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KAPITEL II

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Die Zeit der Kriege, die auf dem Territorium meiner einstigen Heimat geführt wurden, ist vorbei, hoffentlich auf Nimmerwiederkehr. Aber es ist nicht genug Zeit vergangen, viele ihrer Folgen zu beseitigen. Eine davon, die nur auf den ersten Blick harmlos ist, besteht in einer neuen und hartnäckigen Erscheinung des unfeinen Ersatzes von Qualität durch Quantität, so zum Beispiel der Verwandlung von Literatur in Mathematik. Ich möchte es erklären. Da der Zeitraum der Transition einer Gesellschaft von Halbprimitiven als Versuch verstanden wird, alles in Zahlen auszudrücken, zeigte sich als Nebenprodukt »der Schaffung ursprünglichen Kapitals« bei denen, die das Ausrauben von Volk und Staat so nennen, die Notwendigkeit, alles zu bewerten. Und die Bewertung wird in Zahlen vollzogen. Für die vom Geld Abhängigen sind (waren) Zahlen der einzige Wertmaßstab. Und in der Tat wurden aus den Zahlen Top-Listen von allem gemacht, was es gab. Was immer ihnen auch in den Sinn kam, sie konnten es durch einen Vergleich mit dem Ranglisten-Platz dessen ausdrücken, was ihnen eingefallen war, im Verhältnis zu etwas anderem.

So tauchten auch in den Verlagen und in der Literatur Zahlen aller Art auf. Der größte Teil davon sah im Umfeld des Wortes überflüssig aus. Abgesehen vielleicht von den Zahlen, die so genannte Auflagenhöhe oder die Anzahl der gedruckten Exemplare und die Anzahl der Auflagen einzelner Titeln ausdrücken. Diese Zahlen waren schon immer da, aber, auch wenn sehr wichtig für das Verlagswesen, waren sie nicht entscheidend, unantastbar oder allmächtig. Sie waren einfach da, wie ein gleichberechtigter Teil eines Ganzen, das aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt war, auch aus Zahlen, die das Buch und sein Leben ausmachten.

Aber diese anderen Zahlen, die im Nachhinein in der Transition auftauchten, waren überflüssig: zum Beispiel die Zahl, die das Einnehmen des Platzes eines Buches auf der Top-Liste der berühmtesten, der meistverkauften, der meistgelesenen, der modernsten und ähnliches … kennzeichnet. Allem Anschein nach die Eroberung eines Platzes auf demokratischem Weg. Aber das ist eher ein Trugschluss. Zwingend ist das Gefühl, dass die Transition mit Hilfe des Gebrauchs von Zahlen durch Rauben des Platzes vonstatten geht.

Aber die Messungen nehmen kein Ende: wie viele Wochen ist das Buch auf der Top-Liste, wie viele Ausgaben erschienen als Hardcover, als Taschenbuch, Wiederauflage, goldener Einband, absurder Einband, es endet mit dem Zubinden der Augen der Leser. Und dann, auf welchem Platz war es letzte Woche, wie viele Wochen, wie viele Stimmen hat es gewonnen, aber wenn die Stimmen auf elektronischem Weg abgegeben wurden – wie viele »Besucher« hatte die Seite zum Zeitpunkt der Abstimmung. Danach das Vergleichen: All die Angaben für das aus einer fremden Sprache übersetzte Buch werden mit den Zahlen aus anderen Ländern verglichen. Und wieder von neuem.

Es gibt auch versteckte Zahlen, die es nicht in die Öffentlichkeit schaffen: Vereinbarungen, die durch Verträge bindend sind, bis zu welchem Datum muss der Autor das Manuskript abgeben, wie viele Seiten darf oder muss es haben (nicht mehr und nicht weniger), die Prozente für mögliche Einnahmen in allen vorstellbaren Situationen und das für jede Vertragsseite, und das sind nicht nur der Autor und der Verleger. Auch was in unvorhersehbaren Situationen zu tun ist!

Die Nichterfüllung der bindenden Punkte solcher Verträge besteht ebenfalls aus Zahlen: von Strafpunkten bis hin zum Abzug von Prozenten. Diese Mathematik ist stärker als der Tod! Siebzig Jahre nach dem Tod des Autors gilt die Rechnung immer noch: alles wird auch weiter berechnet, summiert, abgezogen, multipliziert und geteilt. Das Glück besteht darin, dass die Bücher ihre Autoren überleben, aber die Rechnung verlangt auch ihr Recht: Sie verfolgt den Autor sogar ins Jenseits und erlaubt ihm nicht, sich von seinen Rechten loszusagen. Dieser Post-Mortem-Teil der Zeit heißt glückliche Mathematik.

Die Polemik für und wider diese und jene Form der Ehe zwischen der Literatur und der Mathematik ist noch nicht entfacht. Der Grund ist einfach, wenn auch nicht leicht zu sehen. Die Intellektuellen haben nämlich in der Transition ihre gesellschaftliche und sogar kulturelle Bedeutung eingebüßt, was sie zunächst überraschte und danach verwirrte, erniedrigte und ziemlich marginalisierte. Zu dieser Statusveränderung gesellte sich noch blanke materielle Not. In diesem vordepressiven Zustand wurden einige Leute aus der Welt der Literatur und des Verlagswesens moralisch und materiell bestechlich. Die »Mathematiker« erlangten Ruhm.

Das alles wäre vielleicht nicht so tragisch, wenn es nicht auch eine Veränderung einzelner Eigenschaften und Teile des Charakters verursacht hätte. In Verbindung mit der Frage der Nation, der nationalen Zugehörigkeit, der sprachlichen Kombinatorik, der neuen Eigenständigkeit und ähnlichem, gelangte der Intellektuelle zum Problem der Identität. Wenn es aber so weit kommt, dann ist Zerstören und Aufbauen, Aufbauen und Zerstören an der Tagesordnung. Von Identität. Und allem anderen.

Hamam Balkania

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