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a) Schuldverhältnis
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Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 I 1 BGB setzt zunächst ein bestehendes Schuldverhältnis voraus. In Betracht kommt hier ein Beförderungsvertrag zwischen A und der S-AG. Ob ein solcher Vertrag zustande kam, obwohl A keine Fahrkarte löste, bedarf eingehender Prüfung.
Straßenbahnfahrten gehören zum Massenverkehr. Die Leistung wird durch die Fahrgäste regelmäßig in Anspruch genommen, ohne dass es zu einem ausdrücklichen Vertragsschluss kommt. Für solche Fälle wurde ehemals die Lehre vom faktischen Vertrag entwickelt, nach der ein Vertrag schon durch das tatsächliche Verhalten zustande kommen soll, ohne dass es auf korrespondierende Willenserklärungen ankäme. Die Konstruktion eines Schuldverhältnisses durch sozialtypisches Verhalten beruht auf demselben Gedanken. Auf diese Weise können Verträge im Massenverkehr sogar mit Geschäftsunfähigen begründet werden. Dies ist zugleich einer der Kritikpunkte, die dazu führten, dass die Lehre heute kaum noch vertreten wird. Das Regelungsmodell des BGB baut darauf auf, dass ein Vertrag als privatautonomes Rechtsgeschäft durch Angebot und Annahme, d. h. durch zwei korrespondierende Willenserklärungen zustande kommt. Die Lehre vom faktischen Vertrag bzw. sozialtypischen Verhalten verstößt gegen die Grundsätze der Privatautonomie, unterläuft den Schutz der Minderjährigen und Geschäftsunfähigen und erweist sich obendrein als sachlich überflüssig.[48]
Ein Rückgriff auf den faktischen Vertrag ist auch im vorliegenden Fall entbehrlich. Das Bereitstellen der abfahrbereiten Straßenbahn kann zwanglos als konkludentes Angebot der S-AG zum Abschluss eines Beförderungsvertrags ausgelegt werden (§§ 133, 157 BGB). Man spricht von einer Realofferte. Es handelt sich um ein Angebot an die Allgemeinheit, eine Offerte ad incertas personas. Die tatsächliche Inanspruchnahme durch den Fahrgast stellt die konkludente Annahme dar, deren Zugang regelmäßig nach § 151 S. 1 BGB entbehrlich ist.[49] Darauf, dass A vergessen hatte, am Automaten eine Fahrkarte zu erwerben, kommt es deshalb überhaupt nicht an.
Der Vertragsschluss scheitert auch nicht daran, dass die Willenserklärung des A nach § 105 II BGB nichtig wäre. Insofern gelten die vorstehenden Hinweise zur Mitverschuldensfrage (§ 254 BGB) sinngemäß. Der Alkoholisierungsgrad ist nicht so hoch, als dass man einen Zustand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit annehmen könnte.
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Vertiefungshinweis:
Schwieriger ist die Konstruktion des Vertragsschlusses, wenn ein Fahrgast bewusst das Beförderungsentgelt nicht bezahlt. Als Schulbeispiel für die Konstellation eines solchen ausdrücklichen Widerspruchs gegen einen (konkludenten) Vertragsschluss bei gleichzeitiger Inanspruchnahme der Leistung gilt der „Hamburger Parkplatzfall“.[50] Die Stadt Hamburg hatte einen vormals im Gemeingebrauch stehenden Parkplatz verpachtet. Eine Bürgerin, die diesen Platz regelmäßig nutzte, weigerte sich ausdrücklich gegenüber dem Kassierer, eine Gebühr zu entrichten. Der BGH fingierte mit Hilfe der Lehre vom faktischen Vertrag ein Schuldverhältnis und verurteilte zur Zahlung.[51] Ein Teil der Lehre zog für diese Fallkonstellation den Rechtsgrundsatz der protestatio facto contraria non valet (lat. für: ein dem Handeln widersprechender Vorbehalt genügt nicht), eine spezielle Ausprägung von Treu und Glauben (§ 242 BGB), heran. Dieser Grundsatz schränkt die Privatautonomie insoweit ein, als es einem selbstwidersprüchlich Handelnden verwehrt bleibt, einseitig die Folgen seines Handelns zu bestimmen. Vertreten wurde diese Konstruktion insb. von Medicus in älteren Auflagen seines Lehrbuchs zum Allgemeinen Teil.[52] Auch der BGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2000 diesen Grundsatz angewandt.[53] Letztlich wird auf diese Weise aber ein klar geäußerter Rechtsfolgenwille ignoriert, was mit der Privatautonomie schlechthin nicht vereinbar ist. Wird eine Gegenleistung für die Fahrt bewusst nicht erbracht, spricht viel dafür, einen Vertragsschluss abzulehnen. In Betracht käme bei Schäden oder Verletzungen des Fahrgasts eine Haftung aus culpa in contrahendo nach §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB. Zu bedenken bleibt dann aber, dass der Vertragsschluss am vorwerfbaren Verhalten des Fahrgasts scheitert, der keine Fahrkarte löst. Es erscheint problematisch, diesem zu einem quasivertraglichen Anspruch zu verhelfen. Es lässt sich eine Parallele zu dem Fall ziehen, dass sich jemand nur zum Aufwärmen in einem Geschäft aufhält. Auch eine solche Person, die einen Laden nicht zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte betritt, hat keinen Anspruch aus cic, wenn sie in dem Geschäft zu Schaden kommt.[54] Eine andere Überlegung ist es, den Vertragsschluss bei Beförderungen an den Erwerb der Fahrkarten anzulehnen. Das Angebot läge dann im Aufstellen des Fahrkartenautomaten, das Lösen einer Fahrkarte wäre die Annahme. Ein Vertragsschluss würde dann jedoch auch bei dem Fahrgast scheitern, der lediglich versehentlich keine Fahrkarte gelöst hat. Unter Umständen wäre bei dem fahrlässig handelnden Fahrgast ein Anspruch aus cic denkbar. Die Konstruktion über eine Realofferte erscheint freilich eleganter und ohne dogmatische Folgeprobleme.