Читать книгу Das dreizehnte Sternbild - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 19
ОглавлениеSigrid verpaßte dem Kleinen eine trokkene Windel und legte ihn im Laufställchen auf den Rücken. Der Junge lächelte, schnappte sich ein Gummispielzeug und lutschte daran herum. Sigrid warf die benutzte Windel in den Abfalleimer unter dem Waschbecken. Danach wusch sie sich sorgfältig die Hände und öffnete den Kühlschrank. Es war Samstagnachmittag. Cato hatte angerufen, um zu sagen, daß er wohl in zwei Stunden Feierabend machen könne. Sie nahm das Hähnchen, die Packung mit tiefgefrorenen Garnelen, die Büchse mit Ananas, das Netz mit Schalotten, die Tüte Erdnüsse und die Sojasoße heraus. Dann suchte sie im Küchenschrank nach der Packung Basmati-Reis und Uncle Ben’s süßsaurer Soße.
Als Cato anderthalb Stunden später nach Hause kam, duftete es bis ins Treppenhaus. Ihm lief das Wasser im Munde zusammen, als er die Tür aufschloß.
»Das riecht aber gut.« Er lächelte und streifte seine Schuhe ab.
»Ich habe uns etwas Leckeres gekocht, und Georg war den ganzen Tag brav. Ich glaube, er wird jetzt langsam pflegeleichter«, sagte Sigrid und sah ihren Mitbewohner an. »War’s ein anstrengender Tag?«
Er nickte und warf einen Blick auf sein müdes Spiegelbild.
»Wir machen einen Wein auf«, sagte Sigrid, ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer, öffnete die Kommode und bückte sich nach einer Rotweinflasche.
Cato sah ihr zu. Ihr Rückgrat zeichnete sich unter der dünnen graublauen Bluse ab. Ihre Nackenhaut war milchweiß. Er wußte nicht so recht, warum, aber jedenfalls hatte er ihr gegenüber immer auf irgendeine Art ein schlechtes Gewissen. Als habe er sie in eine Situation gelockt, die sie nicht verdient hatte. Als habe er ihr einen nicht mehr jungen, langweiligen Polizisten mit einer zweiten Familie in petto aufgehalst. Einen Mann, der nicht einmal so genau wußte, was er für sie empfand. Die Geburt hatte sie fast umgebracht, und das Kind hatte von Anfang an unregelmäßig geschlafen. Weil es ihr so starke Schmerzen verursachte, das Kind zu tragen, mußte sie zweimal die Woche schwimmen gehen. Und er konnte sie nur selten entlasten. Im Morddezernat der Osloer Polizei wurde eben nicht um sechzehn Uhr Feierabend gemacht.
Beim Essen sah Sigrid ihn an. Sie hatte im Gesicht und auf den Händen leichte Sommersprossen. »Ich dachte, wir könnten an einem Wochenende mal zur Hütte fahren, wir waren doch im Herbst zuletzt dort.«
Cato seufzte tief. »Ich kann nur schwer freimachen, solange der Fall nicht aufgeklärt ist«, sagte er. Er mochte das alte Ferienhaus nicht, das mitten im dunklen Tannenwald lag. Er fand, daß es in den beiden Schlafzimmern nach Schimmel roch.
Sie seufzte unhörbar. Riß sich dann deutlich zusammen, um ihm keine saure Bemerkung aufzutischen. »Und wie läuft die Sache?« fragte sie und füllte noch einmal sein Glas.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Cato Isaksen nahm sich noch ein Stück Fleisch. »Es sind neue Aspekte dazugekommen.«
»Ach.« Sigrid stand auf und schloß die Tür zum Wohnzimmer. Georg war auf dem Rücken im Laufställchen eingeschlafen. Er sah aus wie eine Puppe, wie er so mit neben dem Kopf ausgestreckten Armen dalag.
»Aber ist das nicht gut – ich meine, die neuen Aspekte? Bringt euch das denn nicht weiter?«
Er zuckte müde mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Wir haben zwei Zettel gefunden, unter zwei verschiedenen Leichen, an zwei verschiedenen Stellen in Oslo. Mit derselben Schrift und ohne Fingerabdrücke.«
»Klingt seltsam«, sagte Sigrid und fing an, den Tisch abzuräumen. »Und was stand auf diesen Zetteln?«
»Auf einem stand Schlaf du ruhig, mein Blümelein, und auf dem anderen Denn noch ist es Winter.«
»Und noch schlafen Feld und Wald, Rosen, Hyazinthen«, fügte Sigrid hinzu und öffnete die Schranktür, um die Hähnchenreste in den Mülleimer zu werfen.
Cato Isaksen sprang auf und stieß dabei mit der Hüfte gegen die Tischkante. »Kennst du das? Ist das ein Gedicht oder ein Lied oder was?«
»Ein Lied.« Sigrid schaute sich überrascht um. »Ein ganz normales Kinderlied. Ich habe es ab und zu Georg vorgesungen, weißt du das nicht mehr?«
Cato Isaksen lief aufgeregt ins Wohnzimmer. »Ich setze Kaffeewasser auf«, rief Sigrid hinter ihm her. »Und du kannst vielleicht Georg wecken, sonst gibt er die ganze Nacht keine Ruhe.«
Cato Isaksen beugte sich über das Laufställchen und hob das schwere, schlafende, von der Wärme feuchte Kind hoch. Georgs Kinn kippte ihm auf die Schulter. Zerstreut ging Cato mit ihm ans Fenster. Tief unten sah er ein paar Mädchen von vielleicht zehn oder zwölf Jahren beim Seilspringen. Denn noch schlafen Feld und Wald, Rosen, Hyazinthen. Ein Kinderlied. Cato Isaksen hatte dieses Lied noch nie gehört, kannte auch die Melodie nicht. Aber das spielte keine Rolle. Die Zettel unter der Leiche waren ein Zeichen. Und es war seine Aufgabe, dieses Zeichen zu deuten.
Georg war den ganzen Abend lang lieb und munter. Als er endlich eingeschlafen war, sahen sie sich einen Fernsehfilm an. Dann gingen sie ins Bett und liebten sich.