Читать книгу Das dreizehnte Sternbild - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 16
ОглавлениеBente Isaksen kniete in dem kleinen Garten vor dem Krokusbeet. Den niedrigen Zaun hatte Cato kurz nach ihrem Einzug hier aufgestellt. Die grünen spitzen Tulpenblätter bohrten sich jetzt ihren Weg aus der schwarzen Erde. Bente Isaksen trug Gartenhandschuhe aus kleingeblümtem Stoff. Unter ihren Knien lagen zwei Plastiktüten aus dem Supermarkt. Langsam und vorsichtig, um die Frühlingsblumen nicht zu beschädigen, entfernte sie die Tannenzweige, die sie im Herbst zum Schutz über das Beet gelegt hatte. Sie hatte lange mit dem Gedanken gespielt, ihren Namen wieder anzunehmen, Lind. Wieder Bente Lind zu werden. Sie schnaubte, niemals würde sie wieder Bente Lind sein können, weder mit Namen noch in ihrer Seele. Außerdem wollte sie so heißen wie ihre Söhne. Was immer sie tat, alles kam ihr falsch vor. Sie kam sich vor wie ein auf Abwege geratener Brief. Ein Brief, den niemand las. Mit wem zum Teufel sollte sie denn sprechen?
Bente hatte Cato seit Wochen nicht gesehen und auch so gut wie nicht mit ihm telefoniert. Der Kontakt existierte nur direkt zwischen Gard und Vetle und ihrem Vater. Am letzten Mittwoch hatte eine dieser schmerzlichen, hastigen Begegnungen stattgefunden, die Jungen waren gerade noch rechtzeitig bei ihrem Vater eingetroffen, um ins Bett zu gehen. Um dann am nächsten Morgen früh geweckt und zur Bahn gefahren zu werden. Bente beschloß, mit Cato zu sprechen. Sie wußte nicht so recht, wie sie es sagen sollte, oder wie er es aufnehmen würde, aber sie wollte vorschlagen, diese schrecklich stressigen Besuche am Mittwoch aufzugeben, die ihre Jungen nur noch trauriger und trotziger machten. Sie konnten auch Sigrid nicht leiden. Fanden sie kalt und abweisend, sagten, sie rede fast nicht mit ihnen. Und dann das Baby, das fast nur quengelte und weinte. Die armen Jungen, dachte Bente gereizt und zog so hart an einem Tannenzweig, daß ein Krokus aus der Erde gerissen wurde, und seine kleine gelbe Zwiebel in der Luft baumelte. »Ich hasse dich, Cato«, murmelte Bente Isaksen. Sie war nicht auf das trockene Schluchzen vorbereitet, in das sie nun ausbrach. Sie schleuderte die Zwiebel auf den braungelben Rasen.
Danach saß sie mit einer Tasse Tee am Küchentisch. Vor dem Fenster spielten auf dem Spielplatz ein paar Kinder. Sie dachte daran, wie schön es früher für die Jungen gewesen war, direkt vor dem Küchenfenster einen Spielplatz zu haben. So oft hatte sie hier gesessen und sie durch das Fenster bewundert. Sie hatte irgendwo gelesen, daß Mütter zu ihren Söhnen eine ganz besondere Beziehung entwickeln können. Sie hätte für ihre sterben können. Was Cato gemacht hatte, war unverzeihlich. Was sie jetzt in den Gesichtern der Jungen las, war Verzweiflung, Enttäuschung und Bitterkeit. Sie hatte Angst vor dem, was die Jungen anstellen könnten. Gard spielte jetzt nicht mehr Fußball. Er behauptete, keine Lust mehr zu haben. Manchmal schien er einfach zu verschwinden, wenn er abends vor dem Fernseher herumlungerte. Sie glaubte nicht, daß er sah oder hörte, was auf dem Bildschirm vor sich ging. Und dann konnte er plötzlich aufspringen und seine Jacke überstreifen. Und verschwinden, ohne auch nur »bis nachher« zu sagen.
Bente mußte zum Abenddienst ins Pflegeheim. Die Jungen schliefen also wieder allein. Erst am nächsten Wochenende würden sie Cato wieder besuchen. Jedes zweite Wochenende, und jeden Mittwoch. Bente seufzte. Bisher war es gutgegangen, die Jungen nachts allein zu lassen. Sie mußte ab und zu eine zusätzliche Schicht einlegen, um mit dem Geld auszukommen. Sie wußte nicht so recht, was Gard machte, ob er sich Besuch ins Haus holte, und wenn ja, wen. Aber sie verließ sich darauf, daß er seinen Bruder nicht allein ließ.
Wenn sie die alten Menschen ansah, fühlte sie sich seit einiger Zeit zu deren hohem Alter hingezogen. Obwohl sie alle Rechte auf dieser Welt eingebüßt hatten. Sie gehörten nicht einmal mehr sich selber. Sie mußten zu einer bestimmten Uhrzeit schlafen gehen und dann zu einer bestimmten Zeit wieder aufstehen. Sie mußten essen, was ihnen vorgesetzt wurde, und sie durften nicht rauchen oder trinken. Durften nicht lieben oder verreisen. Sie hatte ihnen nicht viel zu sagen. Ab und zu empfand sie Unbehagen, wenn sie die vertrockneten Gesichter sah, die Runzeln, wenn sie sie roch. Wenn sie sah, wie der Tod mit ihnen zu flirten schien. Aber in letzter Zeit hatte Bente gemerkt, daß sie sich von diesem hohen Alter angezogen fühlte. Wie gut, zu wissen, daß man irgendwann in der Zukunft aufgeben, allem seinen Lauf lassen könnte.
Bente Isaksen stand auf und spülte ihre Tasse aus. Auf dem Küchentisch lag eine Illustrierte mit dem Bild einer Farbigen in rotem Hosenanzug. Sie schaltete das Radio ein, und eine Stimme sagte: ». . .die dunklen Tage lieben, die dampfenden Hügel . . .« Gleichzeitig fing das Telefon an zu klingeln.