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7. KAPITEL

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Mit dem weiteren Vorrücken der osmanischen Truppen sollten sich die Worte des Großwesirs als sehr wahr herausstellen. Das Kriegsgeschäft dieser scheinbar unwichtigen Begleiteinheit offenbarte sich nicht nur als wichtig, sondern als unentbehrlich, ohne das hätte die Armee kein einziges Ziel erreicht. An so vielen Stellen galt es sumpfigen Boden zu überwinden oder einen Fluss zu überqueren, Dämme zu befestigen, Wälle zu errichten oder bereits existierende zu sichern, Gräben auszuheben oder zuzuschütten… Ohne die vielfältigen Ideen und das Geschick der Angehörigen dieser Einheit war es unmöglich, hohe Hindernisse zu überwinden oder Mauern zu zerstören. Dazu gehörten Vorrichtungen, Werkzeuge, Leitern, Plattformen, Geschütze, Selbstschussanlagen mit Steinen, Metallkugeln und brennbaren Materialien als Munition, seltsame Wagen und Rammen zum Aufbrechen von Festungstoren sowie eine Unmenge an Waffen, von denen Bajica weder gehört hatte noch wusste, wozu sie dienen. Doch vor allem stellte sich heraus, dass die Soldaten aus diesen Einheiten eigentlich besonderen Mut zeigten, denn sie bildeten häufig die Vorhut der kämpfenden Truppen, beim Rückzug aber auch die Nachhut. Sie waren natürlich nicht sich selbst überlassen, sondern wurden von anderen Einheiten geschützt, doch diese »Denker« traten mit unerschütterlicher Leidenschaft und Kühnheit dem Feind engegen.

Das war Bajicas erster Eindruck von Sinan, der zugleich Wissen von anderen Gelehrten und Handwerkern anhäufte, Ideengeber war, Ratschläge erteilte und diese – wenn möglich – sofort in die Tat umsetzte. Gleichermaßen ließ er sich auf eine Schlacht ein, wobei er mehr die Mitkämpfer und deren Erfindungsgeist verteidigte, als dass er zum Angriff überging. Wenn nötig, offerierte er flink seine Ideen und war auch schnell in Aktion; in Stunden der Erholung und des Gesprächs mit Mehmed war er friedlich und ruhig. Mehmed fragte ihn über seine Erinnerungen an Belgrad vor fünf Jahren aus, über seine Pläne, über seinen Geburtsort, über Herkunft und Familie… Sinans Beharrlichkeit, die er selbst nicht besaß (nicht nur, weil er weitaus jünger war), sagte ihm zu. Sinan bot eine Erklärung für diese Art Sicherheit. Sie hatten in einem Dorf gelebt, dessen Bevölkerung zwar rein griechisch-orthodox war, das aber inmitten anatolischer Orte mit osmanischer Bevölkerung lag. Doch nicht einmal die Tatsache, dass er auf diesem Boden geboren war, bewahrte ihn vor dem Schicksal, das auch Bajica ereilte, der aus einem eroberten Land hierher gebracht wurde. Obwohl Sinan allein dadurch, dass er im Inneren des Reiches lebte, zu den Osmanen gehörte, war er wie ein Ungläubiger mit Gewalt von zu Hause entführt worden.

Entscheidend blieb die Herkunft des Blutes und nicht des Bodens. Aber nicht einmal das bis zur letzten Konsequenz.

In einem bestimmten Augenblick dachte Sinan darüber nach, dass er doch bei der Bewertung des jungen Mehmed dieselben Maßstäbe des Blutes und des (einstigen) Glaubens anwenden könnte, doch er besann sich schnell anders: Gewiss hatte das Einfluss auf seine tiefsinnigen Überlegungen über eine neue Freundschaft, aber es war nicht ausschlaggebend. Vor allem gefiel ihm die Offenheit, die Bajica ihm gegenüber sofort zeigte. Klar, in diesen Kriegswirren war der junge Mann auf jemanden getroffen, der bereits kampferfahren war, der wusste, was Angst ist und was Trauer, der sich aber auch in Fragen der Unstetigkeit der Herkunft von Körper und Geist auskannte. So war es ganz natürlich, dass sich dieser unsichere und verlegene junge Mann fest an ihn band. Allerdings war Sinan auch klar, dass das Chaos, das ein Feldzug von sich aus mit sich bringt, diese Konfusion hervorrief und dass sie keine übliche Eigenschaft Mehmeds war. Krieg bestand in erheblichem Maße aus Geräuschen von Gewehrsalven, lärmenden Kanonen, dem Zerteilen von Holz und Fleisch mit scharfen Äxten, von Stöhnen, Ermutigungsrufen, Todesschreien, Pferdegetrappel, Trommelwirbel, aus zarten Schalmeienklängen und schrillen Trompetentönen, selten gehörten sie zu einem Lied. Krieg bestand aus den durchdringenden Befehlen der Kommandeure und leisen Gebeten an den Allmächtigen in der Einsamkeit. All das vermischte sich mit den Klängen der Natur: dem Klang starken Regens oder eines Wolkenbruchs mit Gewitter, dem des schwelenden Lagerfeuers oder verheerender Brände, dem Rauschen der Bäche, Krachen der Brücken und Schiffe auf den aufgewühlten Flüssen und den Wellen der Meere … Niederlagen zerbrachen die Klänge, Siege erhoben sie zu lieblichen Melodien.

Gewiss, Klänge konnten für eine Freundschaft nicht der entscheidende Faktor sein.

Das Wesen gegenseitiger Anziehung entzog sich einer einleuchtenden Erklärung.

Der immer häufigere Aufenthalt in Sinans Nähe führte dazu, dass Bajica die Unbilden des Feldzugs leichter ertrug. Er traf immer mehr Menschen, die sein jetziges Schicksal vor ihm zu ertragen hatten und denen es gelungen war, die Unbilden zu meistern, indem sie ihren Pflichten nachkamen. Nun schienen sie mit sich Frieden geschlossen zu haben. Auf dem Feldzug gegen Osijek sah er Hunderte, wenn nicht Tausende von Cerahoren und Martolosen, die beruhigend auf ihn wirkten. Das Cerahoren-Prinzip wirkte ganz stabil, obwohl diese militärischen Einheiten ausschließlich aus der einheimischen Bevölkerung, die in den Grenzprovinzen des Osmanischen Reiches rekrutiert worden waren, bestanden. Die Christen waren zumeist Handwerker aller Art: Maurer, Zimmerleute, Schmiede. Diese waren unverzichtbar und damit von höchster Bedeutung. Die anderen wirkten unterstützend. Eigentlich waren sie alle gemeinsam diejenigen, die die Armee aufrechterhielten. Wenn nötig, führten zusätzlich auch die Bewohner der umliegenden Dörfer, aber auch die osmanischen Soldaten selbst Arbeiten aus. Am häufigsten handelte es sich um Maurerarbeiten und um die Reparatur von Festungen, Brücken und Straßen, aber auch um das Bäumefällen, das Trockenlegen von Sümpfen, das Ausheben von Gräben und den Transport der Militärvorräte. Die Cerahoren erhielten Lohn und waren von einigen Steuern befreit, obwohl sie auf Kommando fast gewaltsam zugeführt wurden. Bajica kam es sehr seltsam vor, ab und zu ohne jegliche Zurückhaltung, geschweige denn Heimlichtuerei, die serbische Sprache hören zu können.

Zusätzlichen Trost bot ihm die Bekanntschaft mit weiteren Militärkommandeuren. Darunter waren auch die, welche ihren serbischen Namen, ihren Glauben und alles, was dazugehörte, behalten hatten wie auch jene, die vor ihm bekehrt worden waren.

Einer der Führer der Martolosen, der christlichen Einheiten, die hauptsächlich als Mannschaften für die eroberten, strategisch wichtigen Orte engesetzt wurden, von Befestigungen bis zu Brücken, Schluchten und wichtigen Kreuzungen, war der Kommandeur der Flussflotte Petar Ovčarević. Durch seine Haltung, seinen Mut, seine nicht vorhandenen Zweifel hinterließ er bei Bajica einen nachhaltigen Eindruck. Bajica wusste um sein Verhalten während der Verteidigung Belgrads vor den Türken 1521, um seinen Rückzug, als es keine Hoffnung mehr gab und um die dann an ihn gerichtete Einladung des früheren Feindes, des Sultans persönlich, die entlassenen Angehörigen der Flussflotte erneut um sich zu scharen und sich an deren Spitze zu stellen, in den Dienst des Sultans. Der Sultan hatte ihn lange vor dem Anschluss und diesem fünf Jahre später liegenden Feldzug gewürdigt, als er ihm die Einladung und Genehmigung übermittelte, sich mit seinen Bootsknechten in Belgrad anzusiedeln und gar das Stadtviertel, wo sie sich niederließen, nach ihm benannte – Ovčar-oglu mahala. Ovčarević erklärte Bajica und dem anwesenden Sinan ohne sich zu genieren, dass er in dem ganzen Unterfangen völlig mit sich im Reinen war: Er war angeheuert worden für Geld und Privilegien, blieb dem Namen und Glauben nach Serbe und beteiligte sich, wie er ausführte, an der »Erhaltung des momentan belagerten Belgrads, das immer serbisch sein wird«. Auch den Mut, das auszusprechen, deutete Bajica als Heldentat. Der Sultan und der Großwesir mochten über diese Dreistigkeit lachen, aber sie machten ihm nicht das Recht streitig, so zu denken. Mehr als alles sonst schätzten sie sein tagtägliches Heldentum, das ihnen wichtiger war als seine Kühnheit. Immerhin gehorchten ihm Tausende Serben, die sich in den Dienst des Osmanischen Reiches begeben hatten. Selbst wenn das vorübergehend war, unter Zwang, aus Hinterlist oder sonstigem Kalkül. Er war ein Mann, der sein Gelübde gegenüber dem Reich allein mit seinem Wort aufrechterhielt. Deshalb wurde auch respektiert, was er sonst noch sagte.

Bajica lernte hier auch die Söhne des berühmten Jahja Pascha aus der Familie Jahjapašić kennen: Bali Beg, Ahmed Beg und Gazi Mehmed Pascha. Alle drei waren als harte Krieger bekannt, wie ihre Vorfahren übrigens auch, die wie Ovčarević nie mehr irgendwelche Fragen zu ihrer Herkunft stellten; sie wollten, nachdem sie den neuen Glauben angenommen hatten, den alten völlig aus ihrem Leben verbannen. Von daher fand Bajica mit ihnen nicht viel Gesprächsstoff. Sie waren wilde Eroberer, die den Befehlen ihrer Herren blind gehorchten, mit ungeheuerlichem Mut und mit Brutalität die Gegner das Fürchten lehrten und neue Gebiete einnahmen. Sie siegten, weil sie eine schamlose Vorliebe für Schlachten hatten. Und sie waren gefährlich.

Andererseits, überlegte Bajica, egal, wie sehr sie sich hinsichtlich ihrer Herkunft unterschieden oder nicht, in der Annäherung an ihr eigenes oder an fremdes Leben, mit ihren Ansichten zu Recht, Gewissen oder was sonst noch, waren sie ohne Ausnahme in ein- und dieselbe Sache involviert: in den Dienst zur Erweiterung des Osmanischen Imperiums! Hier verschwanden alle Unterschiede, und wenn sie da und dort durchkamen, waren sie bedeutungslos. Siehe da, seine Gedanken aus der Schule in Edirne waren wieder da. Alles dem Einen untergeordnet!

Dieses Eine, das Imperium, demonstrierte mit seiner realen Strenge eine außergewöhnliche Kraft, die von sich aus zur Paralysierung des Gegners führte. Der noch unbesiegte Feind geriet in Panik, die bereits eroberte Welt sah ihre Untertanenposition als ewig und unveränderlich an. Es hatte den Anschein, dass es immer so gewesen war und auch ewig so sein würde. Eine Kraft, die imstande wäre, sich einer solchen Macht zu widersetzen, war nicht vorstellbar. Die Einzelnen sahen für sich lediglich zwei mögliche Optionen: Frieden zu schließen und in eine solch perfekte Welt einzutauchen oder sich dieser mit ihren Gedanken, ihrem Willen und mit innerer Kraft zu widersetzen. Allerdings brachte auch dieses Andere keine Befreiung. Im Gegenteil, es lähmte jegliche Existenz, denn es bot nicht einmal die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung, sondern einzig Niedergeschlagenheit und Apathie. Aus einer derartigen Hoffnungslosigkeit heraus, die besagte, dass alles ein für alle Mal gegeben schien, war es hart für ein ganzes Volk, geschweige für den besiegten Einzelnen einen Ausweg zu finden.

Als er verschiedenen Teilnehmern dieses Feldzugs zuhörte, spürte Bajica dennoch auch den ersten, gut verdeckten Riss in den Mauern des unbesiegbaren Imperiums! Der offizielle Grund dafür, dass der Sultan eine solch große Armee aussandte, waren die erneuten zahlreichen Feindseligkeiten gegen Ungarn. Der geheime Grund war aber die Rebellion der Janitscharen in Istanbul. Sultan wie Großwesir hatten zu Recht Angst gerade vor ihren loyalsten und elitärsten Soldaten! Das war verständlich, hing doch von deren Zufriedenheit auch die Sicherheit des Reiches ab. Ihr Mut und ihre Opferbereitschaft blieben das A und O des Osmanischen Reiches. Sowohl im Kampf für das Reich als auch in der Rebellion gegen dieses waren sie ausgesprochen gefährlich. Wenn sie sich gegen ihren Herrscher erhoben, tat man gut daran, sie möglichst schnell zu beschwichtigen. Später konnten die Anführer einzeln beseitigt werden. Während des Aufruhrs wagte allerdings niemand, sich ihnen zu widersetzen. Im Kampf für den Sultan wiederum waren sie unbesiegbar, und für ihren Mut wurden sie – zusätzlich zur allgemeinen Großzügigkeit des Herrschers – häufig mit der Erlaubnis zum Plündern belohnt. Das Versprechen, das der neue Feldzug des Sultans mit sich brachte, reichte zur Beschwichtigung der Janitscharen aus und lenkte deren Wut, Verbitterung und Kampflust in eine andere Richtung.

Bajica nahm sowohl seine eigene wie auch die allgemeine Konfusion wahr. Er war erleichtert (was eigentlich schrecklich war), als er begriffen hatte, dass das Problem seiner eigenen Zweigeteilheit das des ganzen serbischen Volkes war! Einerseits sah er die serbischen Soldaten in türkischen Reihen, andererseits seine Kameraden bei der Verteidigung Belgrads in ungarischen Einheiten. Ohne ihren eigenen Staat und mit einer Heimat, über die viele andere marschierten, die sie plünderten und beherrschten, fanden sich die Serben nach eigenem Ermessen zurecht, individuell, gruppenweise oder auf anderem Wege. So gerieten sie in eine sinnlose Situation, die zu Trennungen, Selektionen und Seitenwechseln führte, denen sie sich beugten, und so wurden sie in eine Situation anhaltender persönlicher und kollektiver Instabilität getrieben. Die türkischen und ungarischen Herrscher betrachteten das als offensichtliches und ernstes Problem, bemühten sich aber nicht um eine Lösung, denn die Zerissenheit der Serben kam ihnen zupass: So waren diese besser beherrschbar. Sorgfalt ließen sie lediglich dahingehend walten, dass sie konsequent zuverlässig ein Aufeinandertreffen und, Gott behüte, einen Konflikt »ihrer« Serben in den Schlachten vermieden. Und auch das taten sie vor allem dann, wenn es in ihrem eigenen Interesse war.

Hamam Balkania

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