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»Ausgewogenheit« als ein Mittel der Hitler-Bild-»Frisierung«

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Ullrich bringt in seiner Hitler-Biografie, Teil I, doch Tausende Quellen – warum ihm das Fehlen von 15 vorwerfen? Weil er mit dieser Aussparung erneut einen Hitler in die Welt gesetzt hat, den es in sexueller Hinsicht nicht gab. Ullrich macht das nicht dogmatisch-indoktrinie-rend wie ab den 1970ern sein Vorläufer Werner Maser. (Maser 71-2001) Aber gerade mit Ullrichs Ausgewogenheits-Methode wirkt der Dargestellte normal funktionierende Heteromann Adolf Hitler so überzeugend, dass er für die nächsten Jahre im gesellschaftlichen Bewusstsein Wahrheits-resistent weiter umlaufen kann – und ab März 2016, dem Erscheinen der englischen Fassung von Ullrichs Buch, dann auch in der vom Englischen dominierten ganzen Welt.

Neben die 8 Nein-Sagenden stellte Ullrich 9 Ja-Sagende, die drei Zeuginnen Winter, Schirach und Ostermayr, die über ein Techtelmechtel zwischen Braun und Hitler in dessen Münchener Wohnung am Prinzregentenplatz berichtet haben (ORALO, Auf dem Chamberlainsofa), dazu die Berghof-Angestellte und ab 1943 Hausverwalterin Gretel Mittlstrasser (7. Ja-Sagerin), die betroffene Eva Braun mit ihrem Tagebuch-Fragment über ihre Beziehung zu Adolf Hitler (ORALO, 6. Ja-Sagerin) und den angeblichen 180-Grad-Kehrtwende-Diener Heinz Linge (AMORO, 2. Ja-Sager) – macht sechs.

Mit zwei Herren-Statements möchte Ullrich das Hetero-Bild Hitlers abrunden. Er zitiert eine Äußerung Hitlers, die dieser angeblich zu seinem Kanzlei-Adjutanten Fritz Wiedemann gemacht hätte: »[…] halte ich mir eben in München ein Mädchen«. (Wiedemann, S. 70, Ullrich, S. 322 f.) Und Ullrich baut auf Hitlers »Leibpiloten« Hans Baur auf, der behauptetermaßen in ein »Stelldichein« zwischen Braun und Hitler geplatzt sei = achtens.

Neuntens fügt Ullrich einen Satz aus den Gesprächen zwischen Joachim Fest und Albert Speer an, »das Verhältnis Hitlers zu Eva Braun [sei] ›einfach zu enträtseln‹, Hitler habe sie sich ›ausschließlich für gewisse natürliche Bedürfnisse gehalten‹ – ›sozusagen für die Regulierung seines Hormonhaushalts‹«. (Fest 05 I, S. 59, Ullrich, S. 689, 10. Ja-Sager)

Dass Hitlers Hormonhaushalt über heterosexuelle Praktiken reguliert worden sei, hat Speer aus der Luft gegriffen, wie Ullrich selbst sofort im Nachsatz des Zitats den Finger in die Wunde dieser Übermittlung legt: »Woher er [Speer] dieses Wissen bezogen hatte, das verriet Speer allerdings nicht.« (Ullrich a. a. O.)

Diese Relativierung Ullrichs genügt nicht, denn der von Fest zitierte Speer-Satz ist der Wurf einer Handgranate in jegliches Forschungs-Labor, in dem Hitlers sexuelle Außer-Normalität nachgewiesen werden soll: Adolf Hitler habe seinen Hormonhaushalt über den heterosexuellen Geschlechtsverkehr mit seiner Berghof-Genossin Eva Braun reguliert. So etwas glaubt die Hetero-Mehrheit bereitwillig, weil sie es glauben will.

Und das noch Dickere im Speer-Zitat: Hitler habe »ausschließlich […] gewisse natürliche Bedürfnisse« in Richtung Eva Braun gehabt und sie sich im Geschlechtsverkehr mit ihr befriedigt. Da können Marianne Hoppe und Karl Wilhelm Krause mit ihrer Registrierung von Hitlers Oberschenkel-Reibungen vor Männer-Kampf-Szenen einpacken. (ONANO, Hitlers Männermord-Orgasmus)

Es handelt sich bei Speers Satz gegenüber Fest um reine »Männerphantasien« (Theweleit) – ausgetauscht von Normalo zu Normalo über den angeblichen Mit-Normalo-»Führer«. Seinen Hormonhaushalt regelte der noch junge, verheiratete Ehemann und Familienvater Albert Speer gemeinsam mit seiner Ehefrau Margarete und mithilfe seines ihm zur Verfügung stehenden männlichen Dranges, »eine Frau körperlich zu besitzen« (ONANO, 19. Nein-Sager Otto Wagener).

Ullrich lässt mit diesen neun Pro- und acht Kontra-Zeugen zu Hitlers Heterosexualität die Wahrheit in der Schwebe und schreibt dazu für Forscher-Gemüter Tränen-Rühriges: Er geht daran, »eine Zentralfrage in Hitlers persönlicher Biographie aufzuwerfen: wie es nämlich um seine Beziehungen zum weiblichen Geschlecht bestellt war. – Diese Frage ist nur sehr schwer und wahrscheinlich niemals abschließend zu beantworten. Von ›undurchsichtiger Erotik‹ hat schon der erste Biograph Konrad Heiden gesprochen, und daran hat sich bis heute wenig geändert«. (Ullrich, S. 299 – Hilden war Hitlers zweiter Biograf nach Rudol Olden)

Auf Schritt und Tritt kann Ullrich nachgewiesen werden, dass er mit seinem Text strauchelt, sowie es um die Sexualität Adolf Hitlers geht. Ullrich verliert den festen Boden unter seinen Füßen, der ansonsten sein großes Werk über Hitler konstant kennzeichnet. Doch mit einem Male werden Namen falsch geschrieben. Ja, die gesamte Adresse von Hitlers Münchener »Intim-Schauplatz«-Wohnung am Prinzregentenplatz verlegt Ullrich durchgängig in die »Prinzregentenstraße«. (Einzelnachweise folgen, wenn dieser Schauplatz betreten wird.)

»Hitler hat, was die Seite seines Privatlebens betraf, selbst gegenüber Vertrauten ein Versteckspiel getrieben.« (a. a. O.) Das allein schon genügte für die Aberkennung des Prädikats »heterosexuell«, denn so etwas macht kein Heteromann und es ist von keinem übermittelt worden. Ein solcher hat immer Intimfreunde, die über sein Intimstes alles wissen.

»Authentische persönliche Dokumente sind äußerst rar«, (a. a. O.) das stimmt schon wieder nicht, da 23 »persönliche Dokumente« soeben vorgelegt werden konnten. Nach diesem Jammer-Entree zur angeblichen Unbeantwortbarkeit der Frage Hitler und die Frauen wechselt Ullrich trotz seiner später nur vier sich als echt erweisenden Ja-Zeuginnen auf deren Seite und beendet seine Ausgewogenheit. Er tut das auf so Biografie-verheerende Weise, dass die Kritik dieser Ullrich-Passage nicht scharf genug sein kann:

Sprung zu Ullrichs zweitem Hitler-Hetero-Kapitel Die Berghof-Gesellschaft, nämlich dem Hausstand seines Protagonisten, in dem dieser einen Veitstanz demonstrierter Heterosexualität bei all seinen Berghof-Aufenthalten aufführte – an der Seite seiner Mittäterin Eva Braun: »Hier bin ich Mann, hier darf ich’s sein!«

O-Ton Ullrich: »Manches spricht in der Tat dafür, dass Hitler hinter der Fassade vermeintlicher Unnahbarkeit ein normales Liebesverhältnis mit Eva Braun pflegte. Mit Bestimmtheit sagen lässt sich das jedoch nicht, und die Biografen sollten sich davor hüten, Schlüssellochphantasien der Leser zu reizen. ›Vor diesem menschlichen Persönlichen hat auch die Pflicht des Chronisten halt zu machen und es zu respektieren‹, hat schon Otto Dietrich bemerkt.« (Ullrich, S. 689, 1006, Anm. 79 – mit Verweis auf Dietrichs Schrift 12 Jahre mit Hitler von 1955, S. 231)

Dass es bei Ullrich mit seinem Otto-Dietrich-Zitat plötzlich zu einer derartigen Rückversicherung geführt hat, zeigt, wie unsicher der Biograf gegenüber Hitlers Heterosexualität wirklich ist. Mithilfe eines der obersten Nazi-Terror-Mittäter will Ullrich den Vorhang des Unwissens vor Hitlers sexuellen Bedingungen zuziehen – mit dem denkbar unsinnigsten Anti-Forscher-Argument, es bestünde »die Pflicht des Chronisten«, »vor diesem menschlichen Persönlichen« (der sexuellen Frage gegenüber dem Zerstörer Adolf Hitler) »halt zu machen und es zu respektieren«!

Was sollen wir »Chronisten« »respektieren«? Die Mauer vor Hitlers aberativer Sexualität, die ihn in die kollossalste Vernichtung trieb, derer sich je ein Mann gegenüber seinen Zeitgenossen und der Nachwelt schuldig gemacht hat?

Ullrich muss in Sachen Hitlerscher Sexualität so verunsichert sein, dass er einen der engsten Hitler-Mitzerstörer zitiert, um seine eigene Blöße zu bedecken, hier nicht weiterforschen zu können. Otto Dietrich war neben Goebbels und Max Amann die Propaganda-Walze, die den Destruktions-Staubsauger Adolf Hitler 26 Jahre über die deutsche Gesellschaft fegen ließ, bis nach präliminarischen Tötungen in der Anmarsch-Zeit ein mörderisches «Ausmisten« des Ganzen von allen Kräften geschah, die eine Nation veredeln, und bis im Lande nur noch übrig blieb, wer auf die Bluttour des Staats-terroristisch seriellen Vernichters abfuhr und sich zum Mitmachen ins Zeug legte.

Otto Dietrich war »Reichspressechef der NSDAP« seit 1931, »SS-Obergruppen-Führer« seit 1932 und Staatssekretär im Goebbels’schen »Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda« seit 1933. Ullrich vergaß bei seinem absegnenden Vorhang-zu-Zitat aus dem Gedanken-»Schatz« eines Otto Dietrich, was sich dieser Nazi-Co-Destrukteur hat zu Schulden kommen lassen.

Nur weil die Nürnberger Ankläger dem »Zerstörer mit Hilfe der Schrift« Gnade vor Recht gewährten, ist Dietrich als Kriegsverbrecher lediglich zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihm hätte genauso der Strang gebührt wie den anderen beiden verbalen Mitmördern Alfred Rosenberg und Julius Streicher, wenn schon Todesurteile ausgesprochen wurden. Diesmal für Dietrichs Volksteile- und Völker-totmachende Scharfmach-Schriften Mit Hitler in die Macht. Persönliche Erlebnisse mit meinem Führer (1933), Die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus. Ein Ruf zu den Waffen deutschen Geistes (1935), Der Führer und das deutsche Volk (1936) sowie Auf den Straßen des Sieges. Mit dem Führer in Polen (1939).

Volker Ullrich passt nicht auf, realisiert nicht, dass ihm sein affirmatives Otto-Dietrich-Zitat Zustimmung aus der rechten Ecke einbringen könnte. Selbstverständlich müssen Nazi-Quellen fürs Faktische herangezogen werden, aber nicht für Philosopheme und erst recht nicht für die Enthaltsamkeit gegenüber Wahrheiten in Sex-Angelegenheiten, noch weniger dazu, die eigene Blöße der Kenntnisse in Sexualwissenschaft zu bedecken.

Otto Dietrichs Satz hat nach 1945 Gesellschafts-glücklicher Weise keine Gültigkeit mehr. Bei Adolf Hitler, dem Universal-Zerstörer, darf es überhaupt kein Halt und keinen Respekt »vor diesem menschlichen Persönlichen« geben. Im Gegenteil, es gibt nur eine »Pflicht des Chronisten«, endlich die Sphinx Hitler zu enträtseln. Und deswegen muss auch mit den unbeantwortbaren Fragen Schluss sein, zugunsten von deren Antwort-losem Verbleiben sich der Hitler-Biograf Joachim Fest mit Hitler-Liebling Albert Speer gegen Fests eigene Aufklärungspflicht plötzlich eingeschaukelt hatte.

Zu diesem Vorgang hat Ullrich wiederum vorbildlich informiert, dass nämlich Fest und Verleger Siedler den aus dem Gefängnis entlassenen Speer dazu bewogen hätten, dessen Erinnerungen verkaufsträchtig zu modifizieren (Ullrich, S. 10, 840, Anm. 22) – ein ungehöriges, unerhörtes und ungeheuerliches Geschehen in den 1960er Jahren, das diesmal den Biografen Fest diskreditiert. Es belegt, dass auch jemand wie Fest in eine temporäre Umnachtung gegenüber seinem Gegenstand Adolf Hitler verfallen konnte. Volker Ullrich hat über diese Fest-Speer-Liaison schon zwei Artikel publiziert und kündigte an, zur Hitler-biografischen Entgleisung Fests eine weitere »gesonderte Studie vor[zu]legen«. (a. a. O.)

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland

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