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KURZ VOR DEM ENDE

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Vor dem Tod lag natürlich ein Leben. Ein langes und wohlhabendes. Einflussreich, aber unsicher. Es gehörte ihm wie anderen. Diese Macht über das eigene Leben entglitt ihm von Zeit zu Zeit. Wäre es um Gott, den Herrn aller Dinge oder um einen Emissär Gottes gegangen, die Wahl wäre nicht schwergefallen: Mohammed oder Christus. Oder beide gleichzeitig. Von seinem Leben aber hatte von Zeit zu Zeit jemand oder eher etwas ganz anderes Besitz ergriffen und ihn der wesentlichen Möglichkeit beraubt, darüber selbst zu entscheiden, zu wem oder wozu er gehört.

Vielleicht wäre das an und für sich gar kein unlösbares Rätsel, hätte es sich ihm im Alter nicht immer häufiger so hartnäckig aufgedrängt. Sogar über alle Maßen. Da er keine leicht verständlichen Ursachen dafür finden konnte, vermochte er das Rätsel nicht zu lösen. Und wenn zur Bürde so vieler Jahre das GEHEIMNIS hinzukommt, gerät das Leben zu einem Albtraum. Es kann sein, dass das Herannahen (oder doch das Herbeiwünschen) des Todes der Auslöser war; der Geruch seiner Nähe konnte das bereits akzeptierte und tausendmal überprüfte Weltbild verändern, es ins Gegenteil verkehren und in eine ganz abscheuliche Wahrheit umwandeln. Aber bis dahin kam er gar nicht! Er dachte, dass er auch die schlimmste Wahrheit leichter akzeptieren könnte als dieses Unvermögen, zu irgendeiner zu gelangen.

Zwei mögliche Erklärungen wollte er um keinen Preis berücksichtigen.

Die erstere verstand sich von selbst: Es ist Allahs Wille! Dem durfte und konnte man sich nicht widersetzen. Öffentlich. Da das aber ein Selbstgespräch war, hatte die Öffentlichkeit hier nichts zu suchen, aber auch Allah nicht.

Die zweite Erklärung führte nicht weit weg vom Allmächtigen. Man kann sagen, dass sie für ihn gemacht war: das Schicksal. Das akzeptierte er schon gar nicht, denn es war eine Erfindung der Machtlosen zur Rechtfertigung ihres Unvermögens.

Die Wahrheit erkannte er, welch eine Ironie, als ihm ein Messer in die Brust gerammt wurde: Er war nur zur einen Hälfte Herr über sein Leben. Die andere Hälfte war im Besitz der zweiten Hälfte seiner Persönlichkeit. Oder besser gesagt, der Reihenfolge nach die erste, jene die er in Serbien und Bosnien gehabt hatte.

Er war sowohl ein Türke als auch ein Serbe. Serbe wie Türke.

Was für eine Erleichterung.

Zu sterben.

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