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ОглавлениеRussisch für Anfänger
5. September – 9. September 1989
Sechs Schulen führen alljährlich gemeinsame Sportwettkämpfe durch: die angloamerikanische, die französische, die japanische, die schwedische, die finnische und die deutsche Schule. Zu den anderen Auslandsschulen, der ungarischen, polnischen, italienischen, arabischen, indischen und der indonesischen, besteht zurzeit kein Kontakt. Wir treffen uns in der amerikanischen Schule in einer äußerst angenehmen und unaufgeregten Atmosphäre zur Vorbesprechung. Traditionell gibt es Basketball-, Fußballturniere und Leichtathletikwettkämpfe. Schnell steht der grobe Zeitplan fest. Die Reihenfolge, welche Schule mit der Organisation und Durchführung im vor uns liegenden Schuljahr dran ist, ergibt sich durch die Ausstattung der Schulen mit Sportstätten. Die amerikanische, japanische und französische Schule haben Sporthallen, teils Sportplätze. Die drei anderen, die kleinen Schulen, transportieren ihre Schülerinnen und Schüler zum Sportunterricht in angemietete sowjetische Sportanlagen. Schade, dass nicht eine Moskauer Schule an den Turnieren teilnimmt bzw. teilnehmen darf. Zur Vorbereitung auf das anstehende Fußballturnier der Jungen darf ich mit unseren Schülern auf der Anlage von Dynamo Moskau trainieren.
Dienstags ist Posttag. Der Kurierdienst hat bis zum Abend die Post sortiert und auf die Postfächer verteilt. Dieses wöchentliche Ereignis feiert man in der Botschaftsbar, dem Bit-Stübchen, wo es natürlich deutsches Bier in typisch deutschem Kneipenambiente gibt. Man kann auch Kartoffelsalat mit Würstchen kriegen, alles gegen Zahlung in D-Mark. Am schwarzen Brett hängt eine Einladung zu einem zünftigen Preisskat-Turnier. Nebenbei erfährt man dort jede Menge skurriler Geschichten aus dem sowjetischen Alltag, die sehr schnell die jeweilige Einstellung zum sowjetischen System und deren Menschen offenbaren. Die, die schon in vier, fünf Ländern Dienst geschoben haben, streuen gern ein, welch ein unfassbares Chaos doch in den meisten Ländern der Welt herrsche, weil dort wirklich nichts, rein gar nichts funktioniere, abgesehen von dem, was die Deutschen dort alles auf die Beine stellten. Wir finden unsere Post, man ahnt es schon, im Postfach „Schule“. Gleichzeitig gibt man die Korrespondenz ab, die am nächsten Morgen auf dem Kurierwege nach Deutschland geht, frankiert mit deutschen Briefmarken. Man kann gern auch den sowjetischen Postweg ausprobieren und Briefe, frankiert mit russischen Briefmarken, in einen russischen Briefkasten werfen. Empfehlenswert ist in diesem Fall, einen ausreichend frankierten Briefumschlag, der irgendwelche belanglosen Zettel enthält, als Testballon in die Heimat zu schicken. Nicht vergessen: Zeit und Briefkastenstandort notieren! Spannend ist nämlich, wann oder ob dieser Brief sein Ziel erreicht, und wenn er eines Tages vom Empfänger geöffnet wird, falls er angekommen ist, ob der Inhalt noch komplett ist. Wenn es nur um die schönen abgestempelten Briefmarken geht mit ihren systemverherrlichenden Motiven, spielt die Zeitdauer eher keine Rolle. Da ist es auch zu verkraften, wenn die Briefe gar nicht ankommen.
Das Ehepaar Knötzsch wohnt in der Dobryninskaja Ulitsa, in einem riesigen grauen Betonklotz, nahe dem schmucklosen Oktoberplatz, der von ähnlichen grauen Betonklötzen umgeben ist. Unser Schulleiter hat die Neuen zu einem „Arbeitsessen“ eingeladen. Es gibt Borschtsch mit einem ordentlichen Klecks Smetana, einer Art hochprozentiger Crème fraîche, Fleisch mit Reis und Steinpilzen, dazu grusinische Weine. Teil eins der Tagesordnung entfällt (Arbeit). Wir genießen die Gastfreundschaft und den gemütlichen Abend.
Die Familie Heyken wohnt am Kutusowskij Prospekt, unweit der Moskwa und des Hotels Ukraina. Dr. Heyken hat die Neuen am Freitagabend zum Essen eingeladen. Auf dem Einladungskärtchen heißt es etwas vornehmer: „Der Geschäftsträger a. i. der Bundesrepublik Deutschland und Frau Heyken geben sich die Ehre, Herrn Werner Stolle und Frau Stolle zum Buffet-Dinner einzuladen.“ Während das schwarzweißbedresste Personal, zwei Russinnen, vermittelt vom UPDK, mit dem Service beginnen, erzählt uns der Hausherr mit einer Portion Sarkasmus, dass einer seiner Vorgänger auf dubiose Weise vom Balkon seiner Moskauer Wohnung gestürzt sei. Und nun: „Herzlich willkommen und guten Appetit“! Auch hier ist die Atmosphäre herzlich und unkompliziert.
Im Hotel Intourist in der Ulitsa Twerskaja soll man ohne das übliche Prozedere schnell und unkompliziert an Nahrung herankommen. Das Essen hat Fastfood-Charakter, das Umfeld den Charme einer typischen Fastfood-Abfertigungsstation. Hier treffen wir zufällig Manfred und Jürgen vom ZDF. Sie sind gerade von Filmaufnahmen aus Aserbaidschan zurück und sind sehr schockiert über die dortigen blutigen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschanern und Armeniern um das Gebiet Bergkarabach.
Manfred und ich haben gemeinsam den vierwöchigen Sprachkurs in Bochum besucht und dort eine Menge Spaß gehabt - trotz des täglichen Lernpensums von ca. acht bis neun Stunden. Spaß nicht nur wegen der netten Lerngruppe und der energischen, oft witzigen Lehrkräfte, sondern auch wegen unzähliger komischer Situationen, die während der Sprechübungen aufkamen, bei denen wir stets unter enormem Druck standen, bloß keine peinlichen Fehler zu machen. Wir erinnern uns an Russisch-Dialoge und Lehrerkommentare, ich hatte einige davon damals aufgeschrieben, und klopfen uns dabei jetzt noch vor Vergnügen auf die Schenkel. Man stelle sich einen bis in die Haarspitzen konzentrierten Sitzkreis vor!
„Ich trinke Bier. Wie heißt mein Vater?“
„Sehr angenehm! Ich heiße auch.“
„Guten Tag! Wie geht es mir?
„Dir geht es gut. Wie geht es mir?“
„Angenehm, mir geht es schlecht.“
„Wen fühlen Sie gut?“
„Vielen Dank, sehr angenehm.“
„Haben Sie Urlaube?“
„Nein, ich habe Arbeiten.“
„Ich fahre in Urlaub und nehme mit: meinen Nachttopf.“
„Ich arbeite in meiner Freizeit in einem Sanatorium.“
„Ich bin eine Zahnbürste.“
„Meine Zahnbürste heißt …“
„Ich putze meine Zahnbürste.“
„Wessen Zahn putzen Sie?“
„Ich putze meinen Zahn“.
„Ich hoffe, Sie haben mehrere!“
„Ja, ich habe mehrere Zahnbürsten.“
Fazit: „Stuhl“ gehört zu den unbewegten Nomen und der vierte Fall ist in jedem Fall belebt, selbst wenn er tot ist.
Mit Tränen in den Augen verabschieden wir uns.