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Des Biografen unlauterer Stelldichein-Wink

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Vor der Grundsteinlegung von Hitlers neuer definitorischer Sex-Kanzlei muss das Geröll von allen hinterlassenen Hitler-Hetero-Konstruktionen Volker Ullrichs weggeräumt werden. Die Braun-Hitler-zu-Bett-geh-Geschichte ist ein besonders schwerer Brocken. Doch es darf nichts heterosexuell Wahnhaftes zum Rumsprechen nach flüchtigem Rumlesen in Ullrichs Hitler-Biografie mehr geben. Dass Ullrich absichtlich Hitler normalisieren will, entlarvt er spätestens nach seiner zunächst versuchten Ausgewogenheit. Er tut es nicht nur mit dem Weglassen der 15 Zeugen zu Hitlers heterosexueller Unstimmigkeit, sondern mit seinem – in seiner Hitler-Biografie nirgendwo anders zu findenden – Abdriften in Fantasie. Sowieso spricht Ullrich die ganze Zeit – während seiner Berührung des Themas Heterosexualität – von Hitlers »Freundin«, »Geliebter« und »Partnerin« Eva Braun rein affirmativ, benutzt ohne Zweifel-Zermürbung die Begriffe für die Kennzeichnung der nahesten Frau eines Mannes, was schon allein den Eindruck von Hitlers heterosexueller Orientierung zementiert. (Ullrich, S. 323, 677 f., 680–704) Erst recht rückt Ullrich mit seiner Schilderung des Hitler-Braun’schen Zu-Bett-Geh-Ritus auf dem Berghof von seiner sonstigen wissenschaftlichen Arbeitsweise ab. Er will in der Imagination seiner Lesenden das gemeinsame Bett von Braun und Hitler installieren.

Zunächst bringt Ullrich ein Zitat nach dem anderen, Zitate darüber, was Eingeweihte und Naheste über ihre Erlebnisse an einem Berghof-Abend berichten. Doch plötzlich übermannen Ullrich seine eigenen Fantasien. Er stellt sich freihändig genau das vor, was sich zwischen einem «normal« funktionierenden Heteromann und dessen Verhältnis abgespielt hätte, und unterschiebt seine Vorstellungen der Zu-Bett-Geh-Prozedur von Hitler und Braun, um damit Eindrücke herzustellen, wie es danach im Bett der beiden zugegangen sein soll: Die Berghof-Gesellschaft hat gespeist und sich Adolf Hitlers Monologen aussetzen müssen, danach u. a. Richard-Wagner-Platten aufgelegt. Otto Dietrich wird von Ullrich mit Fakten zur Auflösung der Abend-Gesellschaft und zum Zu-Bett-Gehen der Massenmörder und ihrer Mittäterinnen zitiert. Es werden auch Nazi-Quellen benötigt, um zu beschreiben, wie es mit Hitler und den Seinen von Stunde zu Stunde zuging. Bisher nichts dagegen zu sagen.

Aber mit einem Mal ist Schluss mit den Zitaten. Ullrich schwingt sich auf, um mit Adolf und Eva losgelöst von allem beschwerenden Zeugenkram in die Betten zu fliegen:

»Schließlich flüsterten Hitler und Eva Braun ein paar Worte miteinander, sie begab sich in ihre Privatgemächer im ersten Stock, und kurze Zeit später folgte er ihr.« (Ullrich, S. 700) Geil, wie Geiles von unten zu Geilem im Oben führt!

Das ist romanesk organisierte Vorlust pur! Keine Anführungszeichen mehr, keine Anmerkungszahl! Das ist jetzt ein Ullrich-eigenes Elaborat, was oberflächliche Lesende nicht bemerken. Die letzte Fußnoten-Zahl betrifft das Zuvor-Zitat aus Otto Dietrichs 12 Jahren mit Hitler. Es folgen noch Verweise auf Seitenzahlen anderer Zeugen und des ersten Braun-Biografen Nerin Gun. Nichts jedoch wird spezifiziert. (a. a. O., S. 1009, Anm. 128) Ullrichs Zu-Bett-Geh-Geschichte Hitlers und Brauns entbehrt jeden Verweises.

Wenn so etwas in der Hitler-Biografik passiert, ist sofort extremste Aufmerksamkeit vonnöten. Es wird nämlich plötzlich vermutet, das heißt, eine fantasierte Un-Wirklichkeit wird an den Haaren herbeigezogen.

Die Herren und Damen Hitler- und Braun-Lebens-Beschreibende machen sich mit einem Male von der Last der Zeugen-Zitate frei und steigern sich in das hinein, was sie in ihrer Vorstellung von Hitler Roman-haft zum Ausdruck bringen wollen. Sie wechseln Minuten-Bruchteil-mäßig die Fronten, verlassen das Wissenschafts-Territorium und landen im Fiktiven – jedoch meist nur momenthaft, so dass ihr Genre-Straucheln allerschwerst bemerkbar ist und sich deshalb viele »Fakes« in der Hitler-Biografik festgesetzt haben, die eingangs mit dem Begriff »Kujauismus« glossifiziert wurden.

Die Hitler-Braun-Flüster-Stelle ist etwas eindeutig heterosexuell dem Bett Zulaufendes – und ist vom Hitler-Biografen frei erfunden worden.

Wenn jemand Nahes das Hitler-Braun-Geflüster im Beisein der Gäste beobachtet hätte, hätte Ullrich das Original-Zitat genau bringen müssen, aus dem dann erfahrbar wäre: Bildet sich der Zeuge etwas ein? Oder handelt es sich hier um eine perfekt ausgeklügelte Demo in der Demo: Leute! Herschauen! Der Führer ist endlich so weit, sich in den Ficker zu verwandeln, schickt seine Liebste schon mal hoch, alles für seinen Empfang bereitzumachen, und wird ihr sogleich folgen.

Alle Zahlen in Ullrichs Anmerkungs-Apparat sind hier pauschaliert, mehrere Seiten betreffend und nicht bezogen auf diese explizite Zwei-Zeilen-Stelle. So produziert man Einwand-frei funktionierende Hetero-Paare. Flüstert Mann zu Frauchen: Geh du mal schon rauf und zieh dein ganz dünnes, durchsichtiges Nachthemd an, denn ich komm auch gleich und freu mich hier und jetzt, es dir in ein paar Minuten abzustreifen …

Es kommt bei der näheren Beschäftigung mit Ullrichs Heterosexualisierung Hitlers heraus, dass dem Biografen mit der Zu-Bett-Geh-Szene kein Versehen passiert ist, sondern dass die »Normalität« auch von Hitlers Geschlechtsleben in Ullrichs Konzept gehört, Hitler als Mann von nebenan darzustellen: »In gewisser Weise wird Hitler hier ›normalisiert‹«, verrät Ullrich das Konzept seiner Hitler-Biografie selbst. (a. a. O., S. 21)

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland

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