Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 51
Der Musterzwang zwischen Hitler und seiner Nichte Geli
ОглавлениеVon Hitlers Seite aus ist jetzt nur die Klärung nötig, um was für eine Beziehung es sich bei ihm gegenüber seiner Nichte gehandelt hat. Hitler war in einen psychischen Musterzwang geraten. Sein Vater Alois hatte in dritter Ehe dessen Nichte ersten Grades geheiratet, Hitlers Mutter Klara (zweites Buch). Hitler erlag diesem Familienmuster, nachdem er Geli, seiner Halbnichte ersten Grades, der 16-jährigen begabten Schülerin, zum ersten Mal begegnet war. Sie und ihr um zwei Jahre älterer Bruder Leo hatten 1924 ihren Onkel Adolf, den sie persönlich noch nicht kannten, in der Festung Landsberg besucht. Ein zweites Treffen zwischen Onkel und Nichte fand 1926 statt, aus Anlass eines Ausflugs von Gelis Linzer Schulklasse nach München. Das junge Mädchen war inzwischen 18. Im Juni des nächsten Jahres machte Geli ihr Abitur und zog im Dezember 1927 zwecks Studiums der Medizin nach München. (Joachimsthaler 03, S. 311 f.) Der Musterzwang ist der Zwang, unbewältigte Geschehnisse in der nächst-folgenden Generation innerhalb eines Kleinfamilien-Milieus zu wiederholen. Dann nämlich, wenn das Eltern-Kind-Verhältnis zu nah war und eine Ablösung des Jugendlichen von seinen Primärpersonen nicht stattfand.
Beispiele: Eine Mutter stirbt mit 40. Ihr Sohn geht eine Beziehung zu einer Frau ein, die mit etwa 40 einen tödlichen Unfall erleidet.
Eine Mutter verliert ihren Mann an Leukämie. Der Partner ihres schwulen Sohnes stirbt ebenfalls an Leukämie.
Der Musterzwang wirkt nicht immer so platt tödlich, wie bei diesen Beispielen.
Die Duplizierung von Verhaltensweisen ist es, die im Musterzwang generativ ihr Unwesen treibt. Es wirkt ein ungewollter biografisch-kopistischer Mechanismus zwischen Altvorderen und Nachfahren. Nicht Identifikation eines Menschen mit den Personen, die sein Aufwachsen begleitet haben, sondern ein Wiederholungs-Magnetismus geschieht, der sich ausgerechnet in den negativen, weil unbewältigten Ereignissen der Eltern-Kind-Beziehung seine Bahn bricht. Das Unbewältigte spukt durch die Generationen und bricht sich eine Bahn in den unschuldigen Nachgeborenen. So geschieht es im kleinfamiliären psycho-strangulativen Milieu, in dem auch Adolf Hitler aufgewachsen ist. Hitlers unabgelöste Nähe zu seiner Mutter tönt Hitler-biografisch aus allen Zeugnissen, deren Echo in den Einzel- und Gesamt-Biografien widerhallt.
Der Musterzwang verfolgt Menschen bis in ihre unwillkürlichen Aktionen hinein. Er kann zunächst nur konstellativ zum Ausdruck gebracht werden, hat aber auch dann negative Wirkungen, wie sie bei Adolf Hitler in seinem Verhältnis zu seiner Nichte Geli Raubal in Erscheinung traten. Hitler unterlag dem Zwang, seine Nichte eheähnlich – wie sein Vater dessen Nichte ehelich – an sich zu fesseln, koste es, was es wolle, sogar Gelis Leben.
Nach den beiden Treffen zwischen Hitler und der 16/18jährigen Schülerin in München 1924 und 1926 agierte Hitler marionettenhaft »an der Emotionsleine« seiner Nichte auf ein Immer-Näher-Kommen hin. Im Sommer 1927 machte Geli in Linz ihr Abitur. Alsdann holte Hitler die 19-Jährige im Dezember 1927 nach München, diesmal zum Bleiben und in München-Studieren. Zwei Jahre später lud er die gerade Volljährige ein, mit ihm ab 1. Oktober 1929 in seiner ersten herrschaftlichen Wohnung, der am Prinzregentenplatz, zusammenzuleben.
Sofort, als er Ende 1927 von dem Verlöbnis zwischen Geli und seinem Fahrer und Diener Emil Maurice erfuhr, erzwang er die Entlobung, trennte sich von Maurice, um seine Nichte immer enger an sich binden zu können. Das letzte Gespräch zwischen Onkel und Nichte, über das Hitler sich am 19. September 1931 während seiner Vernehmung durch die Münchener Polizei äußerte, fand angeblich am Nachmittag des 18. September 1931 kurz vor seiner Abreise aus München statt. (Sigmund 03, S. 175 f.)
Geli wollte zurück nach Wien. Hitler: Ja, aber nur, wenn sie dort mit ihrer Mutter zusammenzieht. Geli sollte auch außerhalb von Hitlers Münchener Wohngemeinschaft biografisch für ihn weiter griffbereit bleiben, was am leichtesten ging, wenn sie bei ihrer Mutter, seiner Schwester, wohnte.
Das alles sind psychisch interaktive, weil generativ wirkende Vorgänge, Fixierungen, Verstrickungen und Zwänge.
Dass daraus aber jemals Sexualität zwischen Geli und Hitler erfolgt wäre, darüber gibt es keinen glaubhaften Zeugen, dazu existiert kein einziges relevantes Zeugnis (PERVERSO). Im Gegenteil: Alle heute erreichbaren seriösen Zeugnisse sagen nein zu jeglicher praktizierter Genitalität zwischen Onkel und Nichte.
Daher die heutige Gewissheit über das Verhältnis Hitler-Geli: Keine Gegenstimme unter den Hitler-Ganz- oder -Teil-Biografen zu dem Fakt, dass Hitler gegenüber seiner Nichte Geli das erste und einzige Mal in seinem Leben in einen libidinösen Höchst-Affekt geraten war, sodass sein früher Psycho-Spiritu-Intimus Ernst Hanfstaengl in dessen »verschwiegenen« Erinnerungen Klartext schreiben konnte. Hitlers Gefühle zu Geli hätten ihm »das erste und einzige Mal in seinem Leben die natürliche Bahn seiner männlichen Libido verschafft«. (Hanfstaengl, BSB, S. 198)
Trotzdem blieb die »natürliche Bahn seiner männlichen Libido« »oben« stecken, kam es mit seiner Nichte zu keinem natürlichen Vollzug von Hitlers Männlichkeit »unten«.
Emil Maurice hatte sich in Geli möglicherweise schon 1924 bei ihrem Besuch ihres Onkels Adolf in der Landsberger Festung verliebt, in der auch Maurice wegen Beteiligung am Hitler-Putsch einsitzen musste. Sofort im Dezember 1927 hatten sich Emil und Geli verlobt, kaum dass Geli in München eingetroffen war, um dort Medizin zu studieren. Maurice berichtete, Hitler wäre Othello-eifersüchtig geworden, als er von der Verbindung Emil-Geli erfuhr. »Ich glaube ernstlich, er wollte mich in diesem Augenblick erschießen.« (Sigmund 03, S. 125 f.) Unmittelbar nach seinem Eifersuchts-Anfall trennte Hitler sich von Maurice, enthob ihn aller Funktionen und verbannte ihn aus seinem Leben.
Das zuerst Lustvolle in der Beziehung zu ihrem Onkel Adolf korrumpierte Geli auf Dauer: Sie war 1931 seit vier Jahren bevorzugte Begleiterin eines der aufregendsten deutschen Zeitgenossen der 1920er Jahre. Und der Onkel feuerte auf sie darüber hinaus auch noch permanent amouröse Schüsse ab. Sie stand ohne eigene Leistungen im Rampenlicht, würde es heute heißen. Doch allmählich war von ihr nichts anderes mehr übrig geblieben, als dass sie begleitet wurde. Hitler verlangte fast bei jedem ihrer Ausgänge eine Begleitperson aus seiner Entourage an Gelis Seite.
Alles um Geli Raubal herum war zu Adolf Hitler geworden. Gelis Situation hatte sich so sehr verkrasst, als ob sie mit den Armen einer Krake verheiratet gewesen wäre – nicht einmal mit deren Kopf –, die sie mehr und mehr erdrückten. Sie war am Schluss ihres Lebens umfassend fremdbestimmt und beabsichtigte, sich aus dieser Strangulierung zu befreien.
In ihrem Zimmer wurde der abgebrochene Brief an eine österreichische Freundin gefunden – stärkster Beleg gegen die neuerliche Hitler-forscherische Selbstmord-Thesen-Euphorie. Der abgebrochene Brief beweist Gelis Lebenswillen und ihre Aufbruchspläne. Auch der Dirigent, Komponist und Wagner-Experte, Adolf Vogel, der Geli im Zusammenhang mit ihrem Gesangsstudium näher gekommen war, stemmte sich vehement gegen die Selbstmord-Version zu Gelis gewaltsamem Tod. (Vogel)
Summe Geli
Trotz Hitlers Libido-Hochkochen in seinem Verhältnis zu Geli Raubal änderte diese Beziehung nichts am Sach-, vielmehr Personverhalt der heterosexuellen Unterbelichtetheit Adolf Hitlers, die der erste Reflekteur von Hitlers Psycho- und Sexo-Bedingungen, der psychiatrische Zeitgenosse der Hitler-Generation Johann Recktenwald, als »Hyposexualität« charakterisiert hat (Recktenwald, S. 57), wie eine solche auch schon der erste große britische Nachkriegs-Biograf Hitlers, Alan Bullock, statuieren musste. (Bullock 64–73, S. 392 f.)
Das Beiwort »hypo« ist nicht zu verwechseln mit seinem Gegenteil »hyper«. »Hypo« (griechisch) bedeutet in Wortkombinationen »unzureichend«, »herabgesetzt«, »mäßig«, »mangelhaft« – definitorisch geortet als »unter«, »minder« und »weniger« = »fast nichts«.
Die Heftigkeit, die an Hitler von allen Seiten in seinem Verhältnis zu seiner Nichte beobachtet wurde, war Trieb, aber kein heterosexueller Geschlechtstrieb, sondern ein »nuclear family desire«, nachweisbar im Musterzwang.
Wenn Geli nicht Hitlers Nichte gewesen wäre, hätte er sie nicht weiter beachtet. Denn dieses Frauen-Nicht-Beachten betrieb er seit Jahrzehnten dutzendfach, da Dutzende schon seit Kubizeks Zeiten in Linz und Wien an Hitler interessiert waren. (Kubizek 95, S. 229, 231 ff.) In München ab 1919 wuchs die Zahl der Frauen auf Hunderte bis Tausende, in Berlin ab 1933 dann auf Millionen. Hitler erhörte keine.