Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 56
Hitler-biografische Enthaltung von Frauen-Seite her
ОглавлениеSo wie Hitlers fulminante (Teil)Biografin Anna Maria Sigmund, die das gesamte Hetero-Territorium Hitlers mit mehreren Publikationen abdeckte, das Thema stehen ließ, kann die Status-quo-Situation um Hitlers Heterosexualität nicht bleiben. Zunächst hielt sich Sigmund verdienstvoll in Objektivität zurück und zog Hitler nicht krampfhaft und mutwillig ganz auf die heterosexuelle Seite: Nach der nüchternen Sichtung des Materials zu dem sensiblen Thema, der Ausblendung von Klatsch, Tratsch, Gerüchten und manipulierten Quellen bleibt nur wenig übrig, das ein objektives Licht auf Hitlers Sexualleben wirft. »Ob Hitler, der sich jeden sexuellen Wunsch hätte erfüllen können, zölibatär lebte, wie es manche meinen, oder er – wie es andere meinen – mit Fräulein Braun und anderen Frauen normale, perverse, stets jedoch geheime Verhältnisse pflegte, bleibt in allerletzter Konsequenz unbeantwortet und Spekulation.«, schreibt Sigmund im Kapitel Der »Führer« und die Sexualität in ihrem neuesten Buch »Das Geschlechtsleben bestimmen wir.« Sexualität im Dritten Reich. (Sigmund 08, S. 22)
Zu dem Wenig-Übrig-Gebliebenen zählt Sigmund das Tagebuch-Fragment der Eva Braun, worüber in Die »sieben Siegel« des Braun-Tagebuchs berichtet werden wird (ORALO, 6. Ja-Sagerin). Kritisiert werden soll hier Sigmunds zu weit gehende Zurückhaltung gegenüber dem »sensiblen Thema« und ihr Diktum, die heterosexuelle Frage in Hitlers Lebenslauf bliebe »unbeantwortet und Spekulation«.
Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist diese Frage sehr wohl auf nicht-spekulative Weise beantwortbar. Vorgangs-adäquat sind Hitler-Gesamt-Biografen mit ihren tausend Einzelheiten im Kopf, die zu Textfluss mit Fußnoten transformiert werden müssen, überfordert. Sie können so etwas Verstecktes wie die Berichte von Marianne Hoppe und Karl Wilhelm Krause über Hitlers – auf Männer bezogene – Gewalt-Erregung und onanistisch-orgastische Entspannung weder suchen noch finden (ONANO, Hitlers Männermord-Orgasmus).
Sigmund und Ullrich kennen die Hitler-Schenkel-Onanie-Stellen nicht, sonst hätten sie sich erst gar nicht näher mit Hitlers angeblich prozedierter interpersonell aktiver vaginal-phallischer Heterosexualität beschäftigt. Auch Anna Maria Sigmund muss ähnlich einem Hitler-Gesamt-Biografen respektiert werden, da sie mit fünf Arbeiten in mehreren Teilen und Neuauflagen Hitler-biografische Längen von 2000 Seiten erreicht hat und nicht nur Frauen-Themen behandelt, sondern auch viele andere Hitler-Einzelheiten. (Sigmund 03, 06, 08 I u. II)
Jedoch: Die moderne Gesellschaft des 21. Jahrhunderts kann keine Rücksicht darauf nehmen, dass Historiker und Historikerinnen sich generell für sexualwissenschaftliche Fragen kaum oder nicht interessieren und bei Sexualität überhaupt von einem sensiblen Thema reden. In der Sexualwissenschaft ist Sexualität kein »sensibles«, sondern ein robustes, sogar öffentlich zu machendes, der ständigen Betrachtung ausgesetztes Thema, das wie alle anderen Themen in jegliche Diskussion über die Konditionen des Menschen hineingetragen werden kann.
In ihrer un-sensiblen chirurgischen Vorgehensweise ist die Sexualwissenschaft bisher von den Medien bloß gehindert worden – wegen der überall noch lauernden Tabus und der Abwehr gegen das sezierende Auf-den-Operations-Tisch-Legen von sexuellen Vorkommnissen. Die Sexualwissenschaft verhält sich gegenüber sexuellen Fragen genauso ungerührt wie die Anatomen gegenüber den vor ihnen liegenden Leichen. Hitlers Sexualität ist quasi eine Leiche, die wie die in der Pathologie vorliegenden seziert werden muss. Bei der Sezierung von Hitlers Sexualität besteht noch ein anderes Dilemma, dass nämlich die Sexualwissenschaft bisher nur marginal historisch interessiert war. Es gibt zu wenig Werke über die Sexualität politischer Figuren in der Geschichte. Deshalb ist das Buch von Lothar Machtan über Hitlers Homosexualität ein Anfang, ja ein wesentlicher Durchbruch, die Diskrepanz zwischen Sexual- und Geschichtswissenschaft zu überwinden, ganz gleich, ob Machtan in jeder Einzelheit gefolgt werden kann.
Peinlich ist, dass die deutsche Gesellschaft von allen Seiten her gegenüber Machtans Versuch, Licht in Hitlers »undurchsichtige Erotik« (Heiden) zu tragen, aufgeschrien hat, worüber Machtan 2003 in der Neuausgabe seines Buches von 2001 berichtet. (Machtan 03, S. 449 ff.) Bezeichnenderweise erwähnt auch die sensible Historikerin Anna Maria Sigmund Machtan nicht, obwohl sie das bei ihrer Beantwortung von Hitlers sexueller Frage spätestens in ihrem Buch von 2008 über Nazi-Sexualität hätte tun müssen.
Sigmund macht sich auch immer wieder des Hitler-biografischen Frevels der Aussparung von Hitler-Bild-Zerstörerischem schuldig, was ihr bei relevanten Einzelheiten noch vorgeworfen werden wird. Als weltweit bekannt gewordene Hitler-Freundinnen-Biografin wollte sie nichts mit Hitlers homosexuellem Schatten zu tun haben und kniff vor dem Thema. (Sigmund 98–13) Doch es gibt nicht nur den heterosexuellen Hitler, sondern auch den homosexuellen und – wie sich herausgestellt hat – den onanistischen. Gerade das macht die Beantwortung der sexuellen Frage spekulativ, wenn nur auf dem heterosexuellen Bein Hitlers Hurra geschrien wird.
Nicht nur gegenüber der Homosexualisierung eines Adolf Hitlers schreit die Gesellschaft auf, sondern auch gegenüber der nüchternen Libido-Entfaltung einer Kulturfigur wie Franz Schubert, dessen Homosexualität Lupen-rein zwei Schubert-Biografen durchleuchtet haben – 1989 Maynard Solomon und 1997 Christoph Schwandt. (Solomon, Schwandt)
Schwandts Werk erfuhr zu Schuberts 200. Geburtstag 1997 »nicht mehr feierliche« Blockierungen durch die Musik-Szene, musste in der Sprachzeitschrift text und kritik unterkriechen und bekam keinen Eingang in Buchverlage und Musikzeitschriften.
Noch 2013 berichtete Moritz Weber über das skandalöse Vorgehen von Herausgebern und Interpreten, die in einigen Werken Schuberts homosexuelle Inhalte dahingehend verfälschten, dass sie diese verheterosexualisierten«. (Weber)
All das wird sich erst ändern, wenn die Sexual- und Sozialwissenschaftler beiderlei Geschlechts und aller Orientierungen ihre Abstinenz in dieser Hinsicht aufgeben und sich den gesamten Marx’schen Überbau in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und Kultur sexual-spezifisch von unten vornehmen: Friedrich II. von Preußen, Bismarck, Wilhelm II., Rathenau, Willy Brandt, der an seinem sexuellen Verhalten gescheitert ist, Kanzler Schröder, der mit dem seinen reüssierte … Und auch über Angela Merkel würde die Gesellschaft gern manches wissen, inwiefern ihr beispielloses Gelingen mit ihrer Sexualität in Zusammenhang steht.
Händel, Haydn, Beethoven, Brahms, Strauss warten auf ihr Geknacktwerden, Botticelli, El Greco, Murillo, Raffael, Renoir und Rubens tun das ebenso. Das schwule Outing von Albrecht Dürer zu dessen 500. Geburtstag 1971 hat immer noch keine Nachfolger gefunden. (Pilgrim 71)
Bei Adolf Hitler darf es überhaupt kein Entweichen vor der Beantwortung der sexuellen Frage geben. Dafür ist das Tagebuch-Fragment der Eva Braun nur einer der Mosaik-Steine im neu zusammenzusetzenden Bild von Hitlers Sex-Tod, seinem von ihm permanent zelebrierten Sexual-Sterben.
Als Tatsache dazu konnte bisher präsentiert werden:
Hitler 1 war null Frauen-bezogen. Es gibt nichts, superlativiert ganz und gar nichts, das heißt: Keine Vorläuferin Eva Brauns oder auch nur eine gute Freundin existierte in Ansätzen, wie mit den 23 Zeugen und vor allem mit den Hitler-Jugend-Umfeld-Sammlungen im Bleibtreu-Dossier und anderen Material-Mappen im Hauptarchiv der NSDAP belegt wurde. (Bleibtreu, Bloch, BAB, NS 26/14, 17a, 19–33, 65)
Ja, belegt! Denn sexualwissenschaftlich lässt sich das un-»sensible Thema« Sexualität durchaus beweisen, wenn auch nur auf ungeahnt komplizierte und ausufernd ausführlich zu bewerkstelligende Art wie Spiegelung, Summe-Bildung, Vakanz-Forschung. Mit der durch das Hauptarchiv der NSDAP unwillentlich unternommenen Hitler-Jugend-Heterosex-Abholzung sieht es von Frauen-Seite her für Hitler viel schlechter aus, als es Volker Ullrich darstellen möchte, der auch Bleibtreus Fülle des heterosexuellen Miss-Lauts nicht hören wollte.