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PASO WALTER

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Sie fängt an zu schlingern und will außerdem die Lenkkorrekturen nicht mehr umsetzen. Lass uns jetzt bitte nicht hängen, das könnte das Ende unserer Reise sein, flehe ich unser kleines niedliches Dickerchen an, während ich aussteige, um nach der Ursache zu suchen.

Die Vorderräder stehen auf mindestens 30 Grad Vorspur und überhaupt sieht der ganze Vorderbau so aus, als wäre nichts mehr an seinem richtigen Platz. So! Sollte es das jetzt gewesen sein? Domi steigt aus und ich glaube das war es erst mal für heute, oder für was weiß ich bis wann. Ich bin verzweifelt. Hier stehen im „Nichts“. Die glühend heiße Amazonassonne senkrecht über uns, und keine Ahnung, ob hier vielleicht doch irgendwann Hilfe kommt.

Das Achs-Rohr wo die Zahnstangenlenkung untergebracht ist, ist gebrochen. Ich melde Zweifel an, ob wir das hier soweit hinkriegen, dass „Gordita“ wieder aus eigenem Antrieb weiterrollen kann. Die Gedanken meiner Liebsten möchte ich jetzt nicht lesen. Sie zeigt mir jedoch in dieser Situation ganz deutlich dass sie zumindest zu einem Teil, der indigenen Volksgruppe der tapferen Guarani entstammt, und macht erst mal das einzig Richtige.

< Hier>, sagt sie, ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten: „<Trink mal ein Brahma und beruhige dich“>. Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen. Ob dieser Spruch auch in ihrem Guarani existiert, kann ich nicht sagen, was hier und heute allerdings auch nichts ändern würde. Sie nimmt die Machete und meint, dass es erst mal wichtig sei, Brennholz für die Nacht zu sammeln. Und trockenes, morsches Holz findet man am besten an alten morschen Brücken.

Damit entschwindet sie in Richtung der alten Brücke, die wir einige hundert Meter vorher überquert hatten. O.k., dann halt ich mich halt erst mal an die Brahmas, die sowieso langsam warm werden. Unser Eis ist fast gänzlich geschmolzen. Warmes Wasser ist ja noch ganz gut trinkbar, warmes Bier geht aber gar nicht.

Beim dritten Brahma sehe ich sie zurückkommen. Begleitet von einem Riesenspektakel aus dem Urwald schleift sie ein paar Bretter und anderes Gestrüpp hinter sich her. Eine ganze Rotte Äffchen zu beiden Seiten des Weges ist wohl nicht mit unserer Anwesenheit einverstanden. Sie beschimpfen uns unentwegt und lautstark. Als dann endlich ein kleines Feuerchen brennt, das außerdem auch noch die Millionen von Insekten vertreiben soll, ziehen sich die Affen nach und nach zurück. Es wird wieder still um uns herum, was unsere Stimmung zusätzlich drückt.

In brütender Hitze fange ich an, die Vorderachse auszubauen, denn irgendwas muss ich ja tun. Domi fächelt mir mit einem Handtuch die Insekten aus dem Gesicht. Insekten? Nein das sind Monster für die mein Angstschweiß wohl eine Delikatesse bedeutet. Diese Mistviecher gehen in alle Körperöffnungen, Ohren, Nase. Nicht einmal richtig fluchen kannst du, weil du sonst das Maul voll hast von all dem Ungeziefer. Mein mit Wasser getränkter Hut und ein nasses Tuch so wie es die Bankräuber früher im wilden Westen vor das Gesicht gebunden haben, bringt für ein paar Sekunden Erleichterung. Danach jedoch schlagen sie umso erbarmungsloser zu. Keine Angst vor großen giftigen Schlangen, Jaguar, Puma etc.. Nein, diese wilden und noch dazu ganz winzigen Biester sind die allergefährlichsten Tiere hier, wie überall in den tropischen Urwäldern. Die rauben dir den Verstand.

Nicht auszudenken, in dieser Situation wenn du am laufenden Band die Hosen runter lassen mußt, mit einer Magen-Darm-Geschichte liegen zu bleiben. Dank der eigenen Körperverdunstung drängt es einen hier Gott sei Dank doch sehr viel weniger oft zum Pinkeln. Frauen sind in diesem Fall extrem benachteiligt.

Hier ist kaum damit zu rechnen, dass wirkliche Hilfe kommt. Dann doch zwei Fahrzeuge. Aber in die falsche Richtung, und außerdem voll besetzt. Die hilfsbereite Crew versucht noch mit mir zusammen das Achs-Rohr zu schienen. Sie haben stärkeren Draht dabei als wir. Doch so, in noch halb eingebautem Zustand ist dies aussichtslos. Mit dem Bedauern, dass sie uns wohl in dieser Situation nicht helfen können, bekommen wir von den Leuten noch Trinkwasser, ein paar Dosen Fisch, Früchte und einen gut gemeinten Rat:

< Solltet ihr euer komisches Fahrzeug wieder irgendwie zum Rollen bringen, fahrt zurück nach Humaita> <und warum habt ihr denn nicht den Amazonasdampfer genommen>, werden wir gerügt!

Gedanklich sollte das wohl heißen: Immer diese durchgeknallten Touristen! Sie wissen natürlich immer alles besser, bringen sich in Gefahr, und wenn es dann passiert, ist das Gejammer groß. <Die Strecke in Richtung Manaus ist denkbar schlecht, und außerdem ist eine der Brücken kürzlich total zusammen gebrochen und muss somit umfahren werden. Da werdet ihr ohne 4x4 keine Chancen haben>. Ist die letzte Aussage, und weg sind sie.

So richtig klare Gedanken kann ich in dieser Situation nicht fassen, denn wir befinden uns inmitten eines unbewohnten Bereichs von etwa 450 km, in dem keine einzige menschliche Seele lebt.

Langsam wird es dunkel und wir machen noch was zum Essen auf dem Feuerchen. Richtiger Appetit will sich jedoch nicht einstellen. So versuchen wir wenigstens zu schlafen. Die Hitze der Nacht ist unerträglich, wir müssen an den Heinz mit seiner Irene denken. Die schlabbern jetzt wahrscheinlich ganz bequem in ihrer Hängematte einen Sun-Downer, und genießen das Leben in vollen Zügen.

Die Nacht verbringen wir im Auto und hoffen, am nächsten Tag irgendwie weiter zu kommen.

Ich versuche, das jetzt komplett ausgebaute Achsrohr mit meinem Ratschenzug einigermaßen gerade zu ziehen und nochmals mit Montiereisen zu schienen. Es bleibt ein sinnloses Unterfangen, und so ganz nebenbei können wir den Amazonasurwald mit seinem vollen Programm erleben.

In anderer Situation wäre das auch sehr aufregend geworden.. Wir haben ja schon einige schwierige Brücken passiert und außerdem muss es irgendwie weiter gehen.

Sobald die Sonne dann etwas höher steht, sind sie schon wieder da, diese Mistviecher. Drecksvolk und Mörderbienen nenne ich sie. Es gibt kein Entrinnen, sie sind überall. Schreien, weinen könnte ich vor Wut über mich selbst. Oder ist es mehr die Verzweiflung? Sogar unsere Äffchen von gestern beobachten uns argwöhnisch aus sicherer Entfernung, verkneifen sich jedoch die Schimpferei. Halten die uns etwa für irgendwelche Ausländer mit Migrationshintergrund? Oder haben sie hinter unserem Rücken vielleicht sogar schon Verstärkung angefordert, um uns dann mit der gesamten Affenarmee endgültig von hier zu vertreiben?




Unfreiwilliges Übernachtungscamp


So verplempern wir eigentlich den ganzen Tag, hängen unseren Gedanken nach und der Frage, ob wir unsere „Gordita“ einfach hier ihrem Schicksal überlassen sollten. Zu Fuß weiter ist auch ein recht sinnloses Unterfangen. Unser Grübeln wird erst gegen Abend von erneutem Motorengeräusch unterbrochen, und zwar diesmal aus der richtigen Richtung. Ein kleinerer LKW, 4x4, hält an und die zwei jungen Brasilianer wollen uns retten.




Die gebrochene Achse




Demontage


Kurzerhand bauen wir noch gemeinsam Motor und Getriebe aus, und verzurren den vorderen Rahmenteil der Ente auf der hinteren Quertraverse des LKW. Alles Gepäck kommt auf die Ladefläche, inklusive uns beiden. Und so geht es nun weiter bis spät in die Nacht hinein. Einige der zu überwindenden Brücken sind wirklich kriminell. Hier ist immer Absitzen angesagt, und im Scheinwerferlicht wird inspiziert und gerichtet.




Schleppaktion


Gerardo, der Fahrer, bekreuzigt sich jedes Mal, bevor er auf die wackligen Bretter fährt. Einmal hat’s wirklich schlimm geschwankt, und wir konnten im Nachhinein feststellen, dass eine der Hauptstützen abgefault war, einfach nicht mehr da... Bei einigen Rückfahraktionen im Schlamm leidet Gordita‘s Rahmen ganz fürchterlich. Er ist am rechten Hauptträger, da wo das Achs-Rohr befestigt ist, abgeknickt. Dann auf einmal, war unser Anhängsel plötzlich nicht mehr da. Die Gurte und Seile hatten sich bei dem ganzen Gerüttel und Geschiebe durchgescheuert. Trostlos sah das aus, als sie sich da ohne Vorderachse und ohne Räder mit dem geknickten Rahmen im Schlamm eingegraben hatte.

Bei der, ich weiß nicht wievielten Antenne schlagen wir unser Nachtlager auf. Domi macht für uns alle was zu essen, Spaghetti mit Tomatensoße und dazu gibt’s warmes Brahma. Es stellt sich heraus, dass sowohl der Lkw, brandneu, als auch die Kabeltrommel von 2,5 Tonnen auf der Ladefläche, aus Bolivien stammen und auf nicht ganz offiziellem Wege nach Manaus gebracht werden sollen. Die beiden arbeiten im Auftrag, und überhaupt ist schmuggeln hier nichts anderes, als ein ganz normales Gewerbe.

< Ist das nicht gefährlich?> Frage ich den Gerardo. <Ja schon. Was aber ist nicht gefährlich? Polizist in Sao Paulo ist ja auch extrem gefährlich.> so die Antwort, die mir eigentlich ganz logisch erscheint.

So im Schlepp treffen wir dann am nächsten Tag irgendwann an der Fähre am Rio Baira an. Zwar kann man hier noch nicht von geschafft reden, aber hier leben wieder Menschen und es gibt ein magisches Schild mit der Aufschrift: „Restaurante Pousada Rio Baira“.

Whooow! Hier gibt es bestimmt kühles Bier und was zu essen. Na klar, frischen Fisch vom Fluss und kühles Brahma. Herz was begehrt du mehr? Erste Aktion ist also was zu essen zu bestellen. Dann waschen wir uns im Fluss den mittlerweile verkrusteten roten Dreck von den Klamotten und der Haut.

Hier soll es angeblich Süßwasserdelphine geben. Um sie zu Gesicht zu kriegen, braucht man erst mal kleine Fische, um sie anzulocken, was Domi sich jetzt zur Aufgabe macht. Mit viel Mühe schaffen wir es auch, unser Gespann auf die Fähre zu bringen, denn unser Lkw hat hinten einen sehr langen Überhang, der jedes Mal durch den großen Auffahrwinkel aufsitzt. Das heißt also immer wieder unterbauen mit Steinbrocken, Holzklötzen und langen stabilen Brettern.

Jetzt geht es weiter auf das letzte unbefestigte Stück der Straße und wir hoffen, noch vor Einbruch der Dunkelheit in Careiro zu sein. Vor uns jetzt tatsächlich die komplett eingestürzte Brücke, deren Umfahrung wir mit unserer „Gordita“ ohne Allrad wahrscheinlich nie geschafft hätten. Was hätten wir schon tun können, um hier zuerst durch, und dann die steile und versandete Böschung wieder hochzukommen, frage ich mich, als Gerardo sich gerade wieder mal bekreuzigt. Nur zwei Bekreuzigungen, kann also nicht so schlimm sein; bevor er die Durchfahrt angeht. Ja was hätten wir nur gemacht, fragt mich meine Amazone. Wahrscheinlich einen oder zwei Ruhetage eingelegt. Warten auf ein geeignetes Fahrzeug mit Allrad. Dann durchzerren und so.




Das war einmal


Mit Hilfe von 4x4, kurzer Geländeübersetzung und Gerardos besagten Bekreuzigungen schaffen wir aber die steile Böschung der Umfahrung. Gerardo, Meico und ganz besonders wir sind heilfroh, den schwierigsten Part jetzt wohl geschafft zu haben.

In Careiro verbringen wir dann noch eine unruhige Nacht in unserer „Gordita“ an einer Tankstelle, wo die Dorfjugend sich abends trifft um jede Menge Sound - Auspuffsound volles Rohr, dazu Samba aus ungedämmten Lautsprecherboxen zu produzieren, Alkohol zu konsumieren. Gepinkelt wird grundsätzlich an eines unserer Hinterräder, da die Vorderräder ja im Moment als Abstützung unter dem gebrochenen Rahmenteil nächtigen. Egal, die Nacht geht rum und es kann weiter gehen.

Jetzt gibt es bis Iranduba nur noch guten Asphalt. Dort werden wir dann mit dem Fährschiff über den Rio Negro und den Amazonas nach Manaus übersetzen. Unsere beiden Retter sind für uns zu Helden geworden. In den schwierigsten Situationen erst mal die Samba auf volle Lautstärke gedreht und dann los, mit Auto ausgraben und so. Kein Schimpfen und Nörgeln war jemals von den beiden zu hören.




Unsere Retter Gerardo und Meico


Erleichtert kommen wir dann endlich in Manaus an, sind gerettet und zugleich frustriert, wissen nicht wie, und ob es überhaupt weiter gehen wird. „ Gordita" wird bei Tommy, der seit 18 Jahren in Manaus lebt und genau wie ich aus Hessen stammt, abgeladen. Hier haben wir es gut getroffen. In familiärer Atmosphäre sind wir gut untergebracht, Tommy und seine brasilianische Frau sind sehr hilfsbereit und zwischen Domi und Balgjira entwickelt sich spontan eine schöne Freundschaft.




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