Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 60
Das zweite Urszenen-Konstrukt zu Hitlers Heterosex
ОглавлениеDass Ullrich sich die Zu-Bett-Geh-Szene zwischen Hitler und Braun aus den Fingern gesogen hat, ist bisher nur behauptet, nicht bewiesen worden. Es musste zu seinem Gunsten auch angenommen werden, dass Ullrich sich vertan hätte, dass er einmal die Anführungszeichen vergessen oder die Fußnote aus Versehen nicht aufgeschlüsselt haben könnte. Ja, es kann passieren, dass ein Hitler/Braun-Biograf eine von den Tausenden Anmerkungen, die er/sie bewältigen muss, verloren hat, was die Braun-Biografin Angela Lambert sogar einmal zugibt. Ihr war ausgerechnet die Fundstelle zu David Irvings Bemerkung über Hitlers unnormale Genitalien entfallen. (Lambert 06, S. 245) Doch bei Volker Ullrich steht an der Stelle kein solches Eingeständnis.
Die Zu-Bett-Geh-Verabredung zwischen Hitler und Braun ist Ullrichs Urszene zum versuchten Nachweis von Hitlers heterosexueller Betriebsamkeit. Die Szene besteht aus drei Einzelheiten: Erstens: Flüstern zwischen Hitler und Braun, zweitens: sofortiges Aufstehen und Hochgehen Brauns, drittens: Hitlers unmittelbares Ihr-Folgen.
Die Szene muss mit Zeugen-Aussagen über die Berghof-Abende realisiert werden, sonst ist sie Spuk, ein Beitrag zum Spuk des heterosexuellen Hitlers. Nur mit mindestens einem Zeugnis hätte diese Szene die Kraft, die Behauptungen vom »Scheinverhältnis« zwischen Braun und Hitler »außer Kraft« zu setzen: Auch der »Führer« tickt sexuell »richtig«, wispert zu später Abendstunde mit der Seinen, um sogleich oben in den Betten des Paares in Schreie und Flüstern (Bergman) auszubrechen.
Es begann eine Hetero-Ur-Szenen-Forschung, denn Ullrich ist nicht der Erste, der solch eine erotische Begebenheit zwischen Hitler und Braun in die Welt gesetzt hat, um den heterosexuell Funktions-tüchtigen »Führer« überzeugend darstellen zu können. Noch eine weitere Adolf-und-Eva-Urszene wird geknackt werden müssen, die 35 und 60 Jahre zuvor zweimal erfunden wurde, weil auch mit dieser Erfindung das Hetero-Bild Hitlers um die Welt geschickt werden sollte und bis heute Ergebnis-effizient fixiert wurde. Ullrich hat Vorläufer. (AMORO)
Damit ist schon das Ergebnis der Untersuchung zu Ullrichs Zu-Bett-Geh-Geschichte ausgeplaudert worden: Auch er hat sie erfunden. Aber wie? Das muss in einer wissenschaftlichen Studie sauber nachgewiesen, Geschichts-prozessual unwiderlegbar per Zeugen-Verhör vorgeführt werden. Alle von Ullrich angegebenen Zeugen, die solch eine Zu-Bett-Geh-Szene behauptetermaßen beobachtet hätten, müssen herangezogen werden.
Günstigerweise brauchte nicht noch zum zweiten Teil der Zeugen-Befragung geschritten zu werden, in die Glaubwürdigkeits-Prüfung. Denn – wer hätte es gedacht? – niemand von Ullrichs suggerierten Zeugen hat das Zu-Bett-Geh-Geflüster zwischen Hitler und Braun gesehen oder gehört. Es kommt noch krasser: Alle von Ullrich angeführten Zeugen sagen entweder nichts zum gemeinsamen Hitler-Braun-Zu-Bett-Gehen oder geben das plattest denkbare Gegenteil zu Protokoll.
Wegen der Schwere von Ullrichs abgefeuerter Munition müssen alle anders lautenden Zu-Bett-Geh-Versionen zitiert werden. Und dabei soll sich das Niederschmetternde auf die Gemüter der Lesenden drücken: Dass ein seriöser Hitler-Forscher wie Volker Ullrich es nötig hatte, derart simpel zum Mittel der Erfindung zu greifen, um seinen angeblich hetero-intakten Protagonisten durchzupauken, zeigt, dass die Hitler-Biografik sexual-bezüglich seit fast 50 Jahren nicht alle Tassen im Schrank hat, wenn sie ab 1971 zyklisch innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten der Welt einen Hetero-Hitler weismachen will (siehe die Aufdeckung der Ur-Szenen-Fälschungen Eins 1955/56 und 1980/82 unter AMORO).
Ullrich gibt fünf Zeitzeugen an, die in Verbindung zu seiner Ur-Szenen-Konstruktion stünden: Otto Dietrich, Heinrich Hoffmann, Traudl Junge, Christa Schroeder und Albert Speer. Dazu fügt er unsinnigerweise noch den ersten Braun-Biografen Nerin E. Gun an, der kein Zeitzeuge ist, sondern die genitale Flüssigkeit zwischen Hitler und Braun 1968 auch schon fingiert hatte. (Ullrich, S. 1009, Anm. 128, Gun 68 I, S. 55 ff., 114 f.)
Bei Dietrich steht innerhalb seines Berichts über die Kamin-Abende im Berghof, die bis in die Morgenstunden dauerten, nichts über ein zärtlich-einvernehmliches gemeinsames Zu-Bett-Gehen Hitlers und Brauns. (Dietrich, S. 229 ff.) In den Erinnerungen von Hitlers »Leibfotografen« Heinrich Hoffmann findet man ebenfalls nichts. (Hoffmann, S. 160 ff.) Traudl Junge und Christa Schroeder behandeln wie Otto Dietrich die nicht endenden Kamin-Plauder-Nächte ausführlich. Doch auch bei ihnen fehlt das – Intimität vorbereitende – Geflüster zwischen Hitler und Braun.
Stattdessen das Entlarvende: Es gab tatsächlich ein Hochgeschicktwerden Brauns durch Hitler. Aber zu eklatant anderen Zwecken, als Ullrich sie suggeriert. Hitler entlässt Braun aus ihrer Paarschafts-Demonstration an seiner Seite. Sie darf sich endlich zurückziehen. Jedoch sie allein. Er folgt ihr noch lange nicht, sondern vegetiert weitere unendliche Stunden mit seinem monologischen Gelaber, das anzuhören er seine Gäste zwingt. Er will und muss die Zeit zwischen Nacht und Tag so lange totschlagen, bis er totmüde zusammensackt und endlich abgedreht zu Bett gehen kann, um zu schlafen, nicht aber, um unter die Decke von Eva Braun zu schlüpfen.
Aus dem Zeuginnen-Gedächtnis der – in ihrer Geschichte zu Hitler und mit ihrem Ein-Jahrzehnt-Altersabstand voneinander verschiedenen – Sekretärinnen gestaltete sich das Zu-Bett-Gehen Hitlers und Brauns kalt unerotisch.
Zunächst in Christa Schroeders Worten: »Wurden jedoch Gespräche angeschnitten, die Eva nicht lagen, so war ihr das sofort anzusehen, und auch Hitler pflegte dies nicht zu entgehen. Er tätschelte dann beruhigend ihre auf der Sessellehne liegende Hand, flüsterte ein paar Worte mit ihr und Eva verschwand nach oben. Genauso verhielt sie sich, wenn sie meinte, Hitler würde einer anderen Dame ›zuviel‹ Aufmerksamkeit widmen.« (Schroeder 85, S. 190 f.)
»In ihren Stenoaufzeichnungen notierte Frau Christa Schroeder: ›Wenn irgendeine Dame anwesend war, deren Konkurrenz E. [Eva Braun] fürchtete, dann ging sie entweder sehr bald in ihr Zimmer, oder sie war ungenießbar, so dass er [Hitler] selbst es merkte und sie dann gern überredete, sich zurückzuziehen, da sie müde sei.‹« (Joachimsthaler 85, S. 376, Anm. 353)
Traudl Junge hinterließ Brocken zu Hitlers Nacht-Totschlagen: »[…] ab Mitternacht nächtliche Plauderstunden am Kamin […]« (Junge 02, S. 88) »Hitler freute sich immer wie ein Kind auf seine nächtliche Teegesellschaft […]« Junge zitiert Hitler: »›Ich habe niemals Ferien, ich kann nicht irgend wohinfahren und ausspannen. So teile ich meinen Urlaub in Stunden auf, die ich hier mit meinen Gästen am Kamin verbringe‹, sagte er.« (a. a. O., S. 91)
»Die Stunden vergingen, und es war bereits morgens vier Uhr oder fünf Uhr, als Hitler nach dem Diener klingelte und fragte, ob Einflüge gemeldet seien. Er stellte diese Frage jeden Abend, ehe er ins Bett ging und zog sich nie zurück, ehe er nicht die Meldung bekam, dass das Reichsgebiet feindfrei sei. Einzelne Maschinen oder Störverbände wurden ihm manchmal gar nicht mehr gemeldet, sonst hätte der Tag nie ein Ende gefunden. – Schließlich erhob er sich, gab jedem die Hand zum Gutenachtgruß und zog sich in die oberen Räume zurück.« (a. a. O., S. 94)
Allein, ohne Eva Braun. Die lag längst in den oberen Räumen und schlief.
Was geschah mit Eva Braun, wenn sie noch unten war? Für sie hatte Traudl Junge nur ein mitleidiges Erwähnen, wie Braun in den spätesten Nachtstunden an Hitlers Seite zu einem Häuflein Elend zusammengeschrumpft war, wenn Junge beschreibt, dass sich alles Dienende und Zu-Gast-Seiende absentiert hatte und Hitler mit dem »schlummernden Morell [Leibarzt] und der treuen Eva« sitzengelassen wurde, die die aufgelegten Platten allein hören mussten. Unter der dröhnenden Musik war man entwichen, lachte, frohlockte oder zankte sich im Nebenraum hinter dem Vorhang, bis Hitler manchmal um Ruhe bitten musste. (a. a. O., S. 93)