirkung bei Verweigerung oder Widerruf der Einwilligung genügen, um deren Freiwilligkeit in Frage zu stellen. So soll etwa ein beachtlicher Nachteil schon vorliegen, wenn der betroffenen Person überhaupt Kosten entstehen oder ein Vorteil wie ein Preisnachlass nicht (weiter-)gewährt wird.439 Auch wenn bloße Unannehmlichkeiten in der Realität regelmäßig kaum geeignet sein dürften, bei betroffenen Personen Zwang hervorzurufen, ist vor höchstrichterlicher Klärung nicht zu erwarten, dass die nationalen Aufsichtsbehörden von diesem weiten Verständnis des Nachteilsbegriffs erheblich abweichen werden. Um die Wirksamkeit eingeholter Einwilligungen nicht zu gefährden, ist es daher ratsam, auf Anreize vorerst komplett zu verzichten oder bei etwas mehr Risikobereitschaft entsprechend gewonnene Einwilligungen im Rahmen der Dokumentation zumindest zu kennzeichnen, damit sie identifiziert werden können, falls rechtskräftig festgestellt würde, dass man sich auf sie mangels Freiwilligkeit nicht mehr berufen darf. Im Übrigen sollten Vertragsschlüsse möglichst nicht von Einwilligungen in die Datenverarbeitung abhängig gemacht werden. Wenn die Datenverarbeitung für einen Vertrag erforderlich ist, existiert mit Art. 6 Abs. 1b DSGVO in der Regel bereits eine hinreichende Erlaubnis. Etwas anderes gilt nur, wenn die Möglichkeit, die Datenverarbeitung allein über vertragliche Erforderlichkeit zu rechtfertigen, fehlt.440

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