Читать книгу Das dreizehnte Sternbild - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 11
ОглавлениеAm selben Abend um 23.00 Uhr saß Cato Isaksen mit Georg im Arm im braunen Sessel. Der Kleine wollte nicht schlafen. Gard und Vetle hatten sich gerade auf die Matratzen im Gästezimmer gelegt. Cato fiel plötzlich ein, daß er vergessen hatte, sich nach Vetles Fußballspiel zu erkundigen, zu fragen, ob seine Mannschaft gewonnen oder verloren habe. Sigrid, die noch immer sauer war, kam aus der Küche. Sie musterte die beiden im Sessel und versuchte, etwas zu empfinden. Eine Art Wärme oder eine Art Ruhe bei dem Anblick von Vater und Sohn, aber das gelang ihr nicht. »Setz dich doch ein bißchen«, sagte Cato und gähnte. Sigrid dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf und sagte, sie wolle lieber schlafen gehen.
Cato blieb sitzen und lauschte ihren Geräuschen im Badezimmer. Dem Wasser, das ins Waschbecken floß, den Spritzern im Becken, dem leisen Klatschen ihrer nackten Füße auf dem Fußboden. Sie zog leise die Tür hinter sich zu. Er lächelte sie an. Sie beugte sich über seine Schulter und streichelte Georgs Wange. Danach verschwand sie im Schlafzimmer. Sie erwiderte sein Lächeln nicht. In der Luft hinterließ sie einen schwachen Chlorgeruch.
Georg sah mit ernstem, blankem Blick zu ihm auf, einem Blick, wie ihn nur kleine Kinder haben. »Woran denkst du jetzt?« fragte sein Vater und streckte die Hand nach einem Buch aus, das auf dem Fernseher lag. Es war das »Buch der Fragen« von Edmond Jabès. Er war gerade mit »Diamantenland« von Wilbur Smith fertig. Aber dieses neue Buch, von dem er nicht wußte, woher sie es hatten, war anders. Eine seltsame Mischung von religiöser Philosophie und ausgesprochenen Wahrheiten. Nach und nach verlierst du deinen Körper. Weil du in die Nacht hineingehst. Er blätterte ein wenig hin und her und las weiter, während Georgs molliges Babyhändchen genau an seinem Herzen am Hemd seines Vaters zog.
Du bist der Schnee, der im April schmilzt. Ich bin das Fieber. Ich bin die Sonne. Ich hasse das Wasser und die Leichenhemden. In letzter Zeit spürte Cato in sich eine Veränderung. Was ihn verwirrte, war, daß er nicht wußte, worauf diese Veränderung hinauslief. Wenn er in diesem Buch las, hatte er das Gefühl, daß sich die Wahrheiten in ihm zu einem klaren Bild zusammenfügten. Aber danach war er dann nur verwirrter. Er begriff nicht, was mit ihm geschah. Das Gefühl, daß die Schwere, die ihn nach unten zog, für kurze Zeit zu Luftströmungen wurde, die ihn nach oben holen wollten, beunruhigte ihn. Er richtete seinen Blick auf einen Punkt an der Wand. Danach senkte er den Kopf und las weiter. Während er las, schlief das Kind in seinen Armen ein.
Gard lag auf der Matratze. Der dicke Lichtstreifen, der unter der Tür hindurchströmte, lag wie ein helles Band im dunklen Zimmer. Der Vater beugte sich über seinen ältesten Sohn und breitete die Decke, die halb auf den Boden gerutscht war, wieder über ihn. Vetle hatte Dreck an der einen Wange. Der stammte wahrscheinlich noch vom Fußballspiel.
Gard schnarchte leise und gleichmäßig vor sich hin. Cato Isaksen betrachtete den leichten Flaum auf seiner Oberlippe. Der Junge würde im Mai konfirmiert werden. Die Zeit legte ein Bild auf das andere und lief weg. Es machte ihn traurig, an die Zeit zu denken. Das Gefühl von Verrat kam in ihm auf. Er wußte nicht, ob es von der Zeit oder seiner eigenen Ohnmacht ausgelöst wurde.
Leise verließ er das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Seine Söhne gehörten auf eine schmerzhafte Weise ins Gästezimmer. Es kam ihm nicht richtig vor. Er fühlte sich ihnen sehr nah, wenn sie schliefen. Die beiden Jungengesichter wirkten so entspannt, es war leichter, mit ihnen umzugehen.
Vorhin, als er neben ihnen gestanden hatte, hatte er versucht, seine Söhne mit Sigrids Augen zu sehen. Als Fremdkörper. In letzter Zeit war ihm langsam bewußt geworden, was er ihnen wirklich angetan hatte. Er stand im Wohnzimmer und dachte nach, während alle anderen schliefen. Alle schliefen. Er mußte auch schlafen. Vor ihm lagen anstrengende Tage. Plötzlich sah er die Leiche in der Wohnung im Trudvangvei vor sich. Ihm grauste vor den Ermittlungen, und er ahnte schon, daß die sehr lange dauern würden.
Er mußte versuchen, etwas in sich selber wiederzufinden, das ihm Ruhe geben, das aus Nächten wie dieser eine ganz normale Nacht machen könnte.
Es kam ihm plötzlich unmöglich vor, in dieser Wohnung zu bleiben. Er bekam keine Luft. Er hörte draußen ein großes Auto vorbeifahren. Er dachte an die Straße und gab sich alle Mühe zu atmen. Die Stille, die das Auto hinterließ, drückte gegen sein Trommelfell.