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2. KAPITEL

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Kampfkünste konnten auch eine Maske für vieles andere sein, dem sie unterworfen waren. In der scheinbar einfachen und sehr harten Schule physischen Ausgleichs erlernten sie auch zahlreiche geistige Fertigkeiten. Um zum Beispiel Mut als Eigenschaft für sich zu akzeptieren, musste man zunächst Feigheit verstehen; erst nachdem man sich diese bewusst gemacht hatte, konnte man dazu übergehen zu erlernen, wie man sie besiegt. Dann durfte man den neuen Zustand seine persönliche Eigenschaft nennen.

Aufs Ganze gesehen, war dieses Verständnis zwischen Körper und Geist der entscheidende Punkt in der gesamten Ausbildung. Hatte man die Verbindung einmal erkannt, machte man Werte leichter und schneller aus. Das war eine Kettenreaktion. Aus den Wechselbeziehungen zwischen Feigheit und Mut erwuchs sozusagen auch das Verhältnis zwischen Unterordnung und Höherstellung. Die Angst wich vor der Provokation zurück, aber … ihre Lehrer erhoben sie in jenem Moment auf eine höhere Stufe des Durchbrechens psychologischer Barrieren: Sie versicherten ihnen, dass Angst auch Mut hervorbringen kann. Und vielleicht noch furchtloseren und größeren als gemeinhin üblich! Und so ließen sie sich in derartige Prozesse ein und bewiesen am eigenen Beispiel die Richtigkeit dieser Lehren.

Das waren Verfahren zum genaueren Verstehen des Ziels: Sie wollten durch Einpflanzen von etwas Fremdem aus ihm keinen Übermenschen machen (wie er zunächst gedacht hatte), sondern es sollte so viel wie möglich von dem, was er bereits verinnerlicht hatte, an die Oberfläche gelangen und so gut, konzentriert und rentabel wie möglich genutzt werden. Als wollte man aus ihm einen vollkommeneren Menschen machen.

Allerdings betraf Letzteres lediglich Bajica und dazu wenige Burschen aus der Gruppe. Niemand musste ihnen sagen, dass man sie für besondere Aufgaben vorgesehen hatte; waren sie doch bei zahlreichen Unterweisungen schon ohne die anderen Burschen. Als Folge dieses Separierens und der so gemeinsam verbrachten Zeit aber, und wahrscheinlich auch wegen des stärkeren Gefühls der Sicherheit in der Gemeinschaft, bahnte sich zwischen einigen von ihnen eine seltsame, vielleicht auch rettende neu erweckte Freundschaft an; notgedrungen eine heimliche, öffentlich zeigen durften sie diese nicht. Bis zu einem ganz besonderen Augenblick.

Bajica war es während seines mehrjährigen Aufenthaltes im Serail von Edirne nicht gelungen, dessen Herrscher zu sehen. Der Sultan befasste sich mit anderen Aufgaben und Dimensionen. Und wenn er nach Edirne kam, wurde er ihrer nicht ansichtig, denn alle Jungen sperrte man, bevor er seinem Serail näher kam, in die Unterrichtsräume ein und kontrollierte sie streng, damit sie während des Herrscheraufenthaltes nicht einmal zufällig draußen erblickt wurden. Man sagte ihnen jedoch, dass der Sultan regelmäßig über die Fortschritte der künftigen Hüter des Reiches unterrichtet würde, denn an ihrer Zukunft zeigte er sich ernsthaft und ständig interessiert. Ein Beweis dafür war eines Tages das überraschende Auftauschen seines Gesandten Deli Husrev Pascha am Hofe. Er war eine Person, die ihnen zu sehen erlaubt war.

Für den, der Gast und Gastgeber in einem war, wurde sofort eine öffentliche Vorführung von Fertigkeiten und Wissen der jungen Schüler des Reiches organisiert, alles unter Wahrung der offiziellen Form und in Festkleidung und mit einem strengen Zeremoniell. Mit ihren Kenntnissen der persischen und arabischen Sprache, der Geschichte, mit der Zahl der gelernten und rezitierten Suren aus der göttlichen Prophezeiung Mohammeds versetzten sie ihn in Erstaunen.

Der Pascha hielt am Schluss vor allen, die da in Reih und Glied standen, eine Rede. Und danach lud er ein Dutzend mit besonderer Begabung, die es nach seinen Worten verdient hatten, ein, im Innenhof des Serails einige der Sultansgemächer zu sehen. Als sie in einem, das gerade durch seine minimale Ausstattung und Dekoration seine Bedeutung erkennen ließ, Halt machten, sagte der Pascha zu ihnen:

»Wenn unser Herrscher in Edirne die Wesire versammelt, dann wird hier der Diwan des Herrschers einberufen, um über wichtige Staatsdinge zu entscheiden. Dort oben an der Wand aber, fast an der Decke, wo das kleine vergitterte Fenster zu sehen ist, sitzt hinter einem Vorhang der Sultan und lauscht von oben, wie seine Wesire arbeiten.«

»So wie Allah von oben auf uns alle schaut«, platzte Bajica heraus. Die Mehrheit der Kameraden sah ihn verwundert an; einige mit Argwohn, einige mit Zustimmung im Blick.

Doch dann folgten mehrere echte Überraschungen. Deli Husrev Pascha entließ zunächst seine gesamte Begleitung und die Bewacher der Jungen und nachdem diese alle im ersten Hof verschwunden waren, begann er Serbisch zu sprechen!

»Ihr habt euch als gute Schüler des Reiches erwiesen. Wenn ich meine Zufriedenheit unserem Herrscher übermittle, heißt das, dass ihr euch bald – auf der Grundlage ausführlicher Berichte eurer Lehrer und Aufseher über jeden von euch – trennen werdet. Ihr werdet für unterschiedliche Regionen der Welt und für verschiedene Tätigkeiten eingeteilt.«

Er machte eine Pause.

Er näherte sich einem von Bajicas Kameraden, der jetzt Mustafa hieß, umarmte ihn plötzlich und sagte leise zu ihm:

»Bruder.«

Der Junge war verwirrt, begriff nicht, was da vor sich ging, argwöhnte, vielleicht nicht richtig gehört zu haben. Der Pascha sagte ihm kurz etwas ins Ohr, dann schlang er seine Arme um Bajicas Schultern und flüsterte diesem zu:

»Er ist mein Bruder, aber er ist auch dein Cousin.«

Dann wandte er sich erneut an alle:

»Euch ist klar, dass auch ich aus eurem Geschlecht bin. Ich wurde vor genau zwanzig Jahren aus der Herzegowina hierher gebracht, genau wie ihr. Ich bin aus der Familie Sokolović und einige von euch sind auf meinen Befehl hin hierher gebracht worden. Meinen jüngeren Bruder sehe ich seit seiner Geburt zum ersten Mal. Ist das nicht seltsam und verrückt?«

Mustafa sah ihn an, Augen und Mund weit aufgerissen. Auch Bajica betrachtete ihn nicht minder bestürzt. Hier, aus diesem Mund, nach so langer Zeit ihren nicht gänzlich vergessenen, aber total unterdrückten Nachnamen zu hören!

Die ganze Geschichte des Paschas, begriffen sie, zielte darauf sie zu ermutigen, auf die ihnen gebotene Gelegenheit, sich so gut wie möglich zu bilden, nicht zu verzichten, möglichst viel von dem Gebotenen zu nutzen und all das zu gegebener Zeit für die eigenen Ziele einzusetzen – welche das auch immer sein würden und wann auch immer sie auf den Plan treten mochten. Gerührt von ihrer Gegenwart und überwältigt von seinen Erinnerungen zeigte er ein gewisses Maß an Vertraulichkeit. Er bemühte sich um klare Worte, achtete aber gleichermaßen darauf, nicht zu offen zu sein. Er musste ihnen nicht sagen, was sie schon verstanden hatten: Dass sie sich maximal und bei jeder Gelegenheit untereinander helfen und unterstützen müssen. Dass sie nicht vergessen, woher sie sind, aber auch nicht das versäumen, was sie erwartet. Wenn sie dazu verdammt sind, eine andere Vergangenheit als Zukunft zu haben, mögen sie daraus etwas machen, wodurch sie sich, unverkennbar oder unauffällig, von allen anderen unterscheiden. Nur so würden sie den Frieden mit und in sich bewahren können. Denn, so hob er mit Nachdruck hervor, falls sie sich der Doppelexistenz, in die sie gedrängt wurden, nicht bewusst werden, werden sie nicht einer einzigen Versuchung widerstehen.

»Derjenige, der es schafft, sich über die eigene Zweiheit zu erheben, wird Unglück in Vorteil verwandeln können. Nicht wenigstens einen Elternteil zu haben, ist eine echte Tragödie. Beide zu haben, ist ein großes Glück, das täglicher Erinnerung wert ist. Vielleicht kommt es euch jetzt so vor, als wärt ihr ohne Eltern, aber bald werdet ihr sehen, dass ihr beide Elternteile habt.«

Der Pascha verhalf Bajica zu seiner ersten, jugendlichen Weisheit: Wenn man etwas nicht vermeiden kann, dann muss man sich damit konfrontieren.

Eine ganz eigenartige Folge des Besuchs von Deli Husrev Pascha kam zwanglos und ganz offen zum Vorschein. Nach seinem Fortgang begann das Dutzend auserwählter junger Burschen untereinander Serbisch zu sprechen, wobei alle stillschweigend die Regel einhielten, das Serbische nur außerhalb der Ausbildung zu benutzen, es aber nicht mehr zu unterdrücken. Und siehe da, was für ein Wunder! Niemand nahm ihnen das übel, geschweige verbot es ihnen gar! Und warum auch? Unvermeidlich war, und das wussten sie selbst auch, dass für alle die Zeit der Trennung kommen und nicht einer von ihnen dann mit sich selbst Serbisch sprechen wird. Das würde daher niemandem schaden.

Hamam Balkania

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