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GANZ ZU BEGINN

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Nachdem ich mir bewiesen hatte (auf eine einzig mir bekannte Art), dass ich als Schriftsteller nicht »ausgebrannt« war, musste ich auch in der Realität den Kampf um die Lösung des Dilemmas beginnen: Welches von den drei angedachten Büchern sollte ich in Angriff nehmen? Die zwei anderen werde ich nicht erwähnen, da ich ganz offensichtlich schon mit jenem begonnen habe, das den Sieg davongetragen hatte. Natürlich sprachen subtile Gründe dafür, denn auch für die beiden anderen in der engeren Wahl befindlichen Bücher hatte ich schon ernsthafte und umfangreiche Vorarbeiten geleistet, ohne die ich mich ohnehin nicht ans Schreiben mache.

Es überwogen die Gründe, die ich, auf einen Nenner gebracht, als lokalpatriotische bezeichnen würde. In einem kürzlich stattgefundenen Gespräch mit einem Kollegen zum Thema solch aktueller Gegensätzlichkeiten und Extreme wie Nationalismus und Globalisierung als literarisches Sujet begriff ich nämlich zum ersten Mal, dass die Tatsache, dass mich die eifrigen Verteidiger des »Einheimischen« nicht offen und geringschätzig als »Kosmopoliten« bezeichneten, sondern sich sanfter, etwas vorsichtig aber gleichwohl hinterlistig äußerten (»Der Schriftsteller ist dafür bekannt, dass er keine nationalen Themen aufnimmt«), keineswegs der Wahrheit entsprach. Es war eigentlich seltsam, dass ich mich viele Jahre so leicht mit der Tatsache abfand, dass mir andere mein literarisches Schicksal vorschrieben und noch dazu mit falschen Schlüssen! Und was, wenn jene die Bücher überhaupt nicht gelesen hatten? Oder hatten sie doch, und ich blieb ein sogenannter unverstandener Schriftsteller? Es genügte also, mich daran zu erinnern, dass in vier von fünf meiner bisher veröffentlichten Romane die Handlung in Belgrad und / oder in meinem Land spielte oder wenigstens begann und von den sieben Prosabänden (diesen nicht eingerechnet) sechs dieselbe Topographie aufweisen! Schande über das eine! Doch der Schuld nicht genug: Vielleicht waren diese Bücher in ihrem Kern oder ihrer Botschaft nach zu kosmopolitisch, so dass auch eine lokale Geografie oder eine lokale Handlung hier keine Abhilfe schaffen konnte. Es gelang ihnen nicht, in den Rang nationaler Mythen aufzusteigen, was allerdings auch nicht beabsichtigt war.

Das auserkorene Thema barg auch neue Fallen, nicht nur handwerkliche, sondern auch die bereits erwähnten ideologischen. Wenn man jedoch auf all das Rücksicht nimmt, würde man wahrscheinlich niemals etwas (Brauchbares) zustande bringen. Ich beschloss daher, über einen Serben zu schreiben, der etwas anderes wurde. Es war das »Andere«, was mich interessierte. Nicht so sehr der »Serbe«, obwohl, auch wenn ich gewollt hätte, das nicht vom »Anderen« zu trennen war. Wenn ich mich tiefer einlasse, ganz tief, dann muss ich zugeben, dass mich eigentlich nur der Übergang von dem Einen in das Andere, der Akt an sich, wirklich interessierte.

Und ich machte mich ans Forschen, Suchen, Anhäufen, Auswählen, Akzeptieren und Verwerfen … Mit einem Wort, an die sogenannte Materialsammlung. Allerdings bedurfte es für diese Tätigkeit einer Methode oder wenigstens einer Reihenfolge im Vorgehen. Fakten als eine Art Leitmotiv konnten immer von irgendwo her auftauchen und zu den bereits vorhandenen hinzugefügt werden. Auch sonst zeigten sie sich oft nur so nebenbei und fast zufällig, als hätte die Gewohnheit sie getrieben, sich selbst zurechtzufinden und sich beim Autor zu melden. Es gab allerdings auch andere Wege, um zu wichtigen Details zu gelangen. Einer bestand darin, dass man die Spuren der Helden verfolgte. So besuchte ich (parallel zu anderen Formen der thematischen Nachforschung) mehrere Jahre hauptsächlich die wichtigsten oder sogar fast alle Regionen, in denen sich Mehmed Pascha Sokolović aufgehalten und / oder gewirkt hatte: Višegrad und Umgebung und den größten Teil Ostbosniens, Westserbiens (inklusive den Fluss Drina, der hier teilend und verbindend wirkt), die Herzegowina mit Dubrovnik, die Wojwodina mit Süd- und Zentralungarn, Ungarns westlichen Teil, das Zentrum der einstigen Österreichisch-ungarischen Monarchie Wien, ganz Bulgarien der Breite nach (oder besser gesagt: der Fülle nach), Edirne – die einstige Hauptstadt des Osmanischen Reiches, und dann das Herz des einstigen wie jetzigen Staates – Byzanz / Konstantinopel / Carigrad / Stambol / Istanbul, wie auch alle Meere im Umkreis (die Adria, das Schwarze Meer, das Marmarameer, die Ägäis). In der südwestlichen Türkei und – ganz am Schluss – auf den Prinzeninseln beendete ich meine Recherchen. An allen Orten war ich mehrmals. Einzig Persien lag für mich außerhalb der Reichweite. Es hinderten mich die Kriege im Umfeld der Türkei – im heute nicht existenten Persien. Zuvor hatten mich die Kriege im Umfeld Serbiens, im heute nicht existenten Jugoslawien, daran gehindert, vor der eigenen Tür etwas zu sehen. (Belgrad, das für mich entscheidend war, wurde auch als Toponym verstanden. Übrigens, von dort ging alles aus, und im Prinzip wird hier in Bälde auch alles sein Ende haben).

Eine zweite, parallele Studie während dieser Reisen erfolgte zu den Wunderwerken der Architektur des Baumeisters Mimar Sinan, der zweiten Figur des künfigen Buches, eines Zeitgenossen von Mehmed Pascha. Ich besuchte auch eine Person namens Orhan Pamuk, wie auch V. B., mit dem ich am häufigsten zusammen war. Die zwei letzteren stellten das zweite Paar der parallelen Handlung des geplanten Romans dar.

Diese vier Menschen wurden Romanfiguren in ein und demselben Buch (positioniert allerdings auf gegensätzlichen Seiten), das sie allesamt in die Verschwörung gegen die Geschichte einbezog, die mir bekannt war.

Hamam Balkania

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