Читать книгу Hamam Balkania - Vladislav Bajac - Страница 8
DAS ENDE
ОглавлениеEr wünschte sich, jemand möge ihn töten. Ja, genau so. Einfach so – umgebracht werden. In den letzten Jahren war so vieles, an dem ihm lag, waren so viele, die er mochte, aus seinem Leben verschwunden. Natürlich nicht zufällig. Alles war sorgfältig geplant und ebenso sorgfältig in die Tat umgesetzt worden. Er musste zugeben – der Rivale erledigte alles fehlerfrei und im Hinblick auf Geschick und Professionalität des Getanen konnte er keinerlei Einwände vorbringen. Außer im Hinblick auf die Grundidee: Warum hatten die Gegner ihre ganze Maschinerie in Gang gesetzt und noch dazu viel Zeit, Geld und Kraft dafür verschwendet, alles zu vernichten, was ihm lieb und teuer war, wenn es viel schneller, billiger und leichter war, zuerst ihn und nur ihn umzubringen?
Aber eigentlich war ihm das klar. Sie wollten eben, dass er sich genau das ständig fragte und sich, ohne eine Antwort gefunden zu haben, letztlich derart einsam und vor allem verlassen fühlte, dass er selbst seinen Untergang herbeiwünschte. Denn anzusehen, wie die, die er mochte, die ihm teuer und ergeben waren, einer nach dem anderen vor seinen Augen verschwanden, musste weh tun, und dieses Gefühl war von Dauer. Hätten sie ihn als ersten und sofort umgebracht, wären die Qualen, die sie ihm wünschten und dann auch verordneten, nicht gewesen. Allerdings, nach so vielen Jahrzehnten an der Spitze der Macht musste ein solcher oder ähnlicher Absturz auf ihn lauern. So war es wahrscheinlich seit Beginn der Welt; Aufstieg war allermeist mit Absturz verbunden. Wer oben war, musste auch unten sein. Doch nicht allen war dieselbe Reihenfolge beschieden. Ja, jeder, der oben war, musste vor dem Aufstieg auch unten sein. Aber ob nach jenem Oben wirklich auch jeder nach unten fallen musste, ist fragwürdig. Bei ihm war es so. Oder es war ihm, wie es heißt, vorbestimmt. Oder er hatte den Fall selbst herbeigerufen.
Immerhin war sein Absturz irgendwie nachvollziehbar. Niemand löste ihn ab, entthronte ihn oder sah bei irgendeiner Neuverteilung über ihn hinweg. (Was nicht heißt, dass all das nicht so geplant gewesen war). Von einem einzigen heftigen Messerstich direkt ins Herz fiel er nieder, und, in einer Blutlache liegend, warf er einen Blick zurück in sein vergangenes Leben, als wolle er es vor seinem Tod bündeln, um es nicht zu vergessen.
Siehe da, sein Wunsch erfüllte sich: Er wurde umgebracht.
Seltsam, dass der Tod eine Erleichterung sein kann! Natürlich taten die Mörder das nicht, um Erbarmen zu zeigen. Ein gewaltsamer Tod war während seiner Herrschaft etwas ganz Alltägliches; Nuancen existierten nur bezüglich der Art und des Grades an Morbidität und Grausamkeit. Imperium hieß Gewalt zu jeder Zeit und in jeglicher Form. Während seiner Zeit als Großwesir gehörte die Beseitigung fremden Lebens keineswegs zu seinen Eigenschaften als Herrscher, Gott bewahre, noch war das eine persönliche oder charakterliche Eigenart. Es war Teil der Systemsicherung; keineswegs Schutz der eigenen Macht. Es war ein über Jahrhunderte gewachsener Mechanismus, den keine Einzelperson, egal von welcher Machtposition aus, selbst wenn sie es wollte, zu stören, geschweige denn zu verändern vermochte. In Schlachten, Kriegen, Feldzügen und Eroberungen war Tod ein Ersatz für Guten Tag. In Friedenszeiten war das auch oft so, nur nicht so weit verbreitet.
War er denn als Großwesir nicht auch dafür bekannt, dass er sogar während der Herrschaft dreier Sultane regierte? Wer konnte das sonst noch von sich sagen? Wesire, die den Wechsel nur eines Sultans überlebten, waren selten, geschweige denn drei zu überstehen! Jeder Tod ging vom obersten Herrscher aus: War es nicht so, dass nach einem ungeschriebenen Gesetz jeder Sultan mit der Thronbesteigung zunächst seine eigenen Brüder ermordete (manche auch die eigenen Kinder), damit sie nicht durch ihre bloße Existenz seine Macht gefährdeten?
Es wäre auch nicht wahr, wenn er sagte, dass er auf seinen Tod wartete. Er stellte nur keine Überraschung für ihn dar. Über den Tod als solchen wusste er alles: Schwerlich ließe sich jemand finden, der ihn mit Kenntnissen über dessen Ursachen und Folgen, Arten und Formen übertreffen könnte. Hinsichtlich seiner Zweckmäßigkeit konnte er möglicherweise nicht brillieren: Nicht ein einziger Lehrer oder Herrscher hatte ihn in solche Geheimnisse eingewiesen, denn die Frage nach dem Zweck wurde unter ihnen nie und nimmer gestellt.
Den Tod »herbeiwünschen« hieß nicht, ihn »herbeizusehnen«. Das Sehnen half ihm dabei, friedlich das persönlich Unumgängliche abzuwarten. Es befreite ihn von unnützen Zweifeln.
Obwohl jetzt alles unwichtig geworden war, besonders das, was Zeit zum Nachdenken erforderte. Es war für nichts mehr Zeit. Außer für den Tod.