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d) Zurechnung
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Bejaht man ein pflichtwidriges Unterlassen, so ist auch die Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung anzunehmen. Vorgezeichnet ist dann zugleich die Annahme einer Fahrlässigkeit i. S. v. § 276 II BGB. Das Verschulden des F ist auch kausal für den Schaden des A. Gleichwohl kann man die Frage aufwerfen, ob ihm die Rechtsgutsverletzung im haftungsrechtlichen Sinn zurechenbar ist. Der Brand entstand erst durch die Verkettung unglücklicher Umstände. Dazu haben sowohl A selbst als auch ein unbekannter Dritter, der den Zigarrenstummel auf den Boden der Straßenbahn warf, erheblich beigetragen.
Dieses gefahrträchtige Verhalten führt aber nicht zu einem Ausschluss der Zurechnung. Der Schädiger kann sich seiner Haftung grundsätzlich nicht entziehen, nur weil andere Personen und der Geschädigte selbst ebenfalls Ursachen für den Schaden gesetzt haben.[20] Ein Fehlverhalten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang in der Regel nicht. Nur bei vorsätzlichem Verhalten des Dritten oder des Geschädigten wird ein sogenanntes Regressverbot diskutiert.[21] Aus der Mitverursachung der Verletzung durch einen Dritten kann sich lediglich eine zusätzliche Haftung dieses Dritten ergeben, der dann gegebenenfalls mit F als Gesamtschuldner nach § 840 BGB haftet. Da die Identität des Rauchers unbekannt ist und die Haltestelle menschenleer war, erscheint eine Verfolgung der Ansprüche gegen diesen aber von vornherein aussichtslos.
Vgl. zum Dazwischentreten des Verhaltens Dritter den Fall 6 „Erkerzimmer“.
Für die Zurechnung ist ferner erforderlich, dass die Rechtsgutsverletzung adäquat ist. Da der Geschehensablauf jedenfalls nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung ist, kann dies ohne längere Ausführungen bejaht werden.
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Vertiefungshinweis:
Das Adäquanzkriterium dient der Rechtsprechung als Einschränkung der „naturwissenschaftlichen“ Kausalität nach der Äquivalenztheorie. Hintergrund ist letztlich, dass die Haftung für Schäden ein unübersehbares Maß annehmen könnte, wenn man Personen für all das verantwortlich macht, was man naturwissenschaftlich als Folge ihres Handelns betrachten kann.[22] Die Adäquanztheorie wird unterschiedlich formuliert.[23] Die gängigste Formel lautet: „Das Ereignis muss im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen.“[24]
Studierende, insb. Anfänger, überschätzen die Reichweite dieser Einschränkung der Äquivalenztheorie regelmäßig. Nach der Rechtsprechung ist eine objektive, nachträgliche Prognose über die Gefahrenlage abzugeben. Dabei sollen alle einem optimalen Betrachter zum maßgeblichen Zeitpunkt erkennbaren Umstände berücksichtigt[25] und alles zur Verfügung stehende Erfahrungswissen herangezogen werden.[26] Adäquate Kausalität wurde etwa angenommen bei Impfschäden, obgleich die Schadenswahrscheinlichkeit geringer als 0,01 % war.[27] Es handelt sich hier um ein Kriterium zur Bestimmung der äußersten Grenzen der Zurechnung (ein unterhaltsames Beispiel: Verletzung einer aufgeschreckt vom Kratzbaum springenden Hauskatze durch nächtlich eingehendes Fax ist kein adäquat kausaler Ursachenzusammenhang[28]).
In der Literatur wird die Adäquanzprüfung mit gewichtigen Argumenten teilweise als vollkommen überflüssig angesehen.[29] Sie sei zur Begrenzung der Haftung kein sinnvolles Kriterium,[30] die Rechtsprechung habe kein einheitliches Modell der Adäquanz entwickeln können, und die wenigen Fälle, die mit diesem Kriterium gelöst würden, ließen sich auch durch entsprechende Anwendung der Lehre vom Schutzzweck der Norm bewältigen.[31] Die dogmatisch gewichtigen Argumente der Gegner der Adäquanztheorie sind in einer juristischen Klausur jedoch in aller Regel entbehrlich. Ob eine Haftungseinschränkung für einen konkreten, bei Zweifeln an der Adäquanz ohnehin mit Ausnahmecharakter versehenen Vorgang über die Adäquanztheorie oder über die Lehre vom Schutzzweck der Norm erfolgt, hat kaum praktische Bedeutung und kostet im Zweifel dringend anderweitig benötigte Bearbeitungszeit. Zudem sprechen praktische Erwägungen durchaus für eine Beibehaltung der tradierten Kriterien von mittlerweile mehr als 100 Jahren Rechtsprechung.[32]