Читать книгу Das dreizehnte Sternbild - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 24
ОглавлениеAuf dem Heimweg am Montagnachmittag überkamen Cato Isaksen bohrende Kopfschmerzen, es war fast schon ein Migräneanfall, der sich mit heftigem Stechen von der einen Seite seines Kopfes her wie spitze Metalldrähte in seine Stirn bohrte. Er schaltete das Autoradio aus, in dem Bob Marleys Musik gerade einer harten Nachrichtenstimme gewichen war. Er mußte anhalten und blieb am Straßenrand gleich bei der Ampel vor dem Autonomenzentrum stehen. Er drehte den Motor aus und lehnte die Stirn aufs Lenkrad, während er spürte, wie der Brechreiz in Wellen aus seinem Magen den Hals hochrollte. Außerdem war er in die falsche Richtung gefahren. Was wollte er bei den Autonomen? Cato Isaksen merkte, wie die Angst seinen Brustbereich umklammerte. Unsere Brust ist unser Gefängnis. Unsere Rippen sind die Eisenstangen, die verhindern, daß wir ersticken.
Er taumelte aus dem Wagen. Die scharfe Frühlingsluft umschloß ihn und erleichterte ihm das Atmen. Eine Frau, die ihm auf dem schmutzigen Bürgersteig entgegenkam, hielt seinen Blick gefangen, als ob sie glaubte, er brauche Hilfe. Cato Isaksen wandte sich abweisend ab, und die Frau ging ruhig weiter. Er starrte zu der schreienden Munch-Frau oben an der heruntergekommenen Mauer hoch. Was hatte Bergliot Behrens aus ihrem Wohnzimmer entfernt?
Der stechende Schmerz in seinem Kopf verschwand so schnell, wie er gekommen war. Er wich einer plötzlichen Wut. Jetzt wollte er der Alten wirklich keine Ruhe mehr gönnen! Schließlich lag bei ihr vielleicht der Schlüssel zur Lösung.
Er stieg rasch wieder ins Auto, ließ den Motor an und fuhr schnell und genervt an der Nationalgalerie vorbei, dann am Schloß und weiter durch die Bygdøyallé. Weiter unten bog er nach rechts ab und fuhr am Frognerpark vorbei über die Majorstu-Kreuzung, bis er denn endlich im Trudvangvei einen freien Parkplatz fand.
Er lehnte am Türrahmen, als eine überrasche Bergliot Behrens langsam die Tür öffnete. Der Geruch von altem Mittagessen strömte aus der Wohnung.
»Ich will eine Antwort!« Cato Isaksen kam direkt zur Sache. Seine Kopfschmerzen hatten sich wirklich gelegt und etwas anderem Platz gemacht, einer wehen Müdigkeit, die ihn gereizt machte. Er gab zu verstehen, daß er in die Wohnung wollte. Die alte Dame öffnete unwillig die Tür und löste nervös die Bänder ihrer schmutzigen Schürze.
Cato Isaksen ging ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren aufgezogen. Er trat vor das unordentliche Bücherregal. »Sagen Sie mir, warum Sie hier etwas weggenommen haben, Sie wissen, was ich meine«, sagte er und starrte die Frau an, deren Miene sich plötzlich veränderte. Es war ein seltsamer Anblick. Ihr Körper schien in sich zusammenzusinken, ihr Rücken wurde noch krummer. Sie stand ganz still da und hielt die verschossene Schürze in der Hand. Zog den Stoff nervös zwischen ihren verkrümmten Fingern hin und her. Sie seufzte tief, ließ die Schürze auf einen Stuhl fallen und war den Tränen nahe, als sie sich umdrehte und wieder in die Diele trottete. Sie öffnete eine Tür. Cato Isaksen konnte dahinter ein Bett erkennen. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte er sich vor, daß Cheryl Therkelsen und ihre Kinder aus dem Schlafzimmer zum Vorschein kommen würden.
Bergliot Behrens schloß leise wieder die Schlafzimmertür und brachte ihm ein kleines gerahmtes Bild.
»Ich dachte nicht, daß Ihnen das auffallen würde. Ich hatte auch keine Ahnung, daß es wichtig ist. Ich wollte einfach in nichts hineingezogen werden.«
Cato Isaksen nahm das kleine Foto mit dem rosa Plastikrahmen an. Das Bild zeigte Bergliot Behrens und eine junge blonde Frau. Vermutlich war es auf einer Bank unten im Hinterhof aufgenommen worden. Die Fliederbüsche im Hintergrund wiesen auf Sommer hin.
»Das ist vom vorigen Sommer«, sagte die alte Dame und ließ sich müde in den Sessel sinken, in dem sie auch während ihrer letzten Gespräche gesessen hatte.
»Das ist Cheryl Therkelsen, nicht wahr?« Cato Isaksen setzte sich aufs Sofa.
»Das ist Cheryl Therkelsen«, erwiderte Bergliot Behrens müde.
Cato Isaksen fiel das warme Lächeln beider Frauen auf dem Bild auf. Aus Cheryls Augen strahlte ein humoristischer Glanz. Bergliot Behrens wirkte zufrieden und ruhig. Die Frauen lehnten sich aneinander an, wie in einer symbiotischen Zusammengehörigkeit.
»Sie sind gute Freundinnen?«
Die Frau nickte. »Sie war wirklich ein Lichtblick für mich. Wir haben oft im Hinterhof zusammen Kaffee getrunken, während ihre Kinder im Sandkasten spielten.«
»Sie sagen ›war‹?«
Bergliot Behrens traten die Tränen in die Augen. »Ja, jetzt wird das doch sicher alles viel schwieriger.«
»Was wird schwieriger?«
»Na, wenn sie ins Gefängnis kommt. Und was ist mit ihren Kindern, denkt überhaupt irgendwer an die? Sie müssen doch begreifen, daß er es nicht besser verdient hatte.« Der Gesichtsausdruck der alten Frau veränderte sich. »Er war ein Teufel. Nicht, daß Cheryl das offen gesagt hätte, aber Herrgott, ich bin doch nicht taub. Sie hätten mal hören sollen, wie er gewütet hat, getobt hat er und geschrien. Und wie er sie geschlagen hat! Mehrere Male hätte ich ihn fast angezeigt. Aber das war nicht so leicht«, fügte sie hinzu, vielleicht, um sich selber zu überzeugen. »Einmal ist sie mitten in der Nacht mit den Kindern hier angerannt gekommen. Er hatte ihr so viele Haare ausgerissen, daß sie blutete. Das ist einige Monate her.«
Cato Isaksen betrachtete das Bild. Er konnte sich nicht erinnern, es schon einmal gesehen zu haben. »Wo hat es gestanden?« fragte er. Die Frau zeigte auf das Bücherregal. »Neben den alten Zeitungen«, sagte sie.
»Aber warum wollten Sie verbergen, wie gut Sie Cheryl Therkelsen kennen?«
Bergliot Behrens Blick traf seinen. Ihrer war hilflos. »Ich fand es so unerträglich, was dieser Mann für ein Tyrann war«, sagte sie. »Aber daß Cheryl ihn wirklich umgebracht hat!« Sie schüttelte langsam den Kopf und starrte wie in Trance auf einen Punkt über Catos Kopf.
»Sie wollten verbergen, daß Sie Cheryl für die Mörderin halten, ist das so?«
Die Nachmittagssonne fiel als staubiger Kegel durch das Fenster und legte sich wie zufällig über die Schultern der alten Frau. »Doch, das ist wohl so«, murmelte sie traurig. »Und wenn es so ist, dann fühlte ich mich auch schuldig. Wenn ich doch nur etwas unternommen hätte, ehe es zu spät war! Vergessen Sie nicht, Herr Kommissar, daß Cheryl aus Amerika kommt. Sie hat keine Familie hier, die ihr helfen könnte. Ich weiß ja, daß sie Freundinnen hat, aber . . .«
»Und als Sie gesagt haben, auch sie, also Cheryl Therkelsen, hätte tot sein können, da wollten Sie eigentlich sagen, daß es wahrscheinlicher gewesen wäre, wenn er Cheryl bei einer ihrer vielen Auseinandersetzungen umgebracht hätte.«
»Das hätte mich wirklich nicht gewundert. Er war doch schließlich stärker. Aber wissen Sie überhaupt, was es für ein Gefühl ist, im Bett zu liegen und dabei immer wieder verzweifelte Schreie und Hilferufe von oben zu hören? Am Ende war es so schlimm, daß ich auch glaubte, Heulen und Lärm und Füßestampfen zu hören, wenn sie sich gar nicht stritten. Phantomgeräusche, wird das nicht so genannt? Als sie einmal verreist waren, glaubte ich auch, oben Geräusche zu hören. Verstehen Sie, ich hatte fast nie Ruhe. Das hat mich krank gemacht.«
Cato Isaksen nickte verständnisvoll.
»Wie oft haben sie sich gestritten?«
Bergliot Behrens zuckte traurig mit den Schultern. »Einmal im Monat vielleicht, manchmal häufiger, manchmal seltener, aber immer gleich laut.«
Er ließ sich auf dem Sofa zurücksinken. »Haben Sie an dem betreffenden Tag etwas gehört?« fragte er, »am 13. oder 14. April, am vergangenen Samstag oder Sonntag?«
Die Frau starrte den Boden an. »Ich habe lautes Dröhnen gehört«, sagte sie leise, »ich glaube, es war am Sonntag, weil die Fernsehnachrichten bis acht Uhr gedauert haben. Es war ein schreckliches Dröhnen, gerade, als die Ansagerin im Bild war. Aber es hat sich schnell wieder gelegt. Und deshalb dachte ich, ich hätte mich sicher verhört. Aber am Vortag, am Samstag also, da war es noch schlimmer. Da haben sie bis spätnachts weitergemacht. Ich glaube, ich bin erst so gegen drei eingeschlafen.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wo Cheryl Therkelsen stecken könnte?« fragte Cato Isaksen und fügte hinzu, »und ich warne Sie, diesmal wird es viel ernsthaftere Konsequenzen haben, wenn Sie der Polizei etwas verheimlichen.«
Die Frau blickte ihn aus ihren müden Augen an. Ihr Gesicht war womöglich noch runzliger als am Vortag.
»Nein«, sagte sie leise und schlang die dünnen Finger umeinander, wie zu einem Knoten. »Ich weiß nicht, wo Cheryl und die Kinder wohl stecken könnten.« Ihre Augen bewegten sich nicht. Sie hingen an einer beschnittenen Topfblume auf der Fensterbank fest.